„Wo ist Böll?" fragte letzte Woche Die Zeit und tatsächlich ist Hermann Hesse als der ältere dieser beiden deutschen Nobelpreisträger aktuell wesentlich präsenter. So ist dessen Gesellschafts- und Verfallskritik wohl romantischer (und zeitloser?) als Bölls Texte, die oft klar politisch motiviert daherkommen. (Kleine Randnotiz: Böll war es, der zusammen mit seiner Frau Annemarie die wohl bekannteste deutsche Übersetzung von Salingers „Der Fänger im Roggen" geliefert hat, mit dem Hesses Werk, insbesondere „Siddharta" ja gern verglichen wird und der eine ähnliche popkulturelle Erscheinung darstellt.) Gepflegtes Außenseitertum á la Hesse wird wohl nie ganz aus der Mode kommen. Und Reisen, Wandern und Sinnieren ist ja dank Hape Kerkelings Bestseller ohnehin in aller Munde.
Hesses Werke können gerade jungen Menschen sehr hilfreiche Ermahner und Ratgeber sein, Beistand und Denkanstoss in Zeiten voller Fragen und Zweifeln. Mitunter auch eine Flucht. Voller Inbrunst habe auch ich früher Hesse gelesen, mich damit durch dunkle Zeiten gelotst und mit seiner Hilfe eine Hassliebe zur Einsamkeit und einer gewissen Ruhelosigkeit entdeckt. Sein Name ist schon fast Klischee der Sinnsuche-Jugend geworden.
Ein paar Jahre später, als inzwischen zu etwas mehr Abgeklärtheit und einem gewissen Zynismus herangereifte/r Leser/in, können seine Lyrik und Prosa manchmal etwas nah an Naivität und sogar Kitsch wirken. Nichts ist nun leichter, als sich ein bisschen über ihn lustig zu machen. Und damit über sich selbst in den Jahren des Heranwachsens, der unerschütterlichen Ideale, des von niemandem verstanden werden wollen. Der Spiegel nannte Hesse einen „Märchenonkel" und mir fällt es heute tatsächlich schwer, seine Gedichte und die Bücher meiner Suhrkamp-Jubiläumsausgabe mit der Begeisterung vergangener Jahre zu lesen.
Aber Fakt ist: Hermann Hesse ist auch 45 Jahre nach seinem Tod einer der meistgelesenen deutschsprachigen Autoren aller Zeiten. Und das ist auch gut so.
siehe auch: popkulturelle Hesse-Referenzen (engl.)
Werbung
Auch ich halte Hesse für überschätzt. Dennoch oder deswegen freue ich mich, hier derart unterhaltsame Gedanken über ihn lesen zu können.