Dekoträume

Bis heute morgen. Schweißnass und angstgezeichnet liege ich regungslos da. Minutenlang wage ich es nicht, mich umzusehen. Über Nacht war Tine-Enie Wittler mit de Meiklokjes hier und hat meine Wohnung auseinander genommen. Meine Möbel sind verschwunden, alle. Mein geliebter Schrottschreibtisch, meine selbstgebauten Regale. Die Bücher. Sogar das Gesellenstück meines Vaters ist weg. Geschreddert! Das Bett, in dem ich liege, scheint tiefer gelegt. Vor dem Fenster hängen drei Lagen riesiger Stoffbahnen, quietschgelb. das soll Sonne suggerieren. Sonst ist plötzlich alles rosa. Oder orange? Mit grünen Punkten? Oder Streifen? Ich weiß es nicht, mir ist schlecht. Das kann doch alles nicht wahr sein. Der Fernseher ist auch weg. An der Wand steht statt dessen in großen Lettern: DIE OMAMA HAT IMMER RECHT!

Vorsichtig richte ich mich auf und taste nach meiner Brille. Der Einsatz in 4 Wänden ist geglückt, ich kann es nicht anders sagen. Mit einer nächtlichen Invasion hätte ich nie im Leben gerechnet. Auf die Art ist die Attacke völlig unbemerkt geblieben, bis zum Morgen eben. Und jetzt ist es zu spät. Meine Wohnung ist vernichtet, zerstört, unwiederbringlich. Die Wege, die ich früher blind gehen konnte, sind nun mit hässlichen Pappmöbeln eines schwedischen Möbelhauses verstellt. Multifunktional, versteht sich. Nur eben mitten im Weg. Außerdem ist alles leer, die Schränke, die Regale. Nirgendwo kann ich meine Sachen finden. Meine Bücher, meine Musik, meine Klamotten. Alles ist weg.

Dabei ist die Wohnung so hübsch dekoriert. Da stehen Blumengestecke in jeder Ecke und Bilder hängen an den Wänden. Sogar ein paar Zeitschriften liegen aufgefächert auf, tja, was ist das? Ein gelackter Plastikcouchtisch auf Rollen? Doch von Wohnen nach Wunsch kann nicht die Rede sein. Tinie mit de Wittklokjes – oder wie immer die heißen mag – ist Dekorateurin, weiter nichts. Vielleicht ist sie nicht einmal das, ich kann ihre Strategie jedenfalls nicht nachvollziehen. Im Flur kleben Trockenblumen rund um einen überdimensionalen Spiegel. Ich ahne es, die sind mit der Heißklebepistole angebracht. In spätestens drei Wochen werden also die ersten schon wieder abfallen. (Ich weiß das, ich bin Dekorateurin!) Außerdem gibt es keine Anleitung zum Sauberhalten der sicherlich bald reichlich verstaubten Angelegenheit. Absaugen, denke ich. Einfach alles wegsaugen. Dann wäre das Problem schnell beseitigt, und nicht nur dieses. Schlimmer als Heißleim ist nur noch der Dekorateurin allerbester Freund, das doppelseitige Klebeband. Das findet sich bestimmt auch noch irgendwo. Wenn ich nur ein wenig danach forsche, in dieser fremden Umgebung.

Aufstehen geht dann aber nicht. Statt dessen werde ich plötzlich wach, und alles ist wie immer. Da hab ich ja noch mal Schwein gehabt.

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Eine Meinung

  1. Niedlich geschrieben. Vielen Dank. Ja ich kann Ihnen nur zustimmen. Vor allem, wenn die Leute einem suggerieren, man könnte das alles mal schnell, wenn der Ehemann weg ist – zusammenbasteln… Erst mal hat man das Werkzeug nicht, zweitens nicht die 1.000 Hände, die helfen.

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