„Streitschriften“ und Bücher, die gesellschaftliche Diskurse auslösen gab es in vergangenen Jahren häufig.
Thilo Sarrazins „Deutschland schafft sich ab“, entzweite das Land über Fragen zur Integration. Bernhard Bueb veröffentlichte 2006 das Buch „Lob der Disziplin“. Paartherapeut Arnold Retzer lobte drei Jahre später die „Vernunftehe“.
Melanie Mühl, Redakteurin bei der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, will in ihrem Buch „Die Patchwork-Lüge: Eine Streitschrift“ auf die, ihrer Meinung nach, schwierige Situation von Scheidungskindern hinweisen.
„Die Patchwork-Lüge“ löst eine Familien-Debatte aus
Der Hanser-Verlag bewarb das Sachbuch mit dem Satz „Ein unzeitgemäßes Buch, das eine längst fällige Debatte auslösen wird.“ Die Debatte gab es in jedem Fall: Mühls Buch wurde in den Feuilletons und Talkshows dieses Landes kontrovers diskutiert. Kritiker sahen in der „Patchwork-Lüge“ eine konservative Rückbesinnungsfantasie, während Befürworter das Werk dafür feierten, dass es der Gesellschaft die Scheuklappen vor dem Thema herunterriss.
Die zentrale These von Mühls Buch ist einfach: Das Modell der Patchwork-Familie funktioniert nicht und schadet den Kindern. Trotzdem wird es von den Medien idealisiert und zur Nachahmung empfohlen. Dass eine solche Behauptung zu simpel ist um wahr zu sein ist, dürfte jedem auffallen, wahrscheinlich sogar der Autorin. Aber eine Streitschrift soll ja durchaus einseitig sein.
Die Patchwork-Lüge als Gefahr für die Gesellschaft?
So präsentiert Mühl Statistiken und Untersuchungen, die alle Belegen, dass Scheidungskinder sehr unter ihrer Situation leiden. Psychologische Schäden seien häufig die Folge und ziehen weitere Probleme für das spätere Leben nach sich, so die Autorin. Aber gemäß dem Motto: „Traue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast“, lassen diese Daten durchaus auch andere Schlussfolgerungen zu.
Recht hat die Autorin damit, dass die Patchwork-Familie in den Medien zu oft als paradiesisches Beziehungsmodell verkauft wird. Was im TV von der zusammengewürfelten Familie erzählt wird, „ist einfach immer nur bunt und lustig und Sommerferienlagerhaft.“ Indem die Flickenteppich-Familie immer weiter propagiert wird, leiden immer mehr Kinder, was Melanie Mühl als große Gefahr sieht: „Wir sprechen nicht über ein paar Kindheitstraumata, die nur die Persönlichkeit Einzelner betreffen, wir sprechen über nicht weniger als den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.“
Beziehungstipps aus den 50ern?
Mit Prophezeiungen dieser Art mag sich die Autorin, selbst Scheidungskind, ein wenig zu weit aus dem Fenster gelehnt haben. Auch ihr Rat wie die Situation für Kinder verbessert werden könne, lässt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. „Eine Beziehung kann halten, wenn man es nur wirklich will. Und Kinder wollen eben, dass die Eltern sich gefälligst Mühe geben,“ sagte sie in der ARD-Sendung „Hart aber fair“. So etwas klingt eher nach einem Zitat aus einem katholischen Beziehungsratgeber von 1950, als nach einem Beitrag zur zeitgenössischen Familien-Debatte.
Bei aller Kritik muss man Melanie Mühl auch zugute halten, dass sie sich an ein kontroverses Thema herangewagt hat, das viele Menschen betrifft. Mit Recht entzaubert sie den Nimbus der Patchwork-Familie und macht deutlich, dass dieses Modell nicht das Nonplusultra des Zusammenleben für Kinder ist. Insofern hat das Buch „Die Patchwork-Lüge“ eine wichtige Debatte angestoßen, kann aber als tiefgreifende Untersuchung nicht überzeugen.