Ich bilde mir ein, ihn dort sitzen zu sehen. Da, wo sie alle nicht miteinander reden wollen, wo sie fast ausschließlich Selbstgespräche führen und sich gegenseitig gern nicht mal eines Blickes würdigen. Wo man ruhelos herumhängt, mit sich selbst und seinen Grübeleien. Wo man von den "alten Zeiten" und den anderen Erinnerungen lebt. Wo man sich heimlich in die mit und die ohne Nobelpreis einteilt. Im Pantheon der großen Dichter.
Als er 1973 gestorben war, wunderte er sich ein wenig, sich hier wiederzufinden. Seine offizielle Ehefrau hat es nicht ganz bis hier her geschafft. Der Schwiegervater schneidet ihn. Das Pantheon ist nicht das Paradies. „Nicht mal einen einzigen richtigen Roman hat er zustande gekriegt," lästern die hinterhältigen Kollegen nicht unneidisch hinter ihm her. Hier interessiert es kaum jemanden, dass Auden auch popkulturell noch immer stattfindet auf der schnöden Erde. Vor Jahren klopfte ihm nur Hermann Hesse auf die Schulter, als sein Gedicht „Funeral Blues" in einem sehr sympathischen und überraschend erfolgreichen Film auf herrlich ergreifende Weise deklamiert wurde. Nach dem 11.September 2001 wurde sein „September 1, 1939" wie wild zitiert. Und keiner der Mitbewohner weiß zu schätzen, dass eine Carla Bruni jetzt u.a. seine Gedichte singt ("Lady Weeping at the Crossroads" und „At last the secret is out"). Auch Yeats' Worte hat Frau Bruni vertont. Mit ihm wechselt Auden manchmal ein paar mythische Worte. „Poesie kann nichts bewirken", brummelt er immer wieder gern. Mal streitet man ein bisschen, mal plant man, „irgendwann mal was zusammen zu machen".
An Sonntagen trifft man sich am runden Tisch zu „politischen Gesprächen", über die sich Oscar Wilde gerne lustig macht. Da reden sie sich die Köpfe heiß, pflegen jahr(hundert)elange Allianzen oder zerstreiten sich in neue Bündnisse. Die Götter müssen verrückt sein. Von Goethe, den er ja mal übersetzt hat, hält Auden sich fern; Der will ihn dauernd aufklären. So kommt es, dass sich alle langweilen. Weil nicht mal Sarkasmus hier noch Spaß macht. Denn nun sind sie ja alle selbst zu Göttern geworden. Und doch (oder deswegen) müssen sie jede(r) hat auf seine/ihre Weise noch immer über Religion streiten. Einig sind sie sich nur im Warten auf die „Neuen". Aber es sind nur wenige, auf deren Einzug ins Pantheon (=Tod) sie hier hoffen können.
Letzte Woche, am Valentinstag, haben sie sich mal nicht gestritten oder ignoriert. Sondern alle mal wieder richtig gelacht. Man traf sich, um sich über diesen Tag lustig zu machen und gab kleine Histörchen zum Besten. Auch Auden war guter Dinge und erzählte die Anekdote, wie ein Liebhaber sich darüber beschwerte, dass er für einen Poeten reichlich unromantisch sei. „If it's romance you're looking for", hatte er geantwortet, „go fuck a journalist." Nach minutenlangem Kichern hat er alle Götter -Kollegen eingeladen, am 21.Februar mit ihm auf seinen Hundertsten anzustoßen.
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