Die EM 2012 Vorschau: Gruppe C – Herausforderung für den Titelverteidiger

Kaum weniger interessant und sportlich attraktiv als die deutsche Gruppe wird die Gruppe des Titelverteidigers von Experten eingeschätzt. Zwar scheinen die Rollen hier eindeutiger verteilt zu sein, doch von Vornherein geschlagen geben werden sich die Konkurrenten Spaniens sicherlich nicht. Packende sechs Spiele mit vorwiegend engen Ergebnissen stehen den Zuschauern bevor.

Der Topfavorit der EM 2012 Spanien: Machen sie es noch einmal?

Was ist nur mit dem einstigen Verliererimage des spanischen Fußballs geworden? Jahrelang sagte man den Iberern nach, sie seien keine einige Nation und würden daher nur im Vereinsfußball erfolgreich spielen. Und die Realität gab diesen Kritikern Recht. Spaniens Nationalmannschaft erreichte nie ein WM-Finale und war auch bei Europameisterschaften außer einem wenig angesehenen Titel 1964 meist unter ferner liefen unterwegs. Doch 2008 änderte sich alles. Eine gemeinsam (!) spielende spanische Elf verzauberte die Fußballwelt und wurde souverän Europameister. Der folgende Weltmeistertitel 2010 ließ das Team von Trainer Vincent del Bosque endgültig zum Maß aller Dinge aufsteigen. Der traumwandlerisch sichere Barcelonaer Kombinationsfußball, bei dem Ballbesitz alles ist und die Kugel zuweilen minutenlang zirkuliert wird, bis sich endlich die entscheidende Abwehrlücke ergibt, wurde fast eins zu eins auf die Nationalmannschaft übertragen. Aber auch Real Madrids Stars fügen sich mittlerweile nahtlos in diese Taktik ein und trotzen so der ewigen Rivalität der beiden Großen der Primera Division. Nun aber kommt die nächste Aufgabe und sie ist größer denn je. Eine Mannschaft, die in vier Jahren alles gewonnen hat, altert und neigt oft dazu, gesättigt zu ein. Außerdem haben sich andere Teams auf die spanische Dominanztaktik eingestellt, was der FC Chelsea gegen Barcelona in der Champions League erfolgreich unter Beweis stellte. Wird das wirtschaftlich schwächelnde Land im Südwesten des Kontinents also auch im Fußball absteigen?

Betrachtet man die Ergebnisse seit der WM 2010, so ist man zwiegespalten. Einerseits meisterte die Seleccion die Qualifikation sicher und ohne Punktverlust. Andererseits gab es gegen namhafte Gegner teils empfindliche Niederlagen, z. B. ein 1:4 gegen Argentinien, gar ein 0:4 gegen Erzrivalen Portugal. Derartige Blamagen hatten sich die Spanier schon lange nicht mehr geleistet, auch wenn es sich nur um Freundschaftsspiele handelte. Dennoch spricht vieles dafür, dass die Spieler heiß auf die EM sind, vor allem weil weder Barcelona noch Real Madrid in dieser Saison zu einem internationalen Titel gekommen sind. Die Mannschaft ist seit 2008 weitestgehend zusammen geblieben und hervorragend eingespielt. Das Mittelfeld findet in der Welt wohl keinen gleichwertigen Ersatz. In der Abwehr hat man zwar den Ausfall des Altstars und Kapitäns Carles Puyol zu verkraften, doch dessen Leistungskurve ging zuletzt ohnehin stetig bergab. Schwerer wiegt da schon der Beinbruch David Villas, der bei den vergangenen Turnieren mehrfach für entscheidende Treffer gesorgt hat. Vincent del Bosque hat daher Fernando Torres reaktiviert, der kein besonderes Jahr in London hatte und doch langsam wieder in Form kommt. Zudem sind Fernando Llorente und Iker Munian viel versprechende Backups, die in Polen vielleicht sogar den internationalen Durchbruch schaffen.

Fazit: Wer den Titel gewinnen will, muss Spanien schlagen. Wenig spricht dafür, dass die Iberer erfolgsmüde geworden sind. Da das hohe Niveau jedoch kaum mehr gesteigert werden konnte, könnten Spaniens Konkurrenten aufgeholt haben und den Titelkampf spannender denn je machen. Die Gruppe übersteht der Titelverteidiger jedenfalls unbeschadet.

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Italien und der Wettskandal: Hemmschuh oder Motivation?

Nur wenige sprechen in Italien derzeit von der EM 2012. Ein erneuter Wettskandal immensen Ausmaßes droht die Fußballligen der Azzurri erneut ins Chaos zu stürzen. Zahlreiche namhafte Vereine und Spieler sollen darin verstrickt sein und werden derzeit verhört. Immer neue Fakten bringen Journalisten und Polizisten ans Licht. Einer optimalen Vorbereitung für eine Europameisterschaft stehen solche Verhältnisse normalerweise im Weg. Trainer Cesare Prandelli schloss sogar einen Rückzug Italiens nicht aus, was aber wohl nicht ernst zu nehmen ist. Hoffnung macht höchstens die Erinnerung an das Weltmeisterjahr 2006, vor dem es einen ähnlichen Skandal gegeben hatte. Ist Italiens Mannschaft in der Lage, diese Zustände auszublenden und an alte Erfolge anzuknüpfen?

Eigentlich wollte der Trainer das Turnier zur Reifung seiner umgebauten Mannschaft nutzen. Nach dem blamablen Abschneiden bei der WM 2010 übernahm Prandelli das Ruder von Marcello Lippi, der zwar Weltmeistertrainer war, danach aber nicht den bitter benötigten Umbruch einleitete. Nun wurden verdiente Nationalspieler wie Camoranesi, Totti oder del Piero endgültig verabschiedet, um jüngeren hungrigen Leuten Platz zu machen. Tatsächlich gibt es bei den Italienern mittlerweile wieder eine Reihe hoffnungsvoller Talente, die allerdings noch nicht so weit sind wie etwa dieselbe Generation in Deutschland. So darf sich Italien derzeit keines Weltklassespielers rühmen. Immerhin aber ist die alte Abwehrstärke zurückgekehrt, welche nur zwei Gegentore während der Qualifikation zuließ. Und auch Torgefahr strahlte Prandellis Team aus. Verantwortlich dafür war vor allem der streitbare Exzentriker Antonio Cassano, der nach einer Herz-OP allerdings noch nicht wieder in bester Verfassung ist. So muss Prandelli auch auf den Jungspund Balotelli von Manchester City setzen, der das Zeug zum Weltstar hat, jedoch auch gern außerhalb des Platzes für Schlagzeilen sorgt.

Fazit: Italiens Fußball regeneriert langsam und macht Fortschritte. Der Wettskandal ist dennoch unschön und kann der Unruhe zu viel sein. Das Team ist noch nicht stabil genug, um derartigen Schwierigkeiten zu trotzen und wird daher mit jedem Vorrundengegner seine Probleme haben. Überstehen die Azzurri jedoch die Vorrunde, ist nach alter Tradition alles möglich.

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Kroatien: Die Wundertüte vom Balkan

Seit 1994 gehört Kroatien der FIFA bzw. der UEFA an und hat seitdem fast alle Turniere erreicht. Lediglich in den Jahren 2000 und 2010 blieb man außen vor. Die Auftritte auf internationalem Parkett haben stets eines gemeinsam. An guten Tagen kann das kroatische Team mit jedem mithalten, was insbesondere der dritte Platz bei der WM 1998 und das gute Auftreten 2008, als es unglücklich gegen die Türkei im Viertelfinale ausschied, beweisen. Doch das seit jeher mit Spielgestaltern und Zauberern ausgestattete Team hat eben auch oft genug Lustlosigkeit, leistungsmindernde Überheblichkeit und mentale Schwäche ausgestrahlt. So tut sich Kroatien häufig gegen schwächere Teams schwer, schneidet aber im Vergleich mit den Topteams regelmäßig gut ab. Von daher dürften ihnen die Begegnungen in Gruppe C liegen. Andererseits sind die Erwartungen im eigenen Land nicht allzu hoch, weil die Leistungen in den Qualifikations- und Freundschaftsspielen oft zu wünschen übrig ließen. Was spricht dennoch für eine gute Chance Kroatiens bei dieser EM?

Zum einen ist Trainer Slaven Bilic, seit 2006 Coach der Balkanelf, höchst beliebt in Öffentlichkeit und Mannschaft und in der Lage, immer noch ein paar Prozent mehr Leistung aus seinen Akteuren herauszukitzeln. Zum anderen bringt Kroatien auch immer wieder Top-Spieler hervor. Aktuell sind da Niko Kranjcar und Luka Modric von den Tottenham Hotspurs zu nennen, welche die spielerische Seele der Mannschaft bilden. Aber auch die jetzigen und ehemaligen Bundesligaspieler Josip Simunic, Ivan Perisic, Danijel Pranjic oder Ivan Raktic zeigen, dass vor allem im Mittelfeld ein Überangebot hervorragender Spieler herrscht. Im Sturm sorgt der gebürtige Brasilianer Eduardo von Shaktar Donezk für Torgefahr. Mladen Petric, Ivan Klasnic und der verletzte Ivica Olic sind dagegen gar nicht erst im Kader, die Konkurrenz ist also entsprechend groß. Und dass Kroatien im richtigen Moment voll da ist, bewies Bilic' Team in der Relegation, als die Türkei auswärts mit 3:0 demontiert wurde.

Fazit: Die kroatische Elf muss ihre positive Seite häufiger zeigen als ihre negative, dann ist das Überstehen der Vorrunde ohne Frage möglich.

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Irland: Mehr als nur Sparringspartner

Was Dänemark in Gruppe B, das ist Irland noch mehr in Gruppe C: ein krasser Außenseiter, der dementsprechend auch von den Buchmachern eingestuft wurde. 75 Euro für einen Euro Einsatz erhält man im Schnitt für einen Europameistertipp – so viel wie bei keiner anderen Mannschaft. Den irischen Spielern wird das nur recht sein. Das bisher einzige Mal, dass Irland an einer EM teilnahm, war 1988 in Deutschland unter ganz ähnlichen Voraussetzungen. Doch dann schlug man England, erzielte gegen die Sowjetunion ein Unentschieden und hätte schlussendlich fast noch den späteren Titelträger Niederlande aus dem Wettbewerb gekegelt. Immer wenn Irland anschließend ein großes Turnier erreichte, was auf die WMs 1990, 1994 und 2002 zutraf, konnten die „Boys in Green“ mindestens die Vorrunde überstehen. Sie sind also Experten dafür, aus minimalen Voraussetzungen das Maximale herauszuholen.

Und besonders groß ist das Potential Irlands wahrhaftig nicht. Die Inselkicker kommen eher über den Kampf, Standardsituationen und eine starke Defensive zum Erfolg. Hierfür haben sie in Giovanni Trapattoni einen Meister seines Fachs an der Trainerlinie gefunden. „Trap“ brachte den Iren den Erfolg zurück. Schon 2010 stand nur die Hand Thierry Henrys im Relegationsspiel als unüberwindliche Hürde vor der WM-Qualifikation. Nun ließ Irland immerhin die Slowakei, Armenien und in der Relegation Estland hinter sich. Meist mit sehr überschaubaren Resultaten. Dass das irische Spiel höchst langweilig anzusehen ist, stört allerdings niemandem im Land so wirklich. Das irische Volk vertraut Trapattoni voll und ganz und auch die Spieler haben seine Taktik verinnerlicht, so lange sie so erfolgreich ist. Heimlich orientiert man sich am Erfolg Griechenlands bei der EM 2004, die mit ähnlicher taktischer Disziplin und ohne große Spielkunst Europameister wurden. Dazu müsste allerdings die Stammelf unverletzt, der Teamgeist unverändert stark sein und das Glück beträchtlich mithelfen.

Fazit: Realistisch betrachtet hat Irland kaum Chancen auf das Viertelfinale der EM 2012. Doch einfach zu schlagen sind die Boys in Green nicht. Sie werden sich jedem Gegner nach Kräften erwehren und mindestens einen Punkt erobern, wenn nicht mehr.

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