Charlotte Roche- eine polarisierende Größe! Eine Frau, die versucht zu helfen, aufzuklären, zum Denken anzuregen; und von Massen, die offen zugeben, sich ihr Buch „erspart“ zu haben, mit Dreck und Häme beschmissen wird!
Eine, die mit jedem veröffentlichten Buch eine Diskussion anheizt über ihre Person, ihr Leben, ihre Gegner, Tabubrüche, Lebensvorstellungen, Sitte und Moral, ja, einen „literarischen Tsunami“ verursacht, wie es in der deutschen Literaturszene schon bezeichnet wird.
Von ihren Feinden verschrien als „komplett verspiessert“, als eine, bei der man nur noch „zwischen Bedauern und Fremdschämen“ schwankt, feiern ihre Anhänger sie als „genial“ und eine „riesige Inspiration für die Gesellschaft“.
Wer ist diese Frau?
Kindheit und Pubertätswahnsinn
Charlotte Elisabeth Grace Roche ist am 18. März 1978 in High Wycombe , England geboren, zog jedoch bald mit ihrer Familie nach Deutschland. In ihrem fünften Lebensjahr durchlitt Charlotte die Trennung ihrer Eltern, die sie als Trauma empfand, was durch die häufigen Partnerwechsel ihrer Mutter in den nächsten Jahren noch verschlimmert wurde. Oder, wie Charlotte es beschreibt, sie hole sich bis heute total einen drauf runter, dass sie mehrfaches Scheidungskind sei. In ihrem alternativen Umfeld in Mönchengladbach erlebte sie nach eigener Aussage „die längste und schlimmste Pubertät der Welt“, in der sie, neben anderen „freigeisterischen“ und verrückten Dingen, Bilder mit ihrem eigenen Blut malte und verschenkte.
Nachdem sie in der 12. Klasse zweimal sitzengeblieben war, fasste Charlotte den Plan, Schauspielerin zu werden. Entschied sich jedoch spontan dafür, ein Casting als Viva-Moderatorin zu besuchen- und wurde mit Begeisterung angenommen.
Karriere im Fernsehen
Von 1998- 2004 moderierte sie die alternative Sendung „Fast Forward“ bei Viva 2, in deren Verlauf sie von Harald Schmidt als die „Queen of German Pop Television“ betitelt worden ist. Legendär auch ihr exzentrischer Kleidungsstil, den sie selbst als „Lumpenfee- Outfit“ bezeichnete.
In den folgenden Jahren arbeitete sie bei Pro7, Arte, NDR und 3sat und moderierte dort Sendungen wie „3 nach 9“, „Tracks“, „Charlotte Roche unter…“ oder „Charlotte Roche trifft…“. In der letztgenannten erlangte ihr Interview mit Robbie Williams Kultstatus als sie seine Aussage, er höre am liebsten seine eigene Musik, mit dem Spruch, das sei doch wie sein eigenes Sperma zu schlucken, kommentierte.
Im April 2007 tauchten einige Videos von ihr bei Youtube auf. Diese Videos entstammen ihrer eigenen Produktionsfirma, Punani Enterprise, die sie 2003 gegründet hatte, und wurden verschiedenen Sendern angeboten, die alle die Ausstrahlung verweigert haben sollen. Die Show heißt „Wahrheit oder Pflicht“ und zeigt in der ersten Folge Roger Willemsen, Ferris MC, Mieze und Kim Fischer spielend und äußerst intim bei Charlotte zuhause. Gerüchten zufolge ist nie geplant worden, die Sendung im Fernsehen einem größerem Publikum zu präsentieren.
Die Höhepunkte ihrer TV- Karriere waren die Auszeichnungen mit dem Grimme Preis, 2004 und dem Bayerischen Fernsehpreis.
Eine Hochzeit und drei Todesfälle
2001 ereignete sich die große Katastrophe in ihrem Leben! Charlotte plante ihre Hochzeit mit Eric Pfeil, Redakteur, in England zu feiern und um das großartige Brautkleid nicht in einem kleinem Koffer zu zerstören, fuhren ihre Mutter, ihre drei Brüder (6, 9 und 24 Jahre alt) sowie die Freundin des Ältesten mit dem Auto . In Belgien geriet das Auto in eine Massenkarambolage auf der Autobahn. Gerettet werden konnte ihre schwerstverletzte Mutter und die Freundin des Ältesten, aber ihre drei Brüder verbrannten im Auto, auch wenn Charlotte, wie sie es in ihrem Buch „Schoßgebete“ beschreibt, davon überzeugt ist, dass ihre Brüder in einem großen belgischen Wald lebten. Sie hätten lediglich durch den Unfall das Gedächtnis verloren und würden daher nicht nach Hause kommen.
Die Hochzeit wurde daraufhin abgesagt. Ein Jahr darauf bekam das Paar die gemeinsame Tochter Polly, jedoch war die Beziehung der Beiden durch den Autounfall zu stark belastet, um glücklich werden zu können.
Avocadokerne und Blumenkohl in Feuchtgebiete
2008 veröffentlichte Charlotte ihren Debütroman „Feuchtgebiete“, der in Deutschland mehr als 1,7 Millionen Mal verkauft worden ist, und monatelang die Bestsellerlisten dominierte.
„Feuchtgebiete“ handelt von der 18-jährigen Helen Memel, die im Krankenhaus liegt und unter der Scheidung ihrer Eltern leidet. Während ihres Aufenthalts beschäftigt sie sich mit den verschiedensten Dingen: ihren Körperausscheidungen und -öffnungen, ihrer Sexualität, v.a. Masturbation, Krankenpfleger Robin, Inzest und wie sie die Scheidung ihrer Eltern rückgängig machen kann.
Da das Buch die Dinge auf einen provokanten und „dreckigen“ Punkt bringt wie kein anderes vor ihm, empörten sich viele in Abscheu und Ekel. Der Roman wurde von seinem ursprünglichen Verlag als „pornographisch“ verkannt und abgelehnt, andere kritisierten den „geringen sprachlichen Aufwand“ und „die begrenzten literarischen Mittel“. Insgesamt sei es einfach nur ein geschmackloses, dummes und abstoßendes Buch.
Diese Aussagen übersehen jedoch die Intention Charlottes. Sie verweist u.a. darauf, was denn eigentlich Pornographie sei. Sie sei zu den letzten Tabus der Gegenwart aufgebrochen, weil sie es als ihre Aufgabe betrachte, hinzusehen, wo andere nicht hinsehen. Das heißt, sie möchte Frauen helfen, sich von dem Schönheitswahn zu lösen, einen Zugang zu ihrem eigenen Körper zu bekommen, Worte für sich selbst zu finden, sich mit all ihren Gerüchen und Körperflüssigkeiten zu lieben. All dieses Schamempfinden für die natürlichen Dinge in ihrem Leben abzulegen.
Die Frage: „Was davon würde ich auch selber machen?“, beantwortet Charlotte mit „70 % des Romans sind wahr“.
Erneuter Erfolg als Autorin
2011 veröffentlichte sie ihren zweiten Roman „Schoßgebete„. Die Protagonistin, Elizabeth Kiehl, glücklich verheiratet mit einem gut situierten Mann, beide haben je ein Kind aus einer früheren Beziehung, erzählt von ihrem Alltag, den Gesprächen mit ihrer Therapeutin, ihrem Sexleben und dem Unfalltod ihrer Brüder. Letzteres ist die wahre Tatsache, um die herum sich der Roman aufbaut.
Zudem übt der Roman, auf versteckte Art, Kritik an der Bild Zeitung, von der sich Charlotte schon öfters in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt fühlte.
Wurde der Roman ähnlich heftig verrissen wie „Feuchtgebiete“, spricht man ihm jedoch eine größere Reife und Tiefe als dem Erstlingswerk zu, und in Anbetracht des Erfolgs des Buches muss eine treue Leserschaft vorhanden sein.
Heute lebt Charlotte Roche mit Martin Kess in der Nähe von Köln.