Tell el-Amarna: Die Stadt, die ein neues Zeitalter markieren sollte und im Sand vergessen wurde

Tell el-Amarna ist keine zwanzig Jahre lang bewohnt worden. Die Stadt, die von Echnaton, dem früheren Amenophis IV., aus dem Wüstensand gestampft worden ist, diente dem Kult des Sonnengottes Aton. Der Pharao hatte Aton zum einzigen Gott gemacht und die anderen mächtigen Götter sowie ihre noch mächtigeren Priester entmachtet.

Die Verehrung Atons brauchte einen kultisch reinen Platz. Achet-Aton, so der ägyptische Name der Stadt, wurde in der Wüste zwischen El-Minia und Asyut errichtet, weil am Horizont Berge in die Höhe ragten, die aussahen wie die ägyptische Hieroglyphe für „achet – Horizont“, ein Tal mit zwei Berghängen. Sie sollte helfen, die alte Hauptstadt, Theben, und ihre gewaltigen Tempel für andere Götter zu vergessen, ein Neuanfang sein und den Weg ebnen für den Glauben an einen einzigen Gott, eine neue Kunst, eine neue Architektur– eine neue Welt.

Der Traum währte nur kurz. Nach dem Tode Amenophis IV. wurde Tell el-Amarna wieder verlassen, vom Sand bedeckt und geriet in Vergessenheit. Die ramessidischen Herrscher, die nach Echnaton das Land regierten, betrieben eine besondere Art der Vergangenheitsbewältigung: Damnatio memoriae – die Verdammung der Erinnerung. Die Tempel und Bauten wurden geschliffen und für andere Monumente verwendet, die Namen Echnatons und der Seinen wurden aus Steinen, Reliefs, Listen, Sarkophagen… aus allem rausgehauen, was erreichbar war, damit diese Epoche der Vergessenheit anheimfiel.

Die Entdeckung von Achet-Aton

Dies funktionierte Jahrtausende, bis 1714 Claude Sicard, ein französischer Jesuit und Reisender über eine der vierzehn Grenzstelen, die die Stadt begrenzen, schrieb. In den folgenden Jahrhunderten haben sich nahezu alle namhaften Entdecker des Alten Ägyptens mit Amarna beschäftigt: Napoleons berühmtes „corps de savants“ veröffentlichte einen detaillierten Stadtplan in „Description de l'Égypte“ – das erste umfassende Buch über das Reich der Pharaonen, welches den Anstoß zur Ägyptomanie gab; des Weiteren gruben und berichteten die Königlich Preußische Expedition Richard Lepsius“, Flinders Petrie, die Deutsche Orientgesellschaft unter der Leitung Ludwig Borchardts, Barry Kemp, die Egypt Exploration Society etc.

Echnaton- ein Revolutionär oder Ketzer?

Echnaton war der Sohn des Pharaos Amenophis III. und der Königin Teje. Ursprünglich nur zweiter in der Thronfolge wurde er unverhofft durch den frühen Tod seines Bruders Kronprinz.

Um ca. 1350 v. Chr. wurde er gekrönt. Es gab lange Zeit Spekulationen, ob er zu diesem Zeitpunkt bereits ein langjähriger Mitregent seines Vaters war; dieser Theorie steht die heutige Forschung jedoch eher ablehnend gegenüber.

Seine „Große königliche Gemahlin“ war die wunderschöne und sehr berühmte Nofretete, mit der er sechs Töchter hatte. Ihre Beziehung war, soweit sich das rekonstruieren lässt, wohl jahrelang sehr innig, aber in ihrem 14. Jahr gab es vermutlich einen Bruch aufgrund dessen sich Nofretete zurückzog. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass Nofretete vor ihrem Gatten gestorben sei.

Eine weitere überlieferte Gemahlin ist die „Große geliebte Frau des Königs“ Kija. Es wird spekuliert, sie habe mit Nofretete in erbitterter Konkurrenz gelebt, aber dafür gibt es keine Beweise. Möglicherweise ist sie eine Mitanni-Prinzessin gewesen, die Amenophis III. von seinem Vater übernommen habe.

Die Gründe für Echnatons Handeln sind unklar. Wurde er lange Zeit einfach als ein fanatischer „Spinner“ betrachtet, ist heute klar, dass die Anfänge des Sonnenkults im Neuen Reich schon früher in der XVIII. Dynastie begannen, wahrscheinlich unter Hatschepsut, und unter Amenophis IV. lediglich ihren Höhepunkt erreichten; der den Atonkult möglicherweise auch als politische Strategie nutzte, um die Macht der immer stärker werdenden Amunpriester zu brechen – die in der XXI. Dynastie einen Gottestaat errichteten, und insofern schon damals eine starke politische Bedrohung gewesen sein mussten.

Atonkult-Monotheismus oder Henotheismus

Im Gegensatz zum Monotheismus werden im Henotheismus, neben dem einen hochgestellten Gott, auch noch andere untergeordnete Götter verehrt.

Lange Zeit wurde davon ausgegangen, dass der Atonkult eine rein monotheistische Religion gewesen sei, in dem andere Götter geächtet und Andersgläubige verfolgt worden sind. Aufgrund vieler Funde von anderen Götterstatuen in Achetaton, ist davon auszugehen, dass diese Verfolgungen zumindest nicht konsequent erfolgt sind.

Tell el-Amarna

Die Wüstenstadt war durch vierzehn in den Fels gehauene Grenzstelen abgegrenzt, die von der Gründung der Stadt im fünften Regierungsjahr des Königs berichten und ein Relief der königlichen Familie beim Verehren von Aton zeigen. Oftmals waren diese Stelen durch Statuen der Herrscherfamilie umgeben.

Wie viele antike Städte war auch Achetaton entlang einer Hauptstraße gebaut, die parallel zum Nil verlief, und als Königsstraße bezeichnet wird. Im Zentrum der Polis befanden sich die sogenannten „öffentlichen Gebäude“: das Palastareal, der große Aton Tempel, der kleine Aton Tempel, der große Pfeilersaal, die Königsvilla, Archive, Magazine, Polizei, Militär, Büros und Werkstätten. Die Tempel hatten einen anderen architektonischen Aufbau als bisher. Sie wurden charakterisiert durch eine Dreiteilung und, im Gegensatz zu den vorherigen, waren sie hell und offen, sodass die Sonne jederzeit hereinscheinen konnte.

Anhand der Ruinen und Fundstücke, die einen fantastischen Einblick in das Alltagsleben der Alten Ägypter geben, lässt sich rekonstruieren, dass die Stadt einst reich geschmückt war. Es muss viele Statuen und Malereien gegeben haben sowie in den Boden eingelegtes Glas und Fayence.

Nördlich des Stadtzentrums befindet sich ein wunderschöner Palast, genannt „Der Nordpalast“, der zunächst für Nofretete oder Kija gebaut worden ist, später aber von der gemeinsamen Tochter Nofretetes und Amenophis IV., Meritaten bewohnt worden ist.

Im Süden und Norden des Zentrums befanden sich die eigentlichen Wohngebiete.

Im Süden der Stadt befand sich ein sehr großes Gebäude, Maru Aton, dessen Funktion nicht geklärt werden konnte. Bedauerlicherweise wurde es in den 60er und 70er Jahren des vorhergehenden Jahrhunderts für den Bau einer Bewässerungsanlage zerstört.

Die Amarnabriefe

1887 fand eine Fellachin bei der Beackerung ihres Feldes Tontafeln, die sie zunächst an ihren Nachbarn verkaufte. Dieser zerbrach die wertvollen Stücke und bot sie mehreren Antiquitätenhändlern an. Die Händler lehnten diese jedoch als Fälschung ab. Der Grund dafür waren die merkwürdigen Schriftzeichen auf den Tafeln. Diese waren nämlich nicht in Mittel- oder Neuägyptisch geschrieben, sondern zum größten Teil auf Akkadisch, d.h. es ist Keilschrift verwendet worden. Akkadisch wurde lange Zeit in Mesopotamien und Syrien gesprochen und galt als die Lingua Franca der damaligen Zeit. Und genau dies macht den unglaublichen Wert der Tontafeln aus, von denen inzwischen über 400 entdeckt worden sind. Sie sind Kopien der außenpolitischen Korrespondenz in den letzten Jahren unter Amenophis III. und Amenophis IV. In dieser Zeit stand Ägypten in politischem Kontakt mit Babylon, Assyrien, dem Mitanni-Reich, Alasija (Zypern), Arzawa (Ephesus), Hethiter (Anatolien), Askalon, Byblos, Damaskus, Megiddo, Gezer, Jerusalem etc. Der Inhalt handelt von diplomatischen Fragen, z.B. fordern kleinere Staaten Waren und Gold von Ägypten und bieten im Gegenzug ihre Loyalität, dynastische Probleme und Vermählungen, rechtliche und militärische Aspekte, Allianzen, Handel und Geschenksendungen. Die Tontafeln geben einen ausgezeichneten Einblick in die politische Situation der Länder des Nahen Ostens.

Auffallend ist, dass der Pharao verschiedenen Aufforderungen, wie z.B. die Bitte um militärische Unterstützung bei Überlebensfragen kleinerer Staaten nicht nachgekommen ist. Dies hat lange zu der Ansicht geführt, dass Amenophis IV. sich lediglich der Kunst und Religion widmete, und darüber hinaus die politischen Aspekte des Landes vernachlässigte. Diese Betrachtung hat sich jedoch inzwischen gewandelt. Heute herrscht die Überzeugung vor, dass der Pharao nicht aus Desinteresse, sondern aus machtpolitischem Kalkül Staaten unterstütze oder zugrunde gehen ließ. So verfolgten sie vermutlich eine „Balance of Power“ in Vorderasien.

Die Gräber

Nordöstlich der Stadt, in den Bergen, befinden sich viele Felsgräber. Die Nekropole wurde ausschließlich für hochrangige Beamte und Mitglieder der königlichen Familie erbaut; viele der einzigartigen Wandverzierungen sind unglaublich gut erhalten und zeigen ungewöhnliche Einblicke in das Alltagsleben der antiken Stadt.

Echnaton selbst hat sich auch in der Nähe seiner geliebten Stadt beerdigen lassen. Sein Tod wird in sein 17. Regierungsjahr datiert, die Ursache ist jedoch unbekannt. Sein Grab ist vermutlich für ihn, seine Mutter Teje, Nofretete und seine Tochter Meketaten hergerichtet worden. Es wird heute davon ausgegangen, dass er zunächst auch dort eine „vorläufige“ letzte Ruhe fand, später ist das Grab jedoch so geschändet worden, dass die Spekulationen über seinen endgültigen Verbleib noch anhalten.

Die Büste der Nofretete

Die Büste der Nofretete ist 1912/13 von der Deutschen Orient-Gesellschaft unter der Leitung von Ludwig Borchardt in der Werkstatt des Oberbildhauers Thutmosis gefunden worden. Die Werkstatt zählt zu einem der wichtigsten Fundplätze Ägyptens, und zwar nicht nur, weil die Büste der schönsten Frau Ägyptens dort zutage trat, sondern weil es auch der größte Fundplatz für die spezielle Amarnakunst ist. Des Weiteren gibt diese Werkstatt tiefgreifende Einblicke in die Bildhauerei des Alten Ägyptens.

Die Amarnakunst

Die Kunst dieser Epoche ist nicht nur durch die Kalksteinbüste der Nofretete weltberühmt geworden, sondern auch durch einen gänzlich anderen Kunststil, der sich von allem vorherigen abgrenzt. Sie löste sich von dem vorherigen archaisch-steifen Proportionskanon und suchte sich neue Formen, die die Archäologen besonders bei Echnaton als „entartet“ und „hässlich“ empfanden. Es wirkt als eine stetige Verzerrung und Übersteigerung der Form- der Pharao hat ein langes, schmales Gesicht, schräg sitzende Augen, aufgeworfene, wulstige Lippen, einen hageren Hals, hängenden Bauch, ausladende Hüften, fette Oberschenkel und ansonsten dünne Extremitäten.

Für diese Darstellung gibt es verschiedene Erklärungsansätze: Entweder der König wollte sich von dem bis dato herrschenden Formalisierungen und Kanonisierungen so extrem lösen, dass das Pendel ins absolute Gegenteil ausschlug oder er litt unter einer Krankheit, wie z.B. dem Marfan-Syndrom, zu dem die uns bekannten Symptome passen könnten. Eine weitere in Betracht gezogenen Lösung ist die Annahme, dass er sich androgyn darstellen ließ, weil Aton auch immer Vater und Mutter zusammen verkörperte. Diese Diskussion kann zurzeit aber nicht abschließend geklärt werden.

Weitere Kennzeichen der Amarnakunst sind die Individualisierungen vieler Personen, das Zeigen von intimen Familienbildern oder auch die starke Position der Frau.

Die Zeit danach…

Nach dem Tod des „Querdenkers“ wurde Semenchkare der nächste Pharao auf dem Horusthron. Die Person des Semenchkare ist stark umstritten, zum einem ist bisher nicht geklärt, in welchen Verwandtschaftsverhältnis er zu den Herrschern der XVIII. Dynastie steht, noch wer er überhaupt war. Tatsache ist aber, dass er Meritaton ehelichte, die vorher einen Konkurrenzkampf mit Kija geführt hatte. Einige Phantasten schlagen immer wieder vor, dass er eigentlich Nofretete war, die unter einem männlichen Namen den Thron bestieg. Er reagierte nur kurz; sein Nachfolger wurde Tutanchamun, der ursprünglich Tutanchaton hieß, und die Hauptstadt zurück nach Theben verlegte.

Tourismus

Aufgrund der Tatsache, dass die Gebäude schon in der altägyptischen Zeit bis auf die Fundamente wieder abgetragen worden sind, und der Wind seit den letzten Ausgrabungen die Fundamente wieder bedeckt hat, sollte die Erwartungshaltung bei einem Besuch nicht zu hoch sein.

Außerdem befinden sich die Ruinen in einem heute politisch unruhigen Gebiet Mittelägyptens. Aber viele der gut erhaltenen Gräber sind zur Besichtigung freigegeben, die Grenzstelen sind nach wie vor sichtbar und einige Gebäude lassen sich auch noch gut in ihren Fundamenten betrachten.

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