Seit der WM 2006 ist der Markt für Fußballbücher explodiert. Da sich gerade in den Sommertagen der großen Turniere alle Welt für das runde Leder zu interessieren scheint, war der Anreiz, mehr Lesestoff für Fußballinteressierte und -fans zu produzieren, in die Höhe geschossen. Doch viele Fußballbücher – vom biederen Zahlenwerk über die hundertste Sprüchesammlung bis hin zur Autobiographie eines nicht mal in die Jahre gekommenen Nationalmannschafts-Kapitäns – sind Enttäuschungen und reine Geldmacherei. Glücklicherweise gibt es aber auch noch kreative und intelligente Machwerke mit wirklich neuen Inhalten. Eines von ihnen ist der gelungene Versuch mit Mathematik und Physik verständlich, einfalls- und kenntnisreich den Fußballsport zu erklären. Metin Tolans „Manchmal gewinnt der Bessere – Die Physik des Fußballspiels“ ist mittlerweile ein Bestseller. Es folgt eine Rezension über dieses ungewöhnliche Buch.
Aufbau und Inhalt von „Manchmal gewinnt der Bessere“
Metin Tolan teilt sein erfolgreiches Werk in 5 Kapitel auf. In jedem von ihnen werden verschiedene mathematische und naturwissenschaftliche Bereiche und Aspekte des Fußballs zusammengefasst.
Im ersten Kapitel werden die Regeln unter die Lupe genommen und Fragen behandelt, wie spielentscheidend Rote Karten sind und warum eine Abseitsposition in manchen Fällen nur zufällig oder durch gute Erfahrungswerte richtig gesehen werden kann. Auch kann der Autor auf überraschend einfache Weise belegen, warum Fußball ein ausgesprochen ungerechter Sport ist, andererseits aber immer spannender sein wird als beispielsweise Handball, Basketball oder Eishockey.
In Kapitel 2 geht es dann um verschiedene Aspekte der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik im Fußball. Dieser Abschnitt wird vor allem den begeisterten Sportwettern gefallen, da hier die Wahrscheinlichkeiten für bestimmte Resultate oder auch ganze Ligatabellen analysiert werden wie zum Beispiel diejenige, der Bundesliga aus der berühmten Saison 2000/2001, als der FC Schalke 04 Meister der Herzen wurde. Ein weiterer Teil behandelt die Möglichkeiten, Manipulationen zu erkennen, die in den letzten Jahren ja bei einigen Wettskandalen immer wieder aufgetreten sind.
Das dritte Kapitel wird besonders den naturwissenschaftlich interessierten Lesern gefallen. Mithilfe von diversen physikalischen Gesetzen werden Flugkurven von Bananenflanken, Schussgeschwindigkeiten und optimale Einwürfe untersucht. Außerdem versucht Metin Tolan die Ehre des früheren Cottbuser Torwarts Tomislav Piplica wieder herzustellen, dem vor zehn Jahren ein legendäres Eigentor unterlief, als er einen Ball, statt ihn einfach zu fangen, von seinem Kopf ins Tor prallen ließ.
Das kürzeste Kapitel 4 beschäftigt sich mit einigen Fragen zum Unterschied von Frauen- und Männerfußball. Vor allem die oft aufgestellte These, Frauenfußball sei langweiliger als Männerfußball, wird von Tolan untersucht und bestätigt! Bevor man sich als Mann aber mit einem „Hab ich ja schon immer gewusst“ zurücklehnen kann, sollte man auch den folgenden Abschnitt lesen, in welchem ebenso provokant behauptet und erläutert wird, dass Frauenfußball in Zukunft einmal interessanter als Männerfußball sein wird.
Das letzte Kapitel trägt den spannungsgeladenen Titel „So werden wir Weltmeister!“ Dabei überprüft der Verfasser einige der beliebtesten Fragen aus der WM-Geschichte. War das Wembley-Tor 1966 korrekt? Musste es zu der viel beschriebenen „Schande von Gijon“ im Jahr 1982 kommen, als Deutsche und Österreicher einen Nichtangriffspakt schlossen, um jeweils die nächste Runde zu erreichen? Und welche Rolle spielt beim Elfmeterschießen die gewählte Schussrichtung und die Reihenfolge der Schützen? Schließlich wartet Metin Tolan noch mit einer WM-Formel auf, die, wie weiter unten zu lesen sein wird, zum Auslöser seines Buches wurde.
Zwischendurch werden die einzelnen Abschnitte mit passenden Zitaten bekannter Fußballer und Trainer garniert, um fast ungewollt den Zusammenhang zwischen wissenschaftlichen Gesetzen und den im fußballerischen Sprachgebrauch vorzufindenden Gesetzen herzustellen.
Bewertung des Buches
Metin Tolan überrascht dabei immer wieder aufs Neue, indem er zum Beispiel feststellt wie Naturgesetze im Fußball wirken oder wie mathematische Funktionen und Verteilungen überraschend genau mit dem praktischen Geschehen auf dem Fußballplatz vereinbar sind, obwohl eine so exakte Wissenschaft wie die Mathematik doch so häufig als in der Realität nur selten beobachtbar dargestellt wird. So kann die Toranzahl in Bundesligaspielen beispielsweise sehr gut durch eine bekannte statistische Verteilung beschrieben werden, mithilfe der man auch den radioaktiven Zerfall von Atomkernen darstellen kann. Auch kann man durch statistische Methoden sehr gut darlegen, dass die Bundesliga im Vergleich zu anderen großen europäischen Ligen ausgeglichener und damit spannender ist. Die Praxis bestätigt die Theorie dabei erstaunlich oft.
Das Buch überzeugt durch seine gute Erklärungsweise, wodurch Fußballinteressierte aller Gesellschaftsschichten und Branchen angesprochen werden können. Zwar muss man sich zuweilen etwas Zeit für die Formeln und Gesetze nehmen und wer der Mathematik schon in frühen Jahren abgeschworen hat, wird manche Stellen des Buches eventuell gekonnt überspringen. Die Grundaussagen sind jedoch klar dargestellt und mit vielen Beispielen aus dem aktuellen Fußballgeschehen unterfüttert und hinreichend erklärt. Wer Statistikfreak, Zahlenjongleur oder naturwissenschaftlicher Kenner ist und sich wenigstens halbwegs mit dem Fußballsport identifizieren kann, wird ohnehin hervorragend unterhalten und zum Nachrechnen und Ausprobieren der Formeln und Modelle an tatsächlichen Ligatabellen und Ergebnissen animiert. Hier wäre ein ausführlicher mathematischer und datenbezogener Anhang sicherlich noch wünschenswert gewesen. Laien hätten auf diese Weise die Mathematik und Physik des Fußballs noch besser nachvollziehen, Fortgeschrittene ihre Kenntnisse überprüfen können. Allerdings ist „Manchmal gewinnt der Bessere“ natürlich auch ein Unterhaltungsbuch und keine rein wissenschaftliche Publikation.
Der Autor betont in seinem Nachwort dann auch, wie es eigentlich zu diesem Buch gekommen ist. Metin Tolan ist Professor für experimentelle Physik an der TU Dortmund. Als seriöser Wissenschaftler hatte er zuvor schon eine große Anzahl von Veröffentlichungen in Fachzeitschriften vorzuweisen, doch erst als er vor der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland bei einer Vortragsreihe eine WM-Formel vorstellte, stieß er auf breites öffentliches Interesse. Die Vorstellung, wissenschaftliche Erkenntnisse für ein so gesellschaftsbedeutsames Thema wie das Fußballspiel zu sammeln, reizte Tolan, der ohnehin als verwegener Physik-Erklärer bekannt ist, schließlich so sehr, dass er begann, diese Idee für ein von Vielen lesbares und verständliches Buch umzusetzen. Heraus kam eine wirklich gelungene Ausarbeitung über Gesetze und Eigenschaften des Fußballs, die so wohl noch nie zuvor beschrieben und verdeutlicht wurden.
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Hi,
wo kann ich dieses Buch denn bekommen?oder habe ich das überlesen?
Lg Sven
Hallo Sven, das Buch ist 2010 erschienen und wurde 2011 aktualisiert. Man kann es in vielen großen Buchläden oder im Online-Buchhandel erwerben.