Wolf von Niebelschütz (1913?1960)

Wolf von Niebelschütz wurde am 24. Januar 1913 in Berlin geboren. Er entstammt einer schlesisch-böhmischen Adelsfamilie und wuchs in Magdeburg auf, da sein Vater dort nach dem Ersten Weltkrieg eine journalistische Tätigkeit ausübte. Er war das dritte von sechs Kindern und verlebte offensichtlich eine weitgehend glückliche Kindheit in der Zeit zwischen den Kriegen. Er interessierte sich früh für Literatur und Musik, lernte zeichnen und war ein hervorragender Schüler.

1927 wechselte Wolf von Niebelschütz auf das Internat von Schulpforta – in dem auch Friedrich Nietzsche seine Schulbildung erhalten hatte –, wo er sich mit den gehobenen Ansprüchen einer Eliteschule konfrontiert sah, die ihm zuerst durchaus Schwierigkeiten bereiteten. Dennoch bestand er dort 1932 das Abitur und begann ein Studium der Geschichte und Kunstgeschichte (auch sein Vater war Kunsthistoriker) in Wien.

Spätestens seit der Zeit in Schulpforta schrieb Wolf von Niebelschütz Gedichte. Die frühesten hat er später selbst verbrannt, aber während der Studienzeit entstanden die ersten Gedichte, die für gut befunden und auch 1939 in der »Neuen Rundschau« gedruckt wurden. Im Januar 1940 wurde Wolf von Niebelschütz dann zur Wehrmacht eingezogen.

Niebelschütz diente als Feldwebel im besetzten Frankreich und das Schreiben wird zum Fluchtpunkt seiner Existenz. Während er tagsüber Dienst schiebt, verbringt er seine Nächte mit dem Schreiben: Ab 1942 entsteht auf einem Wehrmachtsschreibtisch der Großteil seines ersten umfangreichen Romans: Der Blaue Kammerherr. Galanter Roman in vier Bänden. Der Roman umfasst etwa 1.000 Seiten und spielt im Jahr 1732 in dem erfundenen Inselreich Myrrha im Mittelmeer. Die Handlung ist umfangreich und märchenhaft, umfasst wahre Liebe und edle Abenteuer, Staatshändel und Revolution und ist getragen von einer ganz seltenen Mischung aus Vergangenheitssehnsucht und utopischer Hoffnung:

»Kinder, genießt das XVIIIte Jahrhundert, das XIXte wird fürchterlich. Aber das XXste!« – und sie gruppierte ihre Hand auf der Brust – »gnade Gott Eurer armen progéniture! Wer da wagen wollte, Phantasie zu haben, oder Rang, oder Brillanten, oder ein Pantherfell!«

Das Buch erfuhr sowohl schwärmerische Anerkennung als auch krasseste Ablehnung! 1952 verlieh die Stadt Düsseldorf ihren renommierten Immermann-Preis an Wolf von Niebelschütz, aber das war auch schon beinahe der einzige Höhepunkt seiner öffentlichen Anerkennung. 1950 hatte er einen unerwarteten und einzelnen Erfolg mit seiner Komödie »Eulenspiegel in Mölln« bei den »Festspielen des Nordens« gehabt, aber diesem lokalen Publikumserfolg folgten keine weiteren Aufführungen. Und so lebte Wolf von Niebelschütz beinahe ausschließlich von Auftragsarbeiten: 1954 erschien seine Biographie über Robert Gerling – mit dem beinahe schon komischen Untertitel »Ein dramatisches Kapitel deutscher Versicherungsgeschichte« – und von da an erhielt er regelmäßig Aufträge für Festschriften der deutschen Industrie. Immerhin konnte er sich auf diese Weise bescheidene Reisen nach Italien, Korfu und in die Provence finanzieren, wo er zeichnete und Notizen für seinen zweiten und letzten Roman machte.

Die Kinder der Finsternis spielt im 12. Jahrhundert in der fiktiven Grenzmark Kelgurien, die Niebelschütz zwischen die Provence und das maurische Nordspanien hineinerfindet. Held des Buches ist Barral, ein Bastardsohn des Barons Peregrin von Ghissi, der zu Anfang des Romans als Schäfer lebt und zur Herrschaft über Kelgurien hochgeschwemmt wird. Und Barral erweist sich als kompetenter und guter Herrscher: Er versucht mit allen Mitteln sein Land aus den Umwälzungen der Zeiten herauszuhalten, Kriege zu vermeiden und seine Untertanen zu schützen. Er ist aber auch ein tragischer Held: Alles, was er für andere anfängt, gelingt ihm, alles, was er für sich selbst wünscht, missrät. Das Buch erzählt aber nicht nur die Geschichte des Protagonisten, sondern es enthält auch eine der beeindruckendsten Darstellungen der mittelalterlich-maurischen Kutur in Spanien: Man wird wohl sonst kaum noch ein so einprägsames und zugleich kenntnisreich gezeichnetes Bild von der technischen, medizinischen, kulturellen und ethischen Überlegenheit der islamischen Kultur des Mittelalters finden. Die Kinder der Finsternis ist eines der Musterstücke für das in Deutschland eher vernachlässigte Genre des Historischen Romans. Die eine oder der andere wird sich auf den ersten Seiten an den etwas gehobenen Sprachduktus gewöhnen müssen, aber man wird bald merken, dass es die kleine Mühe lohnt.

Warf ein Baum nicht genügend Frucht, so gingen zwei Männer zu ihm und stritten sich, während er zuhörte, ob man ihn ausroden solle, er trage ja nicht; schon schlug der Eine die Axt stumpf gegen den Stamm, danach mit der Schneide, diesen Schlag fing der Andere ab und bat für den Baum, er werde sich ganz gewiß Mühe geben, wenn man ihm nur ein halbes Jahr Zeit lasse. Erfolg: der Baum bekam Angst, strengte sich an und warf das Dreifache.

Wolf von Niebelschütz starb nur wenige Monate nach dem Erscheinen seines zweiten Romans am 22. Juli 1960 an den Folgen einer Gehirntumor-Operation. Er ist nur 47 Jahre alt geworden und hat zwei bemerkenswerte Bücher der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur hinterlassen. Er passt in keine der großen Tendenzen der Zeit, sondern ragt wie ein Fragment der vorletzten Jahrhundertwende in unsere Welt hinein.

8 Meinungen

  1. „Wen der liebe Gott verurteilt oder begnadet hat, daß er Bücher schreibe – wie man’s halt auslegen will, es ist ebensoviel Last wie Lust dabei – …“Nicht zu vergessen (als Zitat die ersten Worte) ein Opusculum, welches ich als erstes von WvN kennengelernt habe:Die schönen BücherPlaudereien von Wolf von Niebelschütz

  2. Vielen Dank für diese empfehlung des Herrn Niebelschütz! — (An ›alle‹: Bitte weitermachen mit der {wieder- oder überhaupt-}entdecktung dieses autoren. Kann man bitte mal wieder seine gesammelten gedichte und dramen auflegen? — 2013 jährt sich Niebelschütz‘ geburtstag zum 100 male. Spannende frage für mich schon jetzt: wird mans schaffen, diesen autoren über seine beiden großromane hinaus wieder bekannt zu machen?)

  3. alexande reddig

    Niebelschütz ist ein wunderbarer Autor, den man allerdings mit Sicherheit nicht populär machen wird, weil es sich bei seinen Werken mitnichten um das „Genre des Historischen Romans“ handelt, sondern um schärfste Kritik an eine gottlos werdende und inzwischen gottlos gewordene Welt und weil er vor allem die Wurzen des Übels zeigt und die Mechanismen der Machtstrukturen. Er erteilt eine ganz klare Absage an unsere „freiheitlich demokratische Gesellschaft“, die doch nach offizieller Lesart die einzig denkbare Daseinsweise ist. Da ist es schon verwunderlich, daß es überhaupt noch Exemplare seine Romane gibt.P. S. Niebelschütz hätte sich ganz sicher über die wiederholt falsche Deklination des Wortes „Autor“ im Beitrag von Herrn Molosovsky geärgert. Autoren ist immer Plural; also kann man nach der Entdeckung des Autors Niebelschütz nur den Autor Niebelschütz bekannt machen. Wir schreiben ja auch nicht über die Erfindung des Diesel-Motoren und loben auch nicht den Otto-Motoren.

  4. Na, nun mal halblang! Selbst wenn Ihre ideologischen Überlegungen für den Autor beim Schreiben eine Rolle gespielt haben sollten, sollte man sich deswegen ja nicht gleich seine Bücher verleiden lassen, nicht wahr? Niemand liest heute etwa Kleist, weil er ein Franzosen-Fresser erster Güte war, sondern weil er ein brillanter Autor war, der artistisch hervorragende Texte geschrieben hat. Und Niebelschütz erteilt, wenn schon denn schon, dem gesamten »Projekt Moderne« eine Absage – das muss die Leser aber gar nicht weiter stören. »Historische Romane« sind es dennoch, denn das entscheidet sich nicht entlang der wirklichen oder vermeintlichen Ideologie des Autors, sondern an ganz formalen Dingen. P.S.: Ihr Umgangston wenigstens hätte Niebelschütz wohl nicht gepasst.

  5. Herr Reddig, dass ich zuweilen schlampig daherschreib weiß ich eh. Kommentieren in Blogs ist aber nun mal kein Buchstabierwettbewerb. Für den Mehraufwand an Entzifferungsleistung entschuldige ich mich — zwangsumerzogener Linkshänder und Legastheniker ehrenhalber — aber dennoch.Ansonsten: sehr richtig Herr Bonaventura, müsste man Schriftsteller erstmal mit dem ideologischen Schmonzes-Detektor abscanen, dann würde wohl vieles Draussen bleiben müssen. Ja, Niebelschütz pflegte seine naiven Antimodernismus, ist mir aber als christlich inspirierter Autor noch einer der Liebsten aus der Schublade. Ich kann nur anregen, einmal z.B. Niebelschütz und Tolkien nebeneinanderzuhalten. Beides Christen, beide gegen den Moloch Moderne, der erste ein Barock-Freak, der zweite ein Angelsachsen-Geek. Na und? Heutzutage mögen andere Leut hipp sein.Niebelschütz ist und bleibt (für mich) einer der ganz großen Phantasten des letzten Jahrhunderts. Seine Sprache, seine Musikalität und seine überwältigenden Weltenpanoramen warten bis heute auf würdige Anknüpfer an derartige Traditionen. — Am ehesten reichen für mich die beiden (ideogisch wo anders als WvN stehenden) Herren Krausser und Herbst an die Klasse von Niebelschütz heran.

  6. zunächst einmal herzlichen dank an bonaventura für die von ihm ausgegrabenen und zusammengestellten infos. beklagenswert, dass der historische roman als genre in D eine nahezu zu vernachlässigende grösse ist. dies gilt jedoch in dieser ausschliesslichkeit nur für die gegenwart sowie, in der vergangenheit, für die alte bundesrepublik. in der DDR war der historische roman durchaus eine wichtige gattung der literatur. sicherlich und zugegebenermassen auch als mittel der verbreitung der „marxistischen geschichtsbetrachtung“. dies mindert jedoch nicht das literische werk vieler autoren und die qualität ihrer werke. gerne erinnere ich mich daran, bei meinen reisen in die damalige DDR immer sehr viel zeit beim stöbern nach historischen romanen in den buchhandlungen der verschiedenen städte zugebracht zu haben. als beispiele für diese literaturgattung darf ich hier nur „der narrenkanzler“ von gerhard schmidt und „die ketzer von prag“ von vaclav kaplicky anführen. jenseits aller ideologie gaben sie doch einem breiten publikum einen einblick in die lebensverhältnisse früherer epochen. die ideologische ausrichtung der autoren, wenn wir es denn überhaupt wagen können sie zu beurteilen, bleibt bedeutungslos, ebenso wie im falle wolf von niebelschützs. wolf von niebelschütz als autor eine demokratie-feindliche grundeinstellung zuzuschreiben, ist freie interpretation, und zudem für die bewertung seines werkes unerheblich. passt mir ein buch nicht, oder fühle ich mich beim lesen vom autor in eine bestimmte richtung gedrängt und somit als denkender mensch nicht ernst genommen, lege ich das buch nach wenigen seiten weg. bei wolf von niebelschützs werken ist mir das sicherlich nicht passiert. hervorragende literatur nach meinem geschmack!ps: hier eine debatte über rechtschreibung und grammatik zu führen, halte ich für kindisch. der dativ ist dem genitiv sein tod!

  7. Zu Niebelschütz:Das hier wird Sie vielleicht interessieren; es relativiert entschieden die Meinung, Niebelschütz sei poetologisch dem vorletzten Jahrhundert zuzuschlagen: href=“http://www.die-dschungel.de/ANH/download/download.php?URL=../txt/pdf/niebelschuetz.pdf“Das Typoskript eines beim DeutschlandRadioBerlin vor elf Jahren produzieren und ausgestrahlten Hörstücks über Niebelschütz finden Sie wiederum >>>> hier: http://www.die-dschungel.de/ANH/download/download.php?URL=../txt/pdf/der_blaue_kammerherr.pdfBesten Gruß ANHhttp://albannikolaiherbst.twoday.net

  8. Wie schön zu erfahren, daß auch Andere dem Glanz der Sprache und der Phantasie dieses wundervollen, in der öffentlichen Wahrnehmung so „verstaubten“ Autors (nicht etwa Autoren 😉 noch heute etwas abgewinnen können.Zu einem hier im Blog bisher nur angedeuteten Aspekt seines Schreibens: Als seinerzeit der – sicherlich ebenso wunderbare – Roman „Hundert Jahre Einsamkeit“ von Gabriel Garcia Marquez erschien und sämtliche Rezensenten, von einander abschreibend, die kolossale Fabulierkunst Marquez‘ bewunderten, seine Fähigkeit, „übernatürliche“ Begebenheiten so nahtlos und natürlich in den Realismus der Handlung einzubinden, und als diese Fähigkeit schließlich als genuin lateinamerikanisch, nur dort und nigendwo sonst möglich konstatiert wurde, da schoß mir als Erstes durch den Kopf: Ja hat denn nicht der Ur – Europäer Niebelschütz schon in den 50ern in zwei Romanen gezeigt, daß – und wie das geht???Nun, er ist nicht nur damit, sondern auch mit seiner Ideologie – Ferne (die ihm natürlich die Feindschaft der Ideologen aller Lager einbringt) hierzulande noch ohne würdigen Nachfolger. Es reicht einfach nicht, wie Krausser, den leibhaftigen Thanatos zwischen einige Kapitel einzufügen.

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