Über 65 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges ist die Generation der Kriegskinder und -jugendlichen im Rentenalter, und ihre Kinder sind ihrerseits erwachsen. Es ist die Generation, die von denen erzogen wurde, die als Kinder den Nationalsozialismus und den Krieg noch miterleben mussten. Wie hat diese Tatsache Erziehung und Leben der „Kriegsenkel“ beeinflusst?
Eingekapselte Emotionen
Dass viele Deutsche, die in den 20ern und 30ern des letzten Jh. geboren wurden, in den Jahrzehnten nach dem Krieg schwiegen, hatte häufig offensichtliche Gründe: Nazikarrieren, Kriegsverbrechen, Kriegsgewinnlertum. Wenn aber die heute noch lebenden, NS-unbelasteten „Alten“ tatsächlich über ihre Kriegskindheit erzählen, hören ihre erwachsenen Kinder entweder streng Rationales („Opa hat in Russland mal einen Panzer geknackt – daher der Orden“, „Krieg ist Technik, und die bessere Technik gewinnt“) oder manchmal Äußerungen, die einen erahnen lassen, was die damaligen Kinder oder Jugendlichen wirklich mitmachen mussten („Wenn die Tiefflieger kamen, stellt meine Mutter uns immer in die Zimmerecken. Dort kamen Querschläger nicht so leicht hin“). Selten kommt es aber vor, dass sie über ihre Gefühle sprechen, die sie bei dem hatten, was sie erleben mussten. Die Nachgeborenen erahnen dies nur durch „unfreiwillige“ Verhaltensweisen, etwa, wenn die Eltern bei Nachrichten aus heutigen Konfliktgebieten im TV immer sofort umschalten – oder im Schlaf Alpträume hatten, in denen sie das Durchgemachte nochmal durchlebten. Ein Indiz dafür, dass eine emotionale Aufarbeitung der schlimmen Erlebnisse über weite Strecken bei dieser Generation nicht stattfand. Gerade die in den 1930er Jahren Geborenen schufen als „Wirtschaftswundergeneration“ das Fundament für den Wohlfahrtsstaat von heute: Sie waren ein Leben lang fleißig, gönnten sich eher wenig, konzentrierten sich auf den Aufbau ihrer Familie und schienen – durch ihr Kriegs- und Faschismuserlebnis in Kindheitsjahren – ein großes Interesse an einer humanistischen, auf Basis der Demokratie gelebten Lebensweise zu haben, die konstruktiv und pazifistisch geprägt war. Und dennoch zeigen sich selbst bei ihren Kindern noch Störungen und neurotische Verhaltensweisen, die mit dem Erlebten ihrer Eltern zu tun haben könnten.
Ängste in den Genen?
Bei vielen Kriegskindern, die heute im hohen Rentenalter sind, findet nach all den Jahren nach der Familiengründung und den Jahrzehnten im Beruf eine Rückkehr der erlebten Traumata im Alter statt: Sie träumen von den Gräueln, die Sie erlebt haben, und entwickeln häufig Depressionen und Angstzustände.
Aber auch ihre Kinder sind vor den Spätfolgen nicht gefeit: Es übertragen sich Verhaltensweisen. Wenn beispielsweise ein Elternteil aus Angst vor Verlust und Gefahr vor jedem Verlassen der Wohnung zwanghaft mehrmals Herd und Wohnungsschloss überprüft, kann sich diese in jungen Jahren erworbene Verlustangst (Aus Therapien gibt es die Erfahrung eines „kollektiven“, also vielfach geträumten Traums der Kriegskindergeneration: „Man steht mit seinem Koffer auf dem Bahnhof, dreht sich kurz um – und der Koffer ist weg“) verhaltensmäßig auf die nächste Generation übertragen.
Und das ist noch nicht alles: Neueste Untersuchungen weisen darauf hin, das traumatische Erlebnisse das Erbgut dauerhaft verändern – und damit Neurosen, Depressionen und physische Krankheiten bei den Nachgeborenen u.U. zumindest fördern können.
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