zwischen Schreibblockade und Schuldgefühl der Überlebenden ? Romane über den 11.September 2001

Fünf Jahre ist es her und doch hat sich der Staub noch längst nicht gelegt. Dieser Tage ist die Endlosschleife der hundertfach gesehenen, aber noch immer schwer zu begreifenden Bilder von brennenden und zusammenstürzenden Zwillingstürmen auf unsere Bildschirme zurückgekehrt.

Indirekt ist inzwischen fast jeder neue Roman davon beeinflusst. Der große Zeit der Romanthemen mit starker Tendenz zu hedonistischen/provozierenden/zynischen Themen ist vorbei. Teilweise gleitet man nun ab in stark abstrahierte Randthemen der Anschläge wie die Suche nach Gott. Oder man zieht sich lieber erst mal in historische bzw futuristische Romane zurück. Nur vor epischen Geschichten rund um diesen konkreten Tag scheut man zurück. Denn die unmittelbare Auseinandersetzung damit ist wohl eine der größten literarischen Herausforderungen unserer Zeit. Zu dicht das Netz aus politischen, sentimentalen, verschwörungstheoretischen. voyeuristischen, patriotischen oder blutigen Fettnäpfen. Zu klein der Raum für Fiktionen. Schließlich war jeder Leser "dabei". Aber trotzdem dürfen Schriftsteller vor dem Thema nicht kapitulieren wollen. Und mit größer werdendem zeitlichen Abstand scheint es auch so langsam ins literarische Rollen zu kommen.

Investmentbanker, Kinder, Feuerwehrmänner und Terroristen sind die "Helden" der meisten Geschichten über diesen Dienstag. Da die Opfer, dort die Täter und hier die Grauzonen.

Ende 2003 gewann Frédéric Beigbeder mit „windows on the world" das Rennen um das erste große fiktionale Buch mit expliziter 9/11-Thematik. Als Werbefachmann kannte er sich ja aus mit unique selling points. Noch eine weitere Rechnung ging auf: Die Qualität war erst mal zweitrangig. Denn das erste Buch konnte eben einfach nur das erste sein und bleiben – es musste sich der Suche nach dem besten gar nicht mehr wirklich stellen. Ein für Literatur ungewöhnlich emotionales Presseecho hob die Verkaufszahlen auf ein kassenklingelndes Level, wenn das Buch auch schnell wieder in der zweiten Reihe verschwand. Wo es seitdem mit seinen eigenen Schwierigkeiten kokettiert: „Man kann über das Thema nicht schreiben, aber man kann auch über nichts anderes schreiben." (S.16 in der gebundenen dt. Ausgabe, Ullstein-Verlag, 2004)

Die generellen Schreibblockaden vieler Autoren waren durchaus nachvollziehbar und vielleicht sogar unumgänglich. Inzwischen gibt es aber weitere medial begleitete (und bessere) Neuerscheinung zum Thema. Unter ihnen die Bestseller von Jonathan Safran Foer („Extrem laut und unglaublich nah") und Ian McEwen („Saturday"). Aus dem deutschsprachigen Raum wagten sich bislang Autor(inn)en wie Pia Frankenberg („Nora"), Katharina Hacker („Die Habenichtse") und Thomas Hettche („Woraus wir gemacht sind") in die Nähe des heißen Eisens.

Schließlich tun sich auch Filmemacher und Musiker noch immer schwer mit künstlerischer Verarbeitung des Traumas. Doch auch wenn der Hunger danach groß war und ist – wozu die Eile? Auf Geschwindigkeit kann es nicht ankommen dürfen. Wir werden noch viele Romane dazu vorgelegt bekommen und vielleicht erscheint der ganz große erst in zwanzig oder dreißig Jahren. Vielleicht wird die literarische Inkubationszeit länger, je größer und näher die Tragödie ist. Und doch wird es nicht zu spät sein, menschliche Facetten herauszuarbeiten. Denn der Fakten werden wir müde werden. Irgendwann werden wir glauben, die große Geschichte dieses Tages zu kennen. Spätestens dann kommt die Zeit für dessen kleinere Geschichten. Zeit für deren große Themen wie Angst, Verlust, survivor guilt, Verdrängung, Ohnmacht und Liebe. Zeit, zu fühlen, noch einmal zu erschaudern und zu trauern. Und zu heilen.

Der Roman ist tot – es lebe der Roman!

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