„Relikt der Achtundsechziger und Kramladen der Gegenkultur" nannte die taz einst das Frankfurter Medienversandhaus. Und wirklich ist „Zweitausendeins" auf unnachahmliche Art zwischen klassischen, esoterischen und linken Inhalten glaubwürdig und marktwirtschaftlich erfolgreich zugleich geblieben. Trotz eines gewissen Bedeutungsverlusts halten sie die Nische. Immer nah am Anachronismus, mit einem Schuss hippie-esker Nostalgie und eben doch auch am Puls der Zeit haben sie alles überlebt: den Niedergang der Schallplatte, die deutsche Wiedervereinigung, die Einführung des Internet, das Ende der D-Mark, die Raubkopien-Mode und das Jahr mit dem Firmennamen. Von 40 Millionen Euro Jahresumsatz ist die Rede. Noch immer wird fast die Hälfte davon mit Büchern erzielt.
Taufrisch seit 1969
1969 zog man aus, den oppositionellen Buchmarkt zu erobern. Mit Hilfe alternativer Konzepte und in (copyrightproblem-bereinigter) Tradition der Raubdruckerbewegung. Schnell gelang es, sich aus dem subkulturellen Schatten zu entwickeln und mit Restauflagen und eigenen Nachdrucken Geld zu verdienen. Zumindest nach außen hin blieb man sich weitgehend treu. Pflegte das Image als kauziger Außenseiter in der großen Medienversand- und Verlagswelt. Heim für Individualisten. So schaffte man mit interessanter Programmauswahl, unkonventionellem Auftreten und lässigen Preisen den Sprung aus der Steinzeit alternativer Handelshäuser in die Herzen der Studienräte. Bei „Zweitausendeins" ist sogar die Bestsellerliste ein echter Stöber-Spaß. Und hin und wieder gelingt die Entdeckung kleiner Perlen abseits der ausgetretenen Pfade.
Neben einer über die Jahre erreichten und fast schon sprichwörtlichen Kundenbindung heißt das Zauberwort Direktmarketing. „Zweitausendeins" steht heute als eine Art Bio-Hofladen des revolutionär angehauchten Medien-Konsumenten da. Da fällt es schwer, an Kommerz-mit-Herz-Plattitüden vorbeizukommen. Glaubwürdig und profitabel, geradlinig und fortschrittlich, günstig und gut. Und immer mal wieder richtig hip. Taufrisch seit 1969 ist der knappe Slogan. Und knapp hat hier Methode. So gibt es eine überschaubare Anzahl von Haus-Autoren. Faire Preise. Übersichtliche Hierarchien. Und auch der (sehr überzeugende) Internetauftritt kommt ohne viel Flash und Farben aus.
Merkheft
Schon mehr als nur knapp, nämlich fast schon billig kommt der Katalog daher. Wäre dieses billig nicht auch außergewöhnlich charmant und aufs Äußerliche beschränkt. „Wer im nächsten Jahrtausend einmal wissen will, was wir wirklich gelesen, gehört, gesehen, gekauft, verschenkt, verwünscht, verflucht und gepriesen haben – die mittlerweile 156 Nummern werden es ihm sagen. Und nicht nur sagen, sondern vorposaunen, eintrommeln, abfiedeln, mit Pauken & Trompeten vorspielen und, vor allem, mit jeder Menge E-Gitarren…", huldigte Matthias Politycki einst dem in geraden Monaten erscheinenden Versandhauskatalog. Und so wurden alte Ausgaben sogar zu Sammlerobjekten, für die einem schon mal jemand ein paar Euro bezahlt. Wo sonst gibt es einen Katalog, den man bestens unterhalten von vorn bis hinten durchlesen kann, der dazu komische und traurige, ironische und sachliche Elemente bietet?
Das schon derart legendäre Merkheft (Hauchdünnes Papier im Kleinstformat und Mini-Buchstaben, mit wenig Abbildungen, in konsequentem schwarz/weiß) gibt's inzwischen auch als (den Papier-, Druckerschwärze- und Kostenverbrauch weiter verknappenden) Download. Dieses unscheinbare Heft kann wenigstens ein ganz kleines bisschen über all die Bücher hinweg trösten, die man nie zu lesen schaffen wird. Und beim Durchblättern schmeckt die klischee-gesüßte Kanne fair gehandelten Tees gleich noch besser.
Im 21.Jahrhundert
Doch inzwischen gibt es auch 13 Läden. Und es sollen noch mehr werden. So kündigen es zumindest die Gebrüder Kölmel (siehe Aufstieg und Fall von „Kinowelt") an, die "Zweitausendeins" im letzten Jahr gekauft haben. Ein Verkauf, der für reichlich Besorgnis unter den treuen Kunden führte. Wie er sich langfristig auf die Marke „Zweitausendeins" auswirken wird, bleibt abzuwarten. Bislang sollte man nur sicher sein können, dass der Filmabsatz auf der Prioritätenliste nach oben geklettert ist.
Solange die Mischung aus zeitgeistgerechter Anpassung an die Kundenwünsche und dem Festhalten an bewährten Konstanten (wie dem fast schon bibel-ähnlichen Katalog) gelungen bleibt, wird "Zweitausendeins" uns wohl erhalten bleiben können.
Website: www.zweitausendeins.de
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Sehr schöner Artikel, aber:“… nach fast 50 rebellischen Jahren …“2007 – 1969 = ? 😉
oh, wie peinlich… – Danke für den Hinweis!
Ja und wie zu erwarten wirkt es sich jetzt auf die „Marke“ Zweitausendeins aus. Ein Drittel der Belegschaft wird entlassen, der Haustarif ist gekündigt. Zweitausendeins wird zur Vertriebsmaschine für Kinowelt/Arthaus DVDs. Mit „Weltbild“-ähnlichem Hintergrund, billige Arbeitskräfte, keine Beratung, kein Service. Nehmen, kaufen, nachhause gehen. Die Zeit der Rebellion ist vorbei, jetzt lebt nur noch der Geiz (oder andersrum, die Gier)