Regina Spektor ‚What we saw from the cheap seats‘ in der Track by Track Review

„What we saw from the cheap seats“ ist bereits das sechste Album der New Yorkerin, die man sich nicht mehr aus dem Musikgeschehen weg denken kann.

Regina Spektor siniert über das Alter

Das Album reflektiert, wie so viele Alben derzeit, das Älterwerden, den Moment und die Realisierung, dass es weiter geht und dass dies kein Grund zum Trauern ist ( wir denken da an Rufus Wainwright, Nada Surf oder auch die Maccabees).
Ob es nun das Verkommen klassischer Kunst in sterilen Museen oder aber Erinnerungen an Verflossene und das Anstoßen an Verlorene ist, die Zeit wird von Regina Spektor fast schon impressionistisch in Momenten fest gehalten und reflektiert.

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In der für sie typischen Genrevielfalt finden sich zwar einige Songs, die gut, aber nicht umwerfend sind, doch im vollen Umfang bietet das sechste Studioalbum der russisch-stämmigen Chanteuse wieder einmal ein musikalisch als auch lyrisch beeindruckendes Werk, das den Zahn der Zeit nicht fürchten muss.
Besonders der Mut zu vielen kleinen Soundexperimenten, ob nun mit ihrer Stimme oder der Instrumentalisierung sorgen dafür, dass es nie langweilig oder schleppend wird und das clevere Tracklisting weiß auch die Schwergewichte der Songs zwischen sommerleichten Popsongs auszubalancieren.

Rein textlich ist Spektor eine Institution, denn die Bilder, die sie in ihren Songs zeichnet sind so klar und eindringlich, dass man selbst inmitten der melodiösen Schönheit nicht umhin kommt, Zeilen wie „gotta pitty the violins in glass coffins they keep coughing they've forgotten how to sing“ bereits beim ersten Hören klar aufschillern zu hören und zu den ambitionierten Konstrukten hinzu zu fügen, die uns Spektor auf bis dato jedem Album in brillierenden Farben aufgetürmt hat.

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Und weil es so vielfältig ist, habe ich mir einmal gedacht, dass eine illustre Track by Track Schau nicht schaden könnte:

What we saw from the cheap seats: Track by Track Review

01. Small Town Moon

Natürlich muss ein Regina Spektor Album mit einem Pianosolo anfangen, das klassisch in ihren Gesang fließt und das Verlassen der Kleinstadt oder besser der Vergangenheit thematisiert. Das Thema des Älterwerdens wird sich auch weiter in diesem Album durchziehen und bevor man zu melancholisch wird, lenkt Regina mit geklatschten 90s Rock Elementen ein und erinnert sich, dass der Mond in Kleinstädten ganz besonders ist und dass mit Abschied auch Schmerz kommt und dass, wo wir wir gerade einmal beim Opener sind.

02. Oh Marcello

Keiner kann haltlos, atemlose Songs mit sich ruhig wiegenden Intervalen so gut singen wie Regina, mit einer Referenz zu „don't let me be misunderstood“ wirkt „Oh Marcello“ wie ein rasender Gedanke, der in andere einfließt und dabei aufzeigt, was Regina von vielen anderen Songwritern unterscheidet: Der Mut, sich auch an sperrige Songs zu machen und viele Ideen übermütig zu einem Paket zu verpacken.

03. Don't leave me (ne me quitte pas)

Mit französischem Refrain versucht uns Regina säuselnd ein wenig Boheme Atmosphäre einzuhauchen, das kecke Bläsersolo im Kern des Songs bringt sogar den Charme einer Straßenkapelle mit hinein und der eigentlich mit Brooklyn'schen Beobachtungen eingefärbte Song erinnert sich schlussendlich träumerisch: „I love Paris in the rain“. Wenn es einen Song auf diesem Album gibt, bei dem man sich in sonnendurchfluteten Zimmern drehen möchte, dann ist es dieser.

04. Firewood

„The piano is no firewood, yet“, so die Titelgebende Zeile des Songs, in dem es um die Hoffnung und Stärke geht, bis zur letzten Note zu spielen, auch wenn das Ende für uns alle vorgeschrieben ist. Fast schon weihnachtlich klingt der vom Piano dominierte Song, so dass man den knisternden Kamin und Zimt beinahe riechen kann.

05. Patron Saint

Verspielt und cutesy, man könnte sich vorstellen, dass Zooey Deschanel perfekt in ein Musikvideo zu diesem Song passen würde, ein Liebeslied in dem es um die wahre Liebe geht, die jedoch mindestens genauso aufwändig, stressig und anstrengend wie jede andere Liebe ist. Das duhduhduhduh lädt dann auch zum mitsingen und -steppen ein.

06. How

Es könnte auch 60er Pop oder Gospel sein, zumindest die Melodie lehnt an Songs wie „I'll be there“ oder „The End of the World“ an, der Rhythmus würde ebenso gut zu einem gefühlvollen Backgroundchor passen und in diese Richtung geht es auch mit gebrochenen Herzen und der anhaltenden Liebe und Erinnerung an den verlorenen Partner. „You are a guest here, now“, singt Regina und lässt dem Verflossenen eine Tür zurück in ihr Leben auf.

07. All the Rowboats

Die erste Single des Albums kam schon vor einigen Monaten heraus und steigt mit einem fast unüblichen Electrointro ein, bis es sich in paranoide Pianokaskaden einspielt, die drängend die Beobachtungen von Gemälden in einem Museum in eine Gefängnis-Metapher wandeln und dadurch vielleicht ja auch das Festhalten von Momenten kritisch betrachten, die von Spektor auch in Grabesstimme vorgetragen werden. Eindeutig ein Highlight des Albums.

08. Ballad of a Politician

Düster geht es weiter, der Titel alleine lässt es schon vermuten, ein Handschlag zu Beginn des Songs klingt die Ambitionen eines Politikers an, mit clever gesetzten Wortspielen (you're gonna make it big you're gonna make a boom) kommentiert sie kühl politische Kampagnen. Dass die Handschläge ausschließlich von Männern ausgetauscht werden, kann sogar in Gender Studies aufgenommen werden. So kurz der Song auch ist, so wirksam setzt er sich mit schalem Nachgeschmack in der Magengegend ab, nicht zuletzt, weil die offensichtlichen Klischees politischer Songs clever vermieden wurden.

09. Open

Auch hier dürfen wir uns wieder freuen, denn „Open“ ist ein weiterer, „typischer“ Spektor Song, der sich melancholisch und sehr theatralisch an opulenter Orchestration entlang hangelt und dabei lyrische Verletzlichkeit darbietet und dann in obskuren Atemübungen ausartet, die ein Gefühl der Beklemmung hervor rufen, bis sich alles wieder in zerbrechlicher Schönheit einpegelt.

10. The Party

Ein Hoch auf das Tracklisting, denn „The Party“ setzt wieder auf Charme, der sich auf Soundtracks quer durch die Indiefilm-Landschaft gut macht, mit euphorischer Stimme und ebenso strahlender Instrumentalisierung wird ein Toast auf verlorene Freunde und verletzte Seelen ausgesprochen, wenn Regina dann auch noch die Trompete gibt, ist das von „Open“ schief gerutschte Lächeln wieder in voller Breite zurück.

11. Jessica

Als letzten Song auf einem doch sehr vielfältigem Album macht sich „Jessica“ vielleicht nicht ganz so gut aus, nach starken Songs wie „All the Rowboats“ oder „Open“ kommt man zwar gerne wieder eins, zwei Pulsraten herunter, aber der süße Gitarrensong um das Verstreichen der Zeit (we must get older now, so please wake up) hätte es wahrscheinlich besser im ersten Drittel gehabt. Nichtsdestotrotz könnte es einer dieser Songs werden, in die man sich Hals über Kopf verliebt, hat man ihn einmal in seinem Kopf drin, denn die Aufforderung, für das Älter werden keine Zeit mit Verschlafen zu verschwenden ist ein Blick auf das Rad der Zeit, den man selten zu sehen und hören bekommt und der für Regina Spektors subtile Weltsicht spricht.

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