Recap der Echo Verleihung 2012: Niemand gewinnt wirklich etwas, außer einer inneren Leere

Vielleicht trügt die Erinnerung, aber als Teenager waren Award Shows irgendwie aufregender, die neusten Stars und die altbekannten Ikonen trafen sich auf glänzenden Bühnen, um in schlecht sitzenden Pailettenoutfits schlecht designte Preise zu verteilen, entgegen zu nehmen und bestenfalls noch mit ihnen auf der Fingerspitze balancierend einen Auftritt hinzulegen, bei dem hoffentlich irgendein Nippel zu sehen war.

Die Echo Verleihung 2012: Alles, was die Welt vor 10 Jahren gehört hat

Für jemanden, der insbesondere die internationale Musikszene nicht kennt, außerdem nur die Radios hört, die dem Trend so ca. ein halbes bis ein Jahr nachhängen, dürfte die Echo Verleihung dann auch eine höchst brisante Angelegenheit gewesen sein, für alle anderen war es ein Schaulaufen durch die „was macht eigentlich …?“ Bravo Speziale, die man nie lesen würde.

Hat übrigens jemand mitbekommen, dass Shaggy wieder da ist? Als er kurz seine Sonnebrille abnimmt (und im Gesicht sichtlich aufgeschwommen etwas an Family Guys Cleveland Brown erinnert), kann man – wenn man sich ganz doll konzentriert – vor laufender Kamera sehen, wie das letzte Stückchen Würde aus seinem Körper sickert wie Brackwasser, als er scherzend „Mr Lova Lova“ durch das Mikro würgt.
Zusammen mit Sean Paul und Marilyn Manson, die man seit Jahren vergessen hat, legt er den Verdacht nahe, dass die ARD ein Warenhaus auf dem Land führt, in dem abgehalfterte Musiker eingesperrt am Futtertrog hängen, bis sie zu unerheblichen Veranstaltungen der Öffentlichen in einen Laster geladen werden, um für einen Abend die aufregend knisternde Magie der Kameras zu spüren. Hat jemand die Fussketten sehen können?

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Spießroutenlauf für die Moderatoren

Der Musikjournalist guckt sich die Echo Verleihung nur noch an, weil er darüber schreiben muss, ansonsten ist das hochgespielte Medienereignis so irrelevant, wie ein Script für die Moderatorinnen Schöneberger und Müller, die in 150 Minuten schmerzhaft vorführen, dass Improvisation nur dann gelingt, wenn sie gut vorbereitet ist, was man den beiden gackernd, hysterischen Damen leider nicht anmerkt.
An einer Stelle versucht Schöneberger einen Echo aus einer Handtasche zu zerren, was nicht gelingt, ihr aber unbedingt gelingen will, weshalb es für eine Minute lang fast so spannend wie eine Bombenentschärfung bei „24“ wird, wobei der Echo nicht heraus gehebelt werden kann, die metaphorische Bombe damit wohl hochgegangen ist, um alle in die Luft zu jagen. Und nun die Gretchenfrage: Wäre das wirklich schlimmer als Gabalier mit Elvistolle, der „saucool“ sagt und tatsächlich denkt, dass er damit Street Cred bei der Zielgruppe 14-21 erhält? Hashtag Fail, Gabalier, vielleicht beim nächsten Mal.

Echo 2012: Jetzt auch ohne Teleprompter

Von einem Teleprompter scheint die gesamte Belegschaft noch nie etwas gehört zu haben, wozu auch, man will sich jung geben, was in ARD Kreisen anscheinend „völlig konfus“ bedeutet, denn wenn es einen Teleprompter gibt, dann weiß niemand wo er steht, so quälen sich die meisten mehr oder weniger erfolgreich durch das, was sie für Moderation halten. Selbst Charlie Browns Lehrerin würde hier besser da stehen als Lena Meyer Landruth, der zu allem Überdruss auch noch das Mikro abgewürgt wird, als sie Bendzko seinen Preis als bester nationaler Newcomer überreicht.
Aber konzeptlos und verwirrt, so ist halt die Jugend von heute, oder?

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Jung ist für Ina Müller ein Rammstein Fan, jung ist jemand, der darüber lacht, dass in den ARD Nachrichten von Kraftclub die Rede ist, haha, diese alten Rosinen, was wissen die schon von modernen Musiktrends? Aber Ina Müller weiß wie der Hase läuft, in schwarzem Hosenanzug und einer blonden Zuckerwatte auf dem Kopf brüllt sich die, ähem, Künstlerin durch ihre Moderationen und scheint uns damit immer und immer wieder sagen zu wollen „ich bin relevant, ich bin jung, seht mich an, oder ich zerfalle zu Staub!“.

In Hollywood Filmen werden unvorbereitete Ansager auf die Bühne geschubst und nach einigen amüsanten Mikroproblemen geht dann doch alles gut. Im wahren Leben, bzw. der ARD darf man sich stattdessen ansehen, wie Hysterie mit Moderation verwechselt wird.

Dass Barbara Schöneberger dabei sekundenweise professionell herüber kommt, liegt nur daran, dass Ina Müller ihr währenddessen mit leerem Blick an der Hüfte hängt, Schöneberger, der rettende Anker, der Müller davor bewahrt, sich eines der wenigen, exklusiv eingeladenen Teenie-Mädchen aus dem Publikum zu greifen und ihr Blut vor den Augen der entsetzten Menge zu trinken. Ewige Jugend hatte man ihr versprochen, als sie diesen Gig angeboten bekam, doch Ina Müller altert vor unseren Augen, wie Dorian Gray, nachdem er sein Bild eigenständig zerstörte, zerfällt langsam und erinnert daran, dass Eitelkeit keinen Bestand hat.

Die großen Nominierten werden geskippt, erst am nächsten Tag werden wir erfahren, dass Coldplay, Adele, Michael Bublé und die Red Hot Chili Peppers allesamt Preise gewonnen haben, dem Zuschauer bleiben sie jedoch verborgen, da sie etwas besseres zu tun hatten, als sich von planlosen Metaphern auf die Vergänglichkeit unförmige Echo-Preise in die Hände drücken zu lassen.
Irgendwie ist es dann auch unglaublich traurig, dass der aktuellste internationale Star mit einem Preis am Ende David Guetta ist, den niemand mag und der wie jemand aussieht, der einem Koks in einer Seitengasse verkauft und einen dann verprügelt, um einem das Portemonnaie und das Koks zu klauen.

Deutsche Bands trumpfen beim Echo auf

Die deutschen Bands, die heute hoch gefeiert werden, sind allesamt so alt wie die See, die Sonne und das Universum, hier treten die Toten Hosen auf und Udo Lindenberg singt mit Jan Delay, der einst „Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt“ unter Tränen im Garten in einer düsteren Nacht verbrannt hat, um sich daraufhin für ewig an die tumben Massen und ihre Top 40 zu verkaufen und das nur, weil die Indie Szene seine Liebe für Nike Schuhe nie nachvollziehen konnte.

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Da der Echo es etwas anders als professionelle Award Shows machen wollte, werden die Nominierten nicht nur durch Videos vorgestellt, nein, die Anmoderatoren, die darauf nicht wirklich vorbereitet sind, müssen auch noch etwas zu jedem sagen.
Kennt jemand die schreckliche Situation, wenn man jemanden vorstellen soll, an dessen Namen man sich nicht mehr erinnert? Schön, dass man das auch mal in der Promi-Edition erleben darf.
Klaus Meine stolpert sich ausgerechnet durch eine Anmoderation der internationalen Newcomer, unter denen Gotye so sehr heraus sticht, dass man sich wünscht, er würde nicht gewinnen, nur damit sein Name niemals in Verbindung mit diesem apokalyptischen Vorzeichen gebracht werden muss. Und Gotye hat Glück, es gewinnt jemand, von dem noch nie jemand außerhalb der Privatradios gehört hat.

Die Gewinner sind insgesamt überraschungsarm, Tim Bendzko bekommt einen Preis, weil er im letzten Jahr so forciert von der Industrie gefördert wurde, dass niemandem aufgefallen ist, dass er nur die Bibelfreie Version von Xavier Naidoo ist.
Ina Müller bekommt dann auch noch einen Preis, einfach, weil die Stimmung beim Echo sowieso ähnlich eines Schulsportfestes ist: Jeder, der sich getraut hat, teilzunehmen, kriegt auch einen Preis.
Müllers Rede danach geht in einem Rauschen unter, das daraus resultiert, dass meine Ohren unverhofft zu Bluten angefangen haben.

Rammstein geben sich zurückhaltend

Rammstein dürfen gleich zwei Mal einen Preis entgegen nehmen und geben sich dabei erfrischend kurz angebunden, obwohl sie das eine Mal dann doch noch von Co-Musiker Marilyn Manson blamiert werden, der sich umgehend vor den Musikern niederkniet, was sicher schwer gefallen ist, da Manson reichlich alt geworden ist und sein Outfit sehr unbequem aussieht.

Warum diese Geste, das erfahren wir später, als Manson zusammen mit Rammstein auf der Bühne steht und die Labyrinthartigen Wege der Echo Bühne durchwandert, dabei mit seiner Frisur und seinem Outfit zu kämpfen hat. Till Lindemann hat beim Strohhalm Ziehen gewonnen und durfte zuhause bleiben, wo er GNTM guckt und eine Mate trinkt.

Bushido und Sido sind weniger zurückhaltend bei ihrer Dankesrede, die sie für ein Musikvideo halten dürfen, dass sie nicht gedreht haben. Vor unseren Augen verwandeln sie sich in glucksende 16-Jährige, die denken, dass sie cool sind, tatsächlich nur anstrengend wirken, wie sie da leere Bierdosen auf der Bühne herum kicken und Kaugummiblasen platzen lassen.
Als sie Schöneberger und Müller in deren sowieso niemals ernst gemeinten Moderation unterbrechen, scherzt Müller „So etwas nennt man dann wohl einen Skandal“.

Glauben Sie mir, Frau Müller, wenn das Öffentliche GEZ Gelder für Moderatoren rausschmeißt und die nicht einmal den Anstand haben, sich auf Ihren Auftritt vorzubereiten, wie es jeder normale Host tun würde, DANN ist das ein Skandal.

Internationale Stars sind spärlich gesäht

Für Kate Perry muss man sich etwas schämen, denn dieser internationale Star hat es nicht verdient, bei so einer Banalität dabei zu sein, nicht einmal Perry. Bruno Mars Jason Mraz und eine andere Perry säuseln sich dann noch durch eine Ballade, die in Relation zu Silbermond und die Toten Hosen (die mittlerweile auch Silbermond sind) sogar einigermaßen erträglich ist.
Ansonsten dürfen Kraftklub und Casper neben Rammstein die einzigen relevanten Stars bleiben, die die Bühne betreten, sie dabei auch in Rammstein-Brand setzen und dabei Schöneberger und Müller eine der schlimmsten Steilvorlagen für einen schrecklichen, visuellen Gag geben, den niemand haben wollte, den sie aber trotzdem bis zum Ende durchziehen.

Tribut an Whitney und Amy

Der Rest der Welt hat es schon längst überwunden, aber die Musikindustrie vergisst nicht, weshalb wir uns auch noch ein Spezial zu Ehren von Whitney antun müssen, das glücklicherweise kurz und schmerzlos ausfällt, sicher auch, weil niemand der Anwesenden durch einen Houston Song gekommen wäre, ohne sich noch mehr zu blamieren, als es sowieso schon der Fall ist.
Nur Ina Müller hat sich bestimmt gemeldet, wurde dann jedoch mit einer jungfräulichen Kammerzofe abgelenkt, aber das erleichterte Aufatmen kann man sich sparen, denn auch Amy Winehouse ist ja von uns gegangen, wir erinnern uns, der Echo erinnert sich auf jeden Fall.
Und dieses Mal half auch keine Zofe, kein Necronomicon oder goldenes Kalb, Ina Müller singt zusammen mit ein paar Damen in fragwürdiger Garderobe und einer entfernten Verwandten von Winehouse, die wie eine teure Shampooflasche aussieht und hoffentlich nur zu ahnungslos war, den Gig abzusagen. Und es ist schrecklich.
„Valerie“ ertönt, der „größte Hit“ von Amy und niemand scheint es ihnen übel zu nehmen, dass sie damit quasi den einzigen Song spielen, den Amy nicht selbst geschrieben, sondern lediglich gecovert hat. Die Zutons werden sich freuen, das gibt doch sicherlich wieder Tantiemen.

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Ehrung an Wolfgang Niedecken berührt

Und dann ist der einzige, ehrliche, schöne Moment der, wenn Wolfgang Niedecken seinen Ehrenpreis erhält, wenn Kollege Campino ihm eine Rede widmet und Niedecken mit Tränen in den Augen zuhört, wenn Freund Wim Wenders den Preis übergibt und meint, dass der Preis eigentlich total nebensächlich ist, woraufhin Campino panisch einlenkt.

Sicher, weil ihm der Geist der ARD erschienen ist und ihn gewarnt hat, dass Wenders die Wichtigkeit dieses Preises, der doch so offensichtlich für das Bestehen der Welt zuständig ist, sabotieren könnte und nur Campino allein ihn davon abhalten kann, zur Not mit Gewalt.
Doch selbst Wenders Wahnvorstellung, dass der Echo keinen Bestand hat, kann nicht davon ablenken, wie intim, ehrlich und emotional der Moment ist, als Clueso zusammen mit BAP aufspielt. Man muss kein Fan von BAP sein, aber nach ca. zwei Stunden vorgehaltener guter Laune, verbittert-witzigen Sprüchen und der drohenden Gefahr, dass Gott selbst in die Veranstaltung eingreift und mit einer Spontanflut das Elend beendet, braucht es auch mal einen kleinen, glorreichen Moment, in dem ein paar Menschen wirklich meinen, was sie da sagen und singen.

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Leider fällt dann Thomas D auf die Bühne und zerreißt diesen Moment zwischen Clueso und Wolfgang und dann fallen plötzlich all die anderen schrecklichen Menschen, die diesen Abend so unerträglich gemacht haben auch noch wie Zombies mit auf die Bühne ein und zerfleischen Clueso und Niedecker, kauen röchelnd an ihren Gliedmaßen und ruinieren ALLES!

Nur Tim Bendzko darf nicht mitmachen, stattdessen sitzt er zwischen den ernsten Musikmogulen, die ihn mühsam in die Heavy Rotation geworben haben und nun Angst haben, dass er doch noch zu sich kommt und erkennt, dass er gar kein echter Junge ist, und sich daraufhin in einen Esel verwandelt. Zur Beruhigung haben sie ihm eine Dose Pringles in die Hand gedrückt und auf dem Heimweg, so wird ihm versichert, gibt es auch noch ein Kids Menü bei McDonalds, aber nur, wenn er nicht wieder seine Mütze verliert.

Und dann ist es vorbei, während Ina Müller und Barbara Schöneberger sich erschöpft und immer noch viel zu laut an die Zuschauer wenden, löst sich die Anspannung von zweieinhalb Stunden und ich fange krampfhaft an zu weinen und kann bis in die frühen Morgenstunden nicht damit hören.

Bis zum nächsten Jahr, oder besser, bis zum Eurovision Song Contest.

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3 Meinungen

  1. „die andere Perry“ hat aber nicht mit Bruno Mars gesungen sondern mit Jason Mraz…

  2. @Klaus: Danke, ich verwechsel die alle gerne mal, was leider auch nicht so schwer ist.

  3. Oh JA! – das war emotionslos.
    Manchmal ist das Business reines Zwergenwerfen für die Quote.

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