Eines vorweg: Nicht jeder, der Einladungen zu Hochzeiten tendenziell ausschlägt, kuschlige Spieleabende unter Pärchen vermeidet oder einfach nur mal zwei Jahre ohne festen Partner lebt, hat ein Bindungsproblem. Im Gegenteil: Nicht immer sehnen sich Menschen (gleich stark) nach einer romantischen Beziehung. Tatsächlich kann das Reisen um die Welt, die kompromisslose Verschreibung an den Job oder das Ausleben sexueller Single-Eskapaden in bestimmten Lebensphasen schlicht und einfach höhere Priorität im Leben eines Menschen haben. Manchmal aber ist die Situation auch ernster.
Beziehungsangst: Was ist das?
Um wirkliche Bindungsangst handelt es sich, wenn man sich (insgeheim) sehr nach der Nähe, Geborgenheit und Beständigkeit einer Zweierbeziehung sehnt – und dennoch nicht in der Lage ist, diese Innigkeit zuzulassen. Aus diesem Widerspruch ergibt sich dann ein hoher Leidensdruck. Erst durch das subjektive Leid wird das Thema Bindungsangst für die Betroffenen schmerzlich relevant. Und zwar übrigens gerade in Zeiten der Verliebtheit, die eigentlich doch von Schmetterlingen und Sorglosigkeit begleitet sein sollte. Doch gerade, wenn sie verliebt sind, fühlen sich Menschen, die unter Bindungsangst leiden, immer auch gleichzeitig bedroht und innerlich angespannt.
Bindungsangst: Emotionale Achterbahnfahrt für die Betroffenen
Wer unter Beziehungsangst leidet, kann sich trotz starkem Nähebedürfnis emotional nicht auf einen anderen Menschen einlassen, zumindest nicht in letzter Instanz. Zu groß ist die Angst, sich dem Gegenüber auszuliefern und verletzt zu werden. Menschen, die unter Bindungsängsten leiden, empfinden eine regelrechte Zerrissenheit. Da ist immer einerseits der Wunsch nach Intimität und romantischen Gefühlen, und andererseits die Empfindung von Beklemmung und Vereinnahmung. Die negativen Gefühle können sich von ständiger Genervtheit über plötzliche Abscheu bis hin zu kaltem Desinteresse steigern. Wenn die Sehnsucht nach Liebe und die gleichzeitige Angst vor ihr (beziehungsweise vielmehr: ihrem Verlust) miteinander im Widerstreit sind, ist das für die Betroffenen eine Gefühlsachterbahn, die verwirrt. Die eigene Zerrissenheit macht es dann schwer, die widersprüchlichen Emotionen zu ordnen. Häufig verspüren Betroffene dann den Impuls, einfach fortlaufen zu wollen. Statt sich verletzen zu lassen, kommen sie den Verletzungen zuvor. Doch was bleibt, ist ein schales Gefühl. Und die Einsamkeit.
Woran erkennt man Bindungsangst?
- regelmäßiges Untertauchen mit Kontaktabbrüchen
- häufige und schnelle Wechsel von inniger Nähe zu maximaler Distanz
- Verschmelzungswunsch versus Desinteresse
- Stimmungsschwankungen
- Tendenz zu philosophischen Diskussionen über die gesellschaftliche „Diktatur der Monogamie“ u.ä.
- Angst, „Ich liebe dich“ zu sagen
- Hang zur (sexuellen) Untreue – um Distanz zu schaffen
- Nörgeln: das Suchen von Schwächen am Partner
- Grübeln: Finde ich vielleicht doch noch einen Besseren?
- übersteigerte romantische Vorstellungen
Passive Bindungsangst
Was viele nicht wissen: Beziehungsangst kann sich auch versteckt äußern. Die passive Bindungsangst ist den Betroffenen oft nicht einmal selbst bewusst. Stattdessen halten sie sich sogar für besonders beziehungswillig und werden sich womöglich fragen: „Warum gerate ich bloß immer an den Falschen?“ Dabei verdrängen sie ihre eigene Angst vor einer festen Partnerschaft und delegieren sie an den Partner weiter. Dieser schafft dann den notwendigen Abstand. Die phänomenale Treffsicherheit, mit der einige Menschen immer wieder an beziehungsuntaugliche Kandidaten geraten, könnte also ein Hinweis auf das Vorhandensein einer passiven Bindungsangst sein. Sich darüber bewusst zu werden, kann jedoch eine große Chance sein.
Bindungsangst überwinden: Tipps für Betroffene
Wenn Sie diese emotionale Achterbahnfahrt kennen und schon öfter den wehmütigen Eindruck hatten, sich selbst vielleicht etwas Wundervolles zerstört zu haben, sollten Sie dennoch nicht zu hart mit sich ins Gericht gehen. Der Blick zurück auf missglückte Beziehungen ist immerhin bitter genug. Selbstvorwürfe bringen Sie hier nicht weiter. Stattdessen sind diese nur ein weiterer Angriff des Selbstbewusstseins, das bei Bindungsphobikern generell angeknackst ist. Das Problem muss also genau konträr angegangen werden.
- Sprechen Sie mit Freunden über Ihre Gefühle!
Dies bringt nicht nur neue Erkenntnisse, sondern ist auch ein wichtiger Schritt, um positive Erfahrungen im Umgang mit Nähe und Intimität zu sammeln. - Stellen Sie sich den Ursachen der Bindungsangst!
Die meisten von ihnen liegen weit in der Vergangenheit. Eine schwierige Beziehung der eigenen Eltern und also mangelnde Vorbilder und Orientierung in der Liebe, das Fehlen eines Elternteils, Verlusterfahrungen etc. Es handelt sich hier um eine klassische Trigger-Situation: Tatsächlich ist es in den seltensten Fällen der aktuelle Partner, sondern es sind die „alten Geister“, die Sie behelligen. Deshalb sind diese auch Ihre Baustelle. - Lassen Sie sich helfen!
Eine Psychotherapie kann eine Option sein, um dauerhaft die eigene Bindungsangst überwinden zu können. - Teilen Sie sich mit!
Wenn Sie verliebt sind, versuchen Sie einmal, sich Ihrem Gegenüber so offen wie möglich mitzuteilen. Berichten Sie, dass Sie es gerne langsamer angehen lassen möchten und dass Sie etwas Zeit und Verständnis brauchen, um Vertrauen aufbauen und Ihre Bindungsangst überwinden zu können. So kann Ihr Partner verstehen, dass Ihre gelegentlichen Rückzugstendenzen nicht gegen ihn persönlich gerichtet sind. So kann der Beziehungsstart tatsächlich gelingen! - Steigern Sie Ihr Selbstbewusstsein!
Denn dieses ist die Grundlage Ihrer Beziehungs- und Kommunikationsfähigkeit.
Von Bindungsangst ein Lied singen …
… kann Gisbert zu Knyphausen in seinem Song „Wer kann sich schon entscheiden„, welcher Beziehungsphobikern aus dem Herzen sprechen dürfte. Gleichzeitig ist der berühmte Cowboy-Song jedoch auch ein deutliches Appell an die Liebe. Aber Achtung: Nicht immer stecken hinter einem gescheiterten Beziehungsversuch pathologische Bindungsängste! Das weiß die A-capella-Gruppe Basta, wenn sie frech behauptet: „Ich habe Bindungsangst, Baby!„. Denn auch wenn es mitunter hart sein mag, sich dies einzugestehen: Manchmal sind es auch einfach nur die Gefühle, an denen es mangelt.
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