So leben die Massai in Afrika

Sind unsere europäischen Bilder über die Massai in Afrika nur Phantasien? Aus kolonialistischen Gedankengut stammende Klischees, die der Unterhaltung des gelangweilten Europäers dienen, seine Phantasien anregen und dabei weit davon entfernt sind, dem Volk der Massai eine eigenständige Betrachtung ohne Verzerrungen der Realität oder vorschnellen Beurteilungen auf Basis unseres kulturellen Denken zu geben. Wahrscheinlich nicht. Nichts gegen „Bilder“ über die Massai, wenn die Gedanken und Werte, die zu diesem Bild führen aus ihrer eigenen Kultur stammen und nicht eine wildromantische Projektion gesellschaftlich eingeengter Europäer sind.

Genau dasselbe Phänomen ist schon seit einigen Jahrhunderten bei den erotisierenden und zugleich barbarisch abstoßenden Darstellungen über den Alten Orient zu beobachten und es bestätigt sich auch in der Gegenwart. Ethnologisch fundierte Forschungen über die Massai in Afrika sind dünn gesät,  romantisierende und widersprüchliche Berichterstattung findet sich hingegen im Überfluss. Und so bleibt auch dieser Artikel nur ein Versuch, nicht das eigene Wertesystem zu übertragen.

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Die Massai in Afrika: Ein Volk zwischen Tradition und Moderne

Die Massai sind ein halbnomadisches Hirtenvolk, das heutzutage im Süden Kenias und im Norden Tansanias in Ostafrika lebt, v.a. in der Serengeti in Tansania und dem Masai Mara und dem Amboseli- Nationalpark in Kenia. Ihr Volk teilt sich in 16 verschiedene Untergruppen. Schätzungen über ihre Größe liegen zwischen 300 000 und einer Million Menschen. Genauere Angaben können nicht erhoben werden, da viele Massai aus Angst vor Diskriminierung ihre Ethnie nicht angeben. Die Massai lehnen Ackerbau traditionell ab und leben in einer überwiegend nomadisch geprägten Gesellschaft von der Rinderzucht. Diese Lebensweise führt zwangsläufig zu Interessenkonflikten mit den Regierungen in Kenia und Tansania, die neben anderen Problematiken das Leben der Clans erschweren.

Die Geschichte des Volkes

Laut des Gründungsmythos teilte die Hauptgöttin Enkai die Welt in Himmel und Erde. Alsdann erschuf sie den ersten Mann, Naiteru-Kop, und die erste Frau. Die beiden bekamen von der Göttin Enkai 100 Rinder, Ziegen und Schafe. Enkai schenkte nur den Massai Rinder und keinem anderen Volk; sie gehören nur ihnen. Dies erklärt, warum die Massai kein Verbrechen darin sehen, anderen Ethnien Rinder zu stehlen. In ihrer Gesellschaft erhöht ein erfolgreicher Raub das Ansehen. Sie übergab ihnen auch das Land, aber das gehört allen. Für die Massai gibt es keine Grenzen, aber sie mussten versprechen das Land würdevoll zu nutzen.

Einige Zeit später gebar Naiteru-Kops Frau drei Söhne und drei Töchter. Der erste Sohn erhielt einen Pfeil und Bogen, um sich zu ernähren – er wurde Jäger. Dem zweiten wurde eine Hacke gegeben – er wurde Landwirt. Und der dritte, der Lieblingssohn des Vaters, bekam eine Stange, um die Rinder zu hüten. Er gilt als der direkte Vorfahre der Massai.

Die Herkunft der Nomaden ist umstritten. Vermutlich wanderten sie aus dem südlichen Sudan und dem Niltal in der Mitte des 15.Jahrhunderts nach Süden. In diesem Zuge verdrängten sie indigene Völker oder vermischten sich mit ihnen und im17. und 18. Jahrhundert erreichten sie Ostafrika. Die Massai waren sehr kriegerisch. Sie bekämpften sich mit den verschiedensten Stämmen, überfielen Karawanen bis in die Küstengebiete, entvölkerten nahezu ganze Landstriche und bedrohten sogar große Küstenstädte wie Mombasa und Tanga. Ihre militärische Stärke zerbrach, als im Zuge der Kolonialisierung die Rinderpest und die Pocken ausbrachen gefolgt von einer verheerenden Hungersnot.

1904 und 1911 erließ die britische Kolonialverwaltung Edikte, die es legalisierten, dass 60 Prozent des Landes der Massai der englischen Regierung zufielen.

Die Gesellschaftsordnung der Massai in Afrika

Die Massai unterteilen ihre Gesellschaft in Männer, Frauen und in Altersgruppen, die als ein geschlossener Kreis alle 10-15 Jahre ein anderes Stadium erreichen und aufgrund dessen neue Status, Pflichten und Aufgaben übernehmen.

Jedes Stadium wird durch eine Zeremonie gekennzeichnet, die sich bei Frauen und Männern unterscheiden. Die wichtigsten Rituale im Leben der Frau sind die Beschneidung, die traditionell erfolgt, und die Hochzeit. Ansonsten folgen sie meist der Altersgruppe ihres Mannes.

Enkipaata: Das Enkipaata ist die Vorbeschneidungszeremonie. Jungen, die im Alter zwischen 14 und 16 Jahren sind, ziehen für vier Monate mit ihren Herden durch das Land. Sie sollen ihre Altersgenossen besser kennenlernen und unabhängig von ihrer Familie, insbesondere ihren Müttern, werden. Eine Gruppe älterer Männer begleitet und unterstützt sie. Am Ende treffen sich alle Jungen dieser Altersstufe aus der Region in einem Dorf, in dem die Zeremonie, das Enkipaata, stattfindet. Es wird im Prinzip für jeden Ritus ein Dorf errichtet, in dem dieses vollzogen wird. Vor dem Ritual wird aus der Gruppe ein Chef gewählt, diese Position ist nicht sonderlich begehrt, da der Chef alle Sünden der Altersgenossen tragen muss. In der Nacht vor dem Enkipaata müssen die Jungen außerhalb des geschützten Dorfes schlafen und am folgenden Tag vollzieht sich unter Tanz und Gesang der Ritus.

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In dieser Phase werden die Ohrläppchen des Unbeschnittenen durchbohrt und gestreckt und er muss viel als Hirte arbeiten. Nach der erfolgreichen Vollendung dieser Phase ist er reif für die Beschneidung und für den Übergang von der Kindheit zum Erwachsenenalter.

Die Beschneidung: Die Jungen befinden sich nun kurz nach der Pubertät. In den sieben aufeinanderfolgenden Tagen vor dem Ereignis müssen sie Vieh hüten. Am 8. Tag, dem Tag der Beschneidung, wird ihnen der Kopf rasiert und sie waschen sich mit kaltem Wasser. Auf dem Weg zur Beschneidung sind sie von ihren Freunden, Altersgenossen und männlichen Verwandten umgeben. Diese drohen ihnen, wenn sie Angst zeigen vor dem Messer und würden sie aus ihrem Kreis verstoßen oder ähnliches. Es ist sehr wichtig für die Massai, dass die Jungen keinerlei Anzeichen von Schmerz oder Angst zeigen. Nach der Beschneidung bekommen die neuen Krieger Geschenke und es wird gefeiert.

Emanyatta: In dieser Altersstufe wird von den Jugendlichen erwartet, dass sie sich sozial etwickeln. Sie sollen lernen, Selbstvertrauen zu entwickeln, gemeinsam mit ihren Altersgenossen zu arbeiten, Entscheidungen treffen zu können und Verantwortung zu übernehmen. Aber auch Selbstlosigkeit, Großzügigkeit, Loyalität und Respekt gegenüber anderen sind wichtige Werte in ihrer Gemeinschaft. Die jungen Männer leben gemeinsam in einem Kriegerdorf für ca. acht Jahre und lernen die Tänze, Mythen und Traditionen ihrer Väter. Sie dürfen durchaus Affären mit Frauen haben, ebenso wie die Frauen bis zu ihrer Hochzeit jegliche sexuellen Freizügigkeiten genießen dürfen. Allerdings ist es den Männern nicht erlaubt, alleine oder in Anwesenheit einer Frau Nahrung zu sich zu nehmen.

Eunoto: Das Eunoto markiert den Übergang vom Jungkrieger zum gestandenen Mann und gibt den Männern das Recht, zu heiraten. Jeder Mann darf so viele Frauen heiraten, wie er ernähren kann. Usus sind ein bis zwei Frauen, aber auch 25 Gattinnen sind nichts Ungewöhnliches. Die Frauen leben mit ihren Kindern und den Ältesten in einem eigenen Dorf (Enkang), das nichts mit den zeremoniellen Dörfern der Krieger zu tun hat. Das Enkang ist kreisförmig angeordnet und von Dornengestrüpp umgeben, das die Bewohner vor Raubtieren schützen sollen. Die Frauen bauen ihre Hütten selbst und sind daher die Besitzer. Ein Mann mit mehreren Ehefrauen kann jeden Tag erneut entscheiden, bei welcher er nächtigt.Das Einverständnis der Frau vor der Hochzeit ist nicht nötig, die Zustimmung der Eltern reicht.

Vor dem mehrere Tage andauernden Fest des Eunoto werden die langen ockerfarbenen Haare der Krieger von deren Müttern rasiert. Ein besonderer Höhepunkt der Zeremonie ist das Werfen eines Tierhorns ins Feuer. Nun müssen die Männer Teile des Horns aus dem Feuer ziehen, derjenige, der den letzten Rest vor dem Verbrennen rettet, ist für immer verflucht. Jedoch kann er auch nicht ablehnen, das Horn aus dem Feuer zu holen, da anderenfalls die gesamte Gruppe vom Unglück verfolgt werden würden.

Enkang e-Kule: Das Enkang e-Kule wird einige Monate nach dem Eunoto zelebriert und erlaubt den Männern in Gegenwart ihrer Frauen auch Nahrung zu sich zu nehmen. Oft sind die Krieger am Anfang sehr verschämt und ängstlich, da sie sich, nachdem es lange ein Tabu war, erst wieder daran gewöhnen müssen.

Enkang os-nkiri: Diese Zeremonie erlaubt den Kriegern Fleisch zu essen, das von ihren Frauen zubereitet worden ist. Wie bei allen anderen Ritualen wird es in einem eigens erbauten Kraal abgehalten. Des Weiteren muss die Ehefrau beweisen, dass sie keine Affäre mit einem Mann aus einer jüngeren Altersstufe hat. Sie darf Affären haben mit Kriegern aus der Altersstufe ihres Ehemannes, und wenn der Ehemann Besuch von einem Altersgenossen hat, ist es üblich, dass er ihm eine seiner Frauen anbietet. Ein derartiges Angebot abzulehnen, gilt als sehr unhöflich.

Um herauszufinden, ob ihre Ehefrauen eine Affäre haben, ringen die Krieger miteinander und versuchen so nahe wie möglich an die Haut eines Bullen zu kommen. Dies wird als Bullen-Haut-Ritual bezeichnet. Wird eine Ehefrau für schuldig befunden, verstößt sie ihr Mann und die gesamte Altersgruppe. Sie hat nun die Möglichkeit zu ihrem Vater zu gehen und ihn um eine weibliche Kuh zu bitten. Diese Kuh schenkt sie ihrem Ehemann als Entschuldigung, und es wäre sehr unkonventionell, würde der Mann diese Entschuldigung nicht annehmen. Ebenso ist es Usus, dass er das Rind später einem Freund schenken wird.

Orngesherr: Dies ist die Initiation in die Welt der Älteren, die traditionell viel Macht innehaben. Nun ist es ihm auch erlaubt, ein eigenes Dorf zu gründen und volle Verantwortung für sich selbst und seine Familie zu übernehmen. Der Krieger bekommt für diese Zeremonie einen Stuhl geschenkt, auf dem er sitzt, wenn ihm seine Frau am frühen Morgen die Haare rasiert. Dieser Stuhl wird einer der besten Freunde für den Krieger und er behält ihn solange, bis er bricht. Sollte der Mann vorher sterben, wird der Stuhl an seinen ältesten Sohn vererbt.

Alltagsleben der Massai

Die Massai haben sich in früherer Zeit nahezu ausschließlich von Fleisch, Milch und Blut der Kuh ernährt. Das Blutgetränk, der sogenannte Saroi, wird folgendermaßen hergestellt: Bei einem Rind wird die zum Anschwellen gebrachte Halsvene angeritzt, aber nicht durchtrennt. Rinder werden nur zu ganz besonderen Anlässen geschlachtet. Aus der Vene werden ca. 2 Liter Blut aufgefangen, die anschließend geschüttelt werden, damit kein Blutkuchen entsteht. Danach wird das Rind verbunden und das Blut muss noch zwei Tage stehen, um den gewünschten Geschmack zu erreichen.

In moderner Zeit, in der die Massai auch zunehmend beginnen anzupflanzen, werden Maismehl, Reis, Kartoffeln und Kohl gegessen.

Die Hütten bestehen meist aus Kuhdung, sind 1,50 Meter hoch und haben in der Länge einen Wohnraum von ca. 3,50 Meter.

Die Massai legen viel Wert auf ihr Äußeres. So erhält ihr ockerfarbenes Haar seine charakteristische Färbung durch das regelmäßige Einreiben mit eisenoxidhaltigem Steinstaub. Sie tragen sehr viel Schmuck, v.a. Perlenreifen und Perlenketten, die auch Aussagen über den Status, Identität und kulturellem Hintergrund treffen. Sehr häufig tragen sie auch Helix Piercings und beide Geschlechter haben eingeschnittene und gedehnte Ohrlöcher.

Die Probleme der alten Kultur

Wie viele indigene Kulturen werden die Massai von der modernen Lebenswelt bedrängt. Die wenigsten Massai haben eine klassische Bildung erhalten. Es ist für sie nahezu unmöglich für ihre Rechte einzutreten und so werden ihre Territorien immer kleiner und das darin befindliche Land ist oft sehr unfruchtbar. Die Armut ist sehr hoch. Einige Massai versuchen, der Misere zu entkommen, indem sie dem traditionell verpönten Ackerbau nachgehen. Die mangelnde Erfahrung in der Kultivierung von Pflanzen und die schlechten klimatischen Bedingungen erschweren diese Art des Lebensunterhalts jedoch immens. Viele Massai haben Angst um ihre Kultur, so werden viele Zeremonien bei weitem nicht mehr so traditionell abgehalten wie früher.

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Aufgrund der Tatsache, dass in der Kultur der Massai die Solidarität zu Gleichaltrigen größer ist als die Exklusivität der Monogamie und Präservative als verpönt gelten, sind viele Massai HIV-positiv. Zugang zu Medikamenten und medizinische Unterstützung sind eher eine sehr ungewöhnliche Ausnahme als der Regelfall.

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2 Meinungen

  1. Italienliebhaber

    Wirklich gelungener Artikel. Ich selbst war schon in Kenia und habe Maasai getroffen. Man muss diese doch imposanten Krieger live erleben, um einen Eindruck zu erhalten. Wenn man im TV Maasais sieht, so kann man sich die Aura, die diese Menschen umgibt, gar nicht vorstellen. Als ich in Kenia war (2009), war dies für mich ein absolutes Highlight. Und ich war nicht auf eine Safaritour, wo man eventuell verkleidete Menschen sieht. Nein, ich habe Jemanden auf einem Dorf weitab der Touristenroutes besucht und habe das REALE Kenia kennengelernt und eben auch viele kenianische Gesellschaften. Unter anderem auch das Nomadenvolk der Maasai. Sie haben mich wirklich beeindruckt. Man darf natürlich nicht vergessen, dass diese Gesellschaften ein anderen Leben führen, andere Wertvorstellungen haben. Man darf denen nicht den westlichen Gedanken aufzwingen, denn sie leben, mal abgesehen von den dort derzeit herrschenden Nöten, mit ihrem Glauben glücklich.

  2. Afrika ist ein fazinierenter Kontinent. ich war bisher leider nur einmal für 10 Tage in Ägypten, möchte aber nächstes Jahr unbedingt einmal tiefer ins Land um dort noch mehr von der Kutlur zu lernen.

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