Joseph Hellers „Catch 22“: Über die wahllose Sinnlosigkeit der Bürokratie und des Krieges
Das Buch beschreibt die Geschehnisse aus den Blickwinkeln mehrerer Soldaten, darunter vorwiegend Yossarian, während des zweiten Weltkrieges 1944.
Eine zusammenhängende Story hat der Roman nur bedingt, zwar werden – in durcheinander gewirbelter Reihenfolge – die Erlebnisse der Soldaten während des zweiten Weltkrieges beschrieben, aber Heller zerstückelt Geschehnisse derart, dass sie wie ein Puzzle erst nach und nach zusammen gefügt werden können. Auch dann geht es vielmehr um Szenen, Dialoge und Personenbeschreibungen, als um einen großen Plot, bzw. ein Ziel, aber genau das ist auch die Intention des Buches, das eben die wahllose Sinnlosigkeit der Bürokratie und des Krieges beschreibt.
Yossarian selbst ist – wie jeder andere Charakter im Buch – ein Antiheld, dem nach und nach aufgeht, dass nicht der Gegner (also die Deutschen), sondern vielmehr das System (schlussendlich also sein eigenes Land) lebensgefährlich ist, immerhin wurde er von seinen Generälen in den Krieg geschickt, nicht von den Deutschen. Auf seiner Suche nach einem Weg nach Hause zu kommen, stößt er immer wieder auf Hinderungen, die mit absurden Regelungen zusammenhängen, etwa die Anzahl der Missionen, die jeder Soldat erledigt haben muss und die jedes Mal erhöht werden, sobald der Soldat sie vollständig erfüllt hat. Letztendlich fürchtet sich Yossarian mehr vor seinen Generälen, die ihn immer wieder in Suizid-Missionen schicken wollen, als vor dem eigentlichen Gegner.
„Catch 22“ Interpretation
Hellers Sprache ist gespickt mit Wortspielen und inhaltlichen, als auch wortwörtlichen Wiederholungen, um zum einen die Absurdität des Krieges an sich, zum anderen die Tücken der Sprache – aus der Gesetze und Regeln nun einmal bestehen – aufzuzeigen.
Charaktere
So gut wie jeder Charakter scheint verrückt zu sein, wobei es dem Leser überlassen wird, zu entscheiden, ob das die Folgen des Krieges sind, oder ob generell der Mensch an sich verrückt ist. Was zum Anfang vorwiegend humorvoll und absurd erscheint, bekommt im letzten Teil des Romans eine völlig andere, dunkle Wendung, in der auch der Tod und die Grausamkeit des Krieges hervor gehoben werden. Damit scheint Heller darauf hinzuweisen, wie weit es gehen kann, wenn man Bürokratie zum Machtgeber ernennt, ohne sie zu hinterfragen. Interessant ist auch, dass die meisten Soldaten nicht ein Mal die paradoxen Regeln in Frage stellen, ebenso wenig die Macken der anderen Soldaten. Dass beispielsweise Havermeyer abends Mäuse in seinem Zelt abknallt, gehört genauso zum Alltag wie die Tatsache, dass ein toter Soldat in Yossarians Zelt liegt (Yossarians Vorgesetzte weigern sich im Übrigen etwas dagegen zu unternehmen, da ja niemand außer Yossarian im Zelt ist, ein semantisches Spiel, denn ein Toter ist selbstverständlich kein „jemand“ mehr, sondern nur ein lebloser Körper).
Leser
Der Leser wird schnell in die logische Unlogik des Buches hinein geworfen und muss sich genauso damit abfinden, wie auch die Protagonisten, gleichzeitig muss er aber skeptisch bleiben, inwiefern er sowohl Yossarian und Co, als auch dem Erzähler vertrauen kann. Diese Lesehaltung kann und sollte auch auf Gesetze und allgemein anerkannte Wahrheiten an sich übertragen werden, denn in vielen kleinen Beispielen und Dialogen zeigt Heller auf, dass etwas logisch dargelegt werden kann, ohne zwangsläufig logisch zu sein, da die Sprache sehr leicht dazu missbraucht werden kann, als unfehlbare Wahrheit angesehen zu werden. Der Catch 22 ist der beste Beweis dafür.
Definition
Der Catch selbst ist simpel: In dem Roman gibt es die Regel, dass jeder Soldat, der psychisch verwirrt, also verrückt ist, nach Hause geschickt wird. Es darf allerdings kein anderer den Soldaten melden, sondern er muss es selbst tun. Ist er jedoch in der Lage, sich selbst als verrückt zu diagnostizieren, um den Wirren des Krieges zu entkommen, kann er nach den Regeln unmöglich verrückt sein (denn nur ein gesunder Menschenverstand würde aus dem Krieg heraus wollen) und kann demnach auch nicht nach Hause geschickt werden. Damit ist die Regel sinnlos. Im Buch selbst gibt es diverse Catch 22s, die Bezeichnung ist also nicht explizit für diesen Fall ausgelegt, wird aber meistens mit diesem Beispiel im Hinterkopf verwendet.
Im Grunde sagt der Catch aus, dass derjenige, der den Irrsinn der modernen Zivilisation begreift, automatisch gezwungen ist, sich zu fügen und sich nicht davor drücken kann, während jeder Irsinnige sie als normal ansieht, demnach aber auch gar nicht erst den Wunsch verspürt, nach einer Alternative und einem Ausweg zu suchen.
Joseph Heller und sein Meisterwerk
Gerade Hellers Gefühl für Sprache, seine eigenen Kriegserlebnisse (er kämpfte im zweiten Weltkrieg) und die liebevolle Ausarbeitung der Charaktere macht Catch 22 zu einem der großen Meisterwerke, das seine Botschaft (ein gesundes Misstrauen gegen Sprache und die Macht der Sprache haben) vermittelt, indem es die Sprache selbst so elegant verdreht, dass die Sinnlosigkeit kaum mit den Werkzeugen der philosophischen Logik angegriffen werden kann. Auch die Frage nach moralischen Standpunkten wird hoch gehalten, denn wenn a.) jeder verrückt ist und b.) Moral selbst nur ein sprachliches Konzept ist, inwieweit kann man sie dann auch als Grundlage für soziales Miteinander verwenden, vor allem, wenn sie sich nach Belieben umformulieren lässt?
Zumindest Yossarians steigende Aversion gegen den Krieg und seine Vorgesetzten zeigt auf, dass das Fünkchen Hoffnung noch existiert und dass das Individuum sehr wohl in der Lage ist, die Wirrungen der Bürokratie auseinander zu halten. Seine Flucht aus dem Militärdienst heraus ins Ungewisse im letzten Kapitel, ist demnach der Weg nach draußen, der Weg aus dem System hinaus. So kann man also getrost nach der letzten Seite des Buches seinen Filzstift in die Jackentasche stecken und durch die Straße wandern, um auf Häuserwänden und in öffentlichen Toiletten den Schlachtruf zu deklarieren:
Yossarian lebt.
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