Der Geschwisterkonflikt in Fremde Schwestern
Und das war bis dato so geblieben. Franka wusste nicht, wo Lydia war und es interessierte sie auch nicht mehr. Die junge Drehbuchautorin, für die Ordnung innen und außen mehr als das halbe Leben ist, ist keineswegs begeistert, als ihre kleine Schwester plötzlich vor der Tür steht. Dreckig, ausgelaugt und mit Merle, ihrer siebenjährigen Tochter. Franka hasst das Unvorhersehbare, das Nicht-Planbare, sie kann sich nicht einmal auf ihren Freund Jan, einen Konzertpianisten, richtg einlassen. Geschweige denn ist sie bereit, nun die immer chaotische Lydia mitsamt Nachwuchs bei sich aufzunehmen. Doch als Lydia in ihrer Wohnung zusammenbricht und die Ärzte ihr möglicherweise ein nur noch kurzes Leben voraussagen, muss Franka mit sich ins Gericht gehen. Merle braucht ein Zuhause. Und nach langem Ringen mit sich selbst schafft Franka es. Das Mädchen blüht nach einigen Anfangsschwierigkeiten regelrecht auf, fühlt sich wohl in den von ihrer Tante geschaffenen Strukturen. Das allerdings passt Lydia, die in der Zwischenzeit im Krankenhaus mit dem Leben kämpft, gar nicht und die beiden Frauen sind gezwungen, sich mit sich selbst und ihrer (gemeinsamen) Vergangenheit auseinanderzusetzen…
Seelenstriptease vom Feinsten
Man fühlt sich fast schon voyeuristisch bei den Einblicken, die man durch die Autorin in die Seelen der jeweiligen Personen bekommt. Immer besser versteht man Frankas Abschotten und ihre langsame Öffnung, kann nachvollziehen, wie und warum Lydia mit ihren Alleingängen immer wieder andere verletzt. Man identifiziert sich mit Jan und seinen Ansichten und seinem Einfühlungsvermögen und vor allem: Man kann beobachten, wie Merle sich entwickelt. Was sie mitgebracht hat aus ihren Reisen mit der ehemals drogensüchtigen und immer noch labilen Mutter, wie sie mit der Situation umgeht und für sich Erklärungen und Wege findet, um seelisch zu überleben. Dass man Mitleid mit dem kleinen Mädchen spürt, lässt sich bei diesem Schreibstil gar nicht verhindern.
Renate Ahrens – ein literarischer Tausendsassa
Renate Ahrens ist ja auch kein unbeschriebenes literarisches Blatt. Sie hat bereits mehrere Preise eingeheimst und ist Mitglied im P.E.N.-Zentrum deutschsprachiger Autoren im Ausland. Renate Ahrens wurde in Herford geboren, lebte in der Zwischenzeit in Irland, Südafrika und Italien. Heute pendelt die Mittfünfzigerin zwischen Dublin und Hamburg. Bekannt ist sie vor allem durch ihre deutsch-englischen Kinderbücher, aber auch im Theaterbereich, bei Hörfunk und Fernsehen (Sesamstraße und die Sendung mit der Maus) ist sie aktiv.
Renate Ahrens: Fremde Schwestern, ein Roman mit rund 300 Seiten, erschienen bei Knaur am 4. April 2011 als Taschenbuch zu einem Preis von rund 10 Euro.