Man kann einem Genie wie James Joyce nicht wirklich zum Vorwurf machen, ein paar so (bockig hochtrabende und daher) anstrengende Bücher geschrieben zu haben. (Man muss sie ja nicht lesen.) Nicht mal seine Kritiker können seine nach wie vor andauernde Bedeutung ernsthaft anzweifeln. Oder anfechten, dass er eine neue, eigene Erzählsprache und -form entwickelt hat. Und in Frage stellen, dass der Ire seiner Zeit voraus war („Vater des Hypertext"). Denn sein Einfluss wirkt bis heute. Nicht nur, dass sich Irish Pubs außerhalb Irlands gern nach ihm benennen. Dass der Bloomsday bis heute als Marketinginstrument der irischen Tourismusindustrie herhalten muss. In seiner Tradition stehen Werke wie z.B. die von Thomas Bernhard oder Thomas Pynchon. Und dennoch: James Joyce bekam nie den Nobelpreis.
Am Ende des 19.Jahrhunderts (für irische Verhältnisse geradezu privilegiert) aufgewachsen, sollte er Priester werden, wandte sich aber schon früh vom katholischen Glauben ab. Er fand die große Liebe in Nora Barnacle, mit der er ins freigeistigere und unkatholische Exil (u.a. Österreich-Ungarn, Schweiz, Frankreich, Italien) ging. Er hatte sein Land verlassen, ohne thematisch wirklich jemals davon loskommen zu können. Dann führte er ein Leben, das nicht ungewöhnlich für das eines Schriftstellers seiner Zeit war. Ruhelos wechselte er die Wohnorte und die Neurosen. Neben einem ansehnlichen Ego pflegte er seine Angst vor Hunden und allerlei anderem, einen beachtlichen Alkoholismus, allerlei Aberglauben, Zynismus, Magenprobleme und chronische Geldnot (als logische Folge einer gewissen Verschwendungssucht). Er schnorrte sich so durch, arbeitete aber stets fleißig an seinen mitunter kryptischen Werken.
Den Weg in die Unsterblichkeit fand er wohl mit seinem episch-kniffligen „Ulysses". Zunächst verpönt (angeblich pornografisch, blasphemisch, obszön), bahnte es sich (und dem Autoren) erst allmählich den Weg in den Literatur-Olymp. Komplexe Wortschöpfungen, versteckte Querverweise, allerlei Kalauer und Doppelbödigkeiten machen den Spaß und gleichzeitig den Kummer an „Ulysses" aus. Also nicht gerade die Lektüre, die einem den Zugang zu den Tiefen der gehobenen Literatur erleichtert. Der ehrlich verdiente Titel des am wenigsten gelesenen Wälzers der Weltliteratur ist ihm sicher. Genauso wie der des Jahrhundertbuchs. Eine ganze Wissenschaft entstand um die Übersetzung/Deutung/Analyse des „Ulysses" herum. (Der wir u.a. die empfehlenswerten kommentierten "Ulysses"-Ausgaben verdanken.) Aber nicht nur mit dem Werk eines der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts hat die internationale Joyce-Forschung zu kämpfen, sondern auch mit JJ's reichlich seltsam agierenden und unkooperativen Erben.
Als ganz entscheidend für Leben und Wirken des James Joyce gelten vor allem drei Frauen. Zunächst seine jahrelange Lebensgefährtin Nora Barnacle, die er erst 1931 heiratete. Sie gilt als seine Muse und das Haupt-Vorbild für seine Frauenfiguren. Die komplexe Beziehung der beiden zueinander fasziniert die Biografen in aller Welt. Ebenfalls prägend für sein Werk war die britische Feministin Harriet Shaw Weaver. Sie wurde zu seiner treusten Mäzenin, förderte den Schriftsteller über Jahre hinweg finanziell und menschlich und bezahlte sogar noch sein Begräbnis. Und schließlich brauchte es für seinen Weltruhm die Amerikanerin Sylvia Beach, die es 1921 wagte, das „heiße Eisen" anzufassen und „Ulysses" zu lektorieren, abzutippen und schließlich zu verlegen, nachdem Joyce keinen anderen Verlag dafür finden konnte. Sie führte in Paris den legendären Buchladen „Shakespeare and Company" und gründete extra für „Ulysses" einen Verlag. Später schaffte es James Joyce, sie praktisch zu ruinieren, indem er (nachdem das Eis gebrochen war und „Ulysses" sich zu verkaufen begann) bei einem anderen Verleger unterschrieb und sie mit den Schulden der riskanten „Ulysses"-Erstausgabe zurückließ. Aber als unsterbliches Genie konnte man sich ein paar menschliche Defizite ja schon immer leisten.
Foto: the Poetry/Rare Books Collection, University Libraries,
State University of New York in Buffalo