„Interview Project Germany“ von David Lynch: gewöhnliche Menschen, ungewöhnlich echt!

Im Oktober vergangenen Jahres begaben sich Austin Lynch, Sohn des Filmemachers David Lynch, und Jason S. auf einen sehr speziellen Roadtrip quer durch Deutschland.

Sie fuhren durch das Land – ohne festes Ziel oder Routenvorgabe – stoppten nach Gefühl, und suchten nach Begegnungen mit Menschen, die dort – wo auch immer das gerade war – lebten.

Um diese zu interviewen. Und diese meist rund 30-minütigen Begegnungen dann auf einen knapp fünfminütigen Monolog, präsentiert im Internet als Video, zu reduzieren. Ohne Effekte, ohne Skandale – nur mit jeder Menge Authentizität.

„Interview Project Germany“ – Einfachtheit als Prinzip

Die Basis, die das Format dabei von anderen sogenannten „Reality-Dokumentationen“ abhebt, liegt dabei in seiner Einfachheit. Es geht nicht um besondere Menschen, um grausame Schicksalsschläge oder tödliche Krankheiten. Die Fragen, die gestellt wurden, sind so spannend wie simpel: Wie war deine Kindheit? Worauf bist du stolz? Was hast du bisher erreicht? Was war das einschneidenste Erlebnis in deinem Leben? Das in gewisser Weise ebenfalls als Reality-Format zu sehende Videoprojekt veröffentlicht seit März kostenlos auf seiner Seite jede Woche eine neue Video-Lebensgeschichte. Jedes Mal gleich, in erschreckend nüchterner und beinahe kalt wirkenden Manier wird das aktuelle Porträt dabei von Regisseur und Produzent David Lynch vorgestellt, der dem Projekt seines Sohnes damit unter die Arme greift. Auch eine Einführung für das Publikum veröffentlichte Lynch Senior zu Beginn des Projekts, das bereits in den USA mit großem Erfolg Mensch und Land darlegte. Und genau das geschieht in seinen überall in Deutschland aufgenommenen Kurzinterviews auch: Vom Renter über den Studenten, vom schwarzen Schaf des kleinen Orts zur aus dem Kosovo geflohenen Schülerin – das Project Germany zeigt alle Bewohner dieses Landes, und lässt dabei keine Schicht unberührt oder außen vor.
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David Lynch präsentiert bewegende Eindrücke und wahre Momente

In einer Medienlandschaft, in der ein Reality-Format das nächste jagt, nur um noch gefakter und unglaubwürdiger dazustehen, und man oft genug Möchtegern-Schauspieler in misslichen Lagen peinlich berührt zusehen muss, ist das Interview Project Germany eine fast schon erschreckend echte Angelegenheit. Es berührt, wenn plötzlich der junge Stefan, der in Regensburg studiert und lebt, mit unsicherem Lächeln der Kamera gesteht, dass das Leben in seiner Familie einfach nur leer war für ihn. Oder wenn einem warm ums Herz wird, wenn sich auf dem Gesicht der 25-jährigen Nadine nach fast fünf Minuten Ernsthaftigkeit und Melancholie auf einmal ein Strahlen ausbreitet, als sie beginnt von ihrem „Ein und Alles“, von ihrem kleinen Sohn, zu erzählen. In diesen Interviews kommen echte Gefühle herüber, leise, sanft, nicht gewollt, sondern einfach lebensecht.
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Nuancen, Andeutungen und einfaches Glück

Das Interview Project Germany erzeugt gerade durch seine einfachen Fragen Wahrheit und Nachdenklichkeit, Ehrlichkeit und Offenheit und dadurch irgendwie auch ein bisschen Seele von jedem der Befragten. Es kann definitv nicht als ein weiteres Reality-Format unter vielen gezählt werden, vielmehr bildet es eine wahrlich berührende Ausnahme im immer oberflächlicher werdenen TV- und Internet-Reality-Wahn. Und ist dabei gerade wegen seiner Kürze so interessant, denn vieles in den Geschichten der Befragten bleibt nur ein Andeuten, es wird nicht tiefer gegraben, wie man es von vielen Talkshows und Skandal-Dokumentationen gewohnt ist. Es bleibt dem Befragten überlassen, und genau in der manchmal nur in der Tonlage eines Wortes erhaltenen Nuance oder dem kleinen Aufflackern einer Erinnerung im Blick steckt das besondere Momentum. So zeigt das Projekt am Ende dann auch, dass man mit kleinen Dingen sehr glüklich sein kann, wenn man der gerade 90 gewordenen Lilli aus Friedrichshafen erstaunt zuhört, wie sie zufrieden und bewegend auf ihr Leben, ihre Schulzeit, und ihre besonderen Momente zurückblickt.

Auszeichnung des Projekts

Schmücken darf sich die Doku-Reihe mit einem der LeadAwards 2011 in der Kategorie Web Special mittlerweile auch. Das Interview Project Germany ist mittlerweile bei Folge 28 angekommen, alle bisherigen Episoden stehen noch auf der Interview Project Germany-Homepage zur Verfügung, und man darf gespannt sein, welche ganz gewöhnlichen und doch besonderen Menschen das Team um Lynch und Jason S. so ausgegraben hat – denn 22 Folgen stehen ja noch bevor.

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