SPOT on Dänemark: Reptile Youth bringen den Raum zum kochen

Wahrscheinlich war es der Auftritt beim SPOT Festival 2011, der alles so richtig ins Rollen brachte, als sie wie von Geistern getrieben eine fulminante Show hinlegten und in R'n'R Manier die Bühne zerlegten. Ungefähr das Vierfache ihrer Gage mussten sie für das zerstörte Equipment löhnen, Schuld für die halsbrecherische Show war eine Flasche Rum auf leerem Magen, erinnern können sich Mads und Esben nicht mehr an den Auftritt.

Doch neben gehörigem Schadensersatz brachte das Konzert dem Duo außerdem diverse Auftritte in Europa ein und erweiterte den Ruf der damals noch als Reptile and Retard bekannten Electrorocker um wahnsinnige Bühnenstunts die man live mit erleben musste.

Reptile Youth: Anfänge in China als Reptile and Retard

Alles begann in China, wo sich die Freunde Mads Damsgaard Kristiansen und Esben Valloe bei einem Entrepeneur Studium zusammen fanden und als Projekt den chinesischen Markt erobern wollten: mit Musik.
Schnell warfen die unterschiedlich geprägten Musiker ihre Stile zusammen, Mads eine Kehle mit 70er Jahre Soulrock eingefärbt und Esben DJ Künste und einen dicken Bass und schon waren Reptile and Retard gegründet.

Der Name – so platt er anfangs auch klingt – ist eigentlich etwas cleverer gewählt als gedacht, denn „Reptile“ spricht auf das sogenannte „Reptile Brain“ an, das in Stresssituation einsetzt, wenn die Instinkte das Denken übernehmen und man nur noch zwischen „fight or flight“, beziehungsweise Kampf oder Flucht entscheidet.
Das „Retard“, zugegeben, war die Partyseite der Band, der Schalk im Nacken. Ein wenig aber auch sicher die Kreativität, die beim Songwriting auch mal von Dingen wie einem guten Hangover inspiriert wird, denn Schlafmangel und Restalkohol sind gute Ventile für einen Geist, der etwas anders tickt, wie mir Mads erzählt, als wir uns zum SPOT Festival 2012 im Musikhuset zum Interview treffen. Er und Esben in dicken Sonnenbrillen, ich eher im dicken Kapuzenpullover, denn die Meeresluft ist frisch in der dänischen Hafenstadt Arhus.

Politische Anspannung und Rebellion als Inspiration

In China erlebten Mads und Esben nicht nur tatsächlichen Erfolg, sondern auch einen Kulturschock, der zum Nachdenken anregte. Da Reptile and Retard vorwiegend in kleinen Underground Clubs spielen mussten, da westliche Musik und vor allem die alternative Szene nirgendwo anders gefunden werden konnte, erlebten sie dort rebellische Jugendliche neben westlichen Geschäftsmännern in Anzügen, die im Grunde für die wirtschaftliche Ausbeutung des Landes verantwortlich waren.
Hier, so Mads, kamen sie zusammen und erlebten einen Moment, ein Stück Musik gemeinsam.
Ein surrealer Eindruck, der auch später noch Einfluss auf die Band hatte, die – zurück in Dänemark – überlegen mussten, ob sie ihre vielen anderen Musikprojekte weiterführen oder sich auf Reptile Youth konzentrieren wollten.

Auch ein neues Konzept galt es auszuarbeiten, denn mit dem, was sie in China begonnen hatten, waren sie nicht gerade zufrieden. Ein neuer Name, eine neue Herangehensweise, die ambitionierter und kreativer sein sollte.

„Reptile Youth“ entstand, vielleicht auch das ein Spiegel der chinesischen Jugend, die im unterdrückten System in die Ecke gedrängt wird, wobei die Flucht in die Musik in ihrem Fall auch ein Angriff gegen die Unterdrückung ist.

Speeddance: Nur eine Facette der Electrorocker

Der äußere Schein als Partypopper trügt, vor allem wenn man Reptile Youth auf der Bühne und mit ihrem Disco Inferno „Speeddance“ erlebt. Spaß und Energie bringen sie auf die Bühne, aber eine kopflose Hitband a la LMFAO sind sie sicher nicht, dazu sind beide Musiker viel zu anspruchsvoll sich selbst gegenüber und auch ihre Mission erscheint etwas mehr zu beinhalten als ein paar Radiohits zu schreiben, die betrunkene Jugendliche auf Mallorca grölen können.
Besonders Mads verausgabt sich so sehr auf den Konzerten, dass nicht wenige denken, dass er auch im „wahren“ Leben eine Rampensau ist, da er mir jedoch im Interview relativ ruhig und entspannt gegenüber saß, ohne sich das Shirt vom Leib zu reißen oder den Tisch zu zertrümmern, kann man wohl eher davon ausgehen, dass er einfach zu den begnadeten Showmenschen gehört, die auf der Bühne transformieren. Das ist jedoch leichter gesagt, als getan.

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Mads: Ich brauche mindestens drei Stunden, um in einen bestimmten Gefühlszustand zu kommen, um die beste Performance zu geben. Aber manchmal ist das wirklich schwer, gleichzeitig ist es auch gut, dass es schwer ist, die Energie und das Gefühl zu erlangen. Das ist nicht immer schön als Musiker, aber es ist interessant für das Publikum.
Wir haben eine unausgesprochene Regel in der Band, immer alles zu geben…
Esben:…es gibt kein Nachlassen auf der Bühne…
Mads:…nein, weil wir das dem Publikum schulden, ich selbst bin ein sehr kritischer Konzertgänger und ich hasse es, wenn die Musiker nicht richtig da sind und nicht alles geben und ich sie nicht fühlen kann. Ich geh nicht nur auf ein Konzert, um Texte zu hören oder eine Melodie, sondern um Menschen zu spüren, um Authentizität zu spüren. Und nur wenige Bands schaffen das. Wir haben vorhin gerade darüber gesprochen, ich hab vor einigen Jahren Neil Young gesehen und er ist überirdisch und unbeschreiblich. Irgendwie umgibt ihn Magie und es liegt nicht daran wie gut er singt oder spielt, es ist eine merkwürdige Energie, dasselbe hab ich bei Nick Cave erlebt und du (zu Esben) hast doch dasselbe über PJ Harvey gesagt.

Mads Kristiansen über das Texten

So viel Hingabe findet man auch beim dänischen Duo, genau wie diese Ernsthaftigkeit, wenn es um ihre Rolle als Musiker geht. Die losgelöste Kreativität setzt hingegen beim Schreiben der Songs ein und da zeigen sich auch die psychedelischen 70er Wurzeln von Mads.

Mads: Alles fängt mit einem Gefühl an, etwas, das man einfach ausdrücken möchte. Und ich glaube die besten Songs entstehen, wenn etwas einfach so erscheint. Erst kürzlich saß ich auf einem Dach und ein Song brach aus mir heraus und es hat vielleicht zwei Minuten gedauert und dann war er fertig. Es war beinahe so als hätte jemand den Song für mich geschrieben. Es war ein merkwürdiges Gefühl, aber genau das ist das beste Gefühl, wenn ein Song einfach zu einem kommt. Manchmal kämpft man aber auch, manchmal arbeite ich einen Monat lang an einem Song.

Esben: Und manchmal hast du göttliches Blu-Tooth…

Von da aus findet sich der Song oftmals mit Mads und Esben am Klavier wieder wo er ausgearbeitet wird. Erst ganz zum Ende wird er durch den Computer gejagt, was den Songs auch eine gewisse Rock Dynamik verpasst, die den in DJ Programmen geborenen Werken ab und an abhanden kommt.

Das neue Album kommt im Sommer

Lange Zeit konnte sich die Band durch ihren Ruf als explosive Live Band ganz ohne Release durch die dänische Musikszene schlagen, die Empfehlungen von Fans trugen sie von einem Gig zum nächsten, ihr Manager Andreas Lemche dürfte auch einiges dazu beigetragen haben, was letzten Endes auch in einem Auftritt auf dem Roskilde Festival resultierte, eine Art Ritterschlag für skandinavische Bands. Es folgte das französische Montreux Festival im selben Line-Up mit Arcade Fire und großen Classic Rock Bands.

Doch mittlerweile steht tatsächlich auch ein Album an, das die beiden in London aufnahmen, wo sie sogar Unterstützung von Produzentenhoheiten bekamen. Dave M. Allen (The Cure, Sisters of Mercy) und Marc Ralph (Hot Chip) vereinten die musikalischen Herkünfte von Mads und Esben und schienen damit perfekt zu sein, um dem heiß ersehnten Debüt den letzten Schliff zu verpassen.

Das liegt kaum in den Startlöchern und schon haben Mads und Esben neue Pläne, bis zur Veröffentlichung wollen sie nämlich bereits das Rohmaterial für das nächste Album parat haben, damit sie ohne den Erfolgsdruck eines Debüts in aller Ruhe daran arbeiten können, wenn Promo und Livetouren ihnen um die Ohren geschlagen werden.

Mads: Wir wollen Album Nummer 2 fertig haben, bevor Album Nummer 1 veröffentlicht wird…
Esben: …zumindest die Demos.
Mads: Ja, nicht die Aufnahmen, aber die Songs sollten schon fertig sein, das wäre großartig und das würde uns einen Vorsprung für die weiteren Entwicklungen geben und wir könnten ein wirkliches Meisterwerk kreieren, weil wir nicht ständig hetzen müssten, sondern im Moment sein könnten.

Das Album Nummer 2 lässt natürlich noch ein wenig auf sich warten, denn erst einmal soll der Band zufolge das hoffentlich nicht minder meisterhafte Debüt im Sommer 2012 die Ohren zum scheppern bringen. Live kann man sich das auch schon hie und da – mittlerweile auch mit voller Bandunterstützung auf der Bühne – anhören, aber Vorsicht, auch ohne eine Flasche Rum neigen das Publikum und die Band dazu, sich selbst zu vergessen.

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2 Meinungen

  1. Schöner Artikel, allerdings finde ich das letzte Video uneglungen. Grade nach dem Abschnitt der die Live Qualitäten so anpreist wäre doch ein Video, dass die beiden genau in dieser Ekstase zeigt ganz schön.

  2. Hi Kathie,
    Zur Zeit der Veröffentlichung gab es kaum Live Videos, gerade dafür ist die Band ja auch berüchtigt und das Live Video zu Speeddance wurde auf Wunsch des Bandmanagers in das offizielle Video umgewandelt. Ich weiß was du meinst und werd gucken, was sich machen lässt.

    Gruß,
    Juliane

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