Pränatal- und Präimplantationsdiagnostik – ein weites Feld für ethische Überlegungen
Gesetze werden diskutiert, die Kirche hat ein Wörtchen mitzureden, die Stammtischrunden und nicht nur diese haben eine Menge Gesprächsstoff, wenn es um die Themen Pränataldiagnostik und Reproduktionsmedizin geht.
Nehmen wir das Beispiel der inzwischen so gängigen Fruchtwasseruntersuchung, die jeder Schwangeren ab 35 ans Herz gelegt wird. Und das, in Zeiten, in denen eine ganze Menge Schwangere dieses Alter bereits beim ersten Kind erreicht haben. Klar, wenn alles gut geht, ist es eine schöne Methode, um den Eltern eine unbeschwertere Schwangerschaft zu verschaffen.
Doch was ist, wenn es Zweifel an der Gesundheit des Kindes gibt? Mal abgesehen davon, dass der optimale Zeitpunkt einer Fruchtwasseruntersuchung relativ spät liegt und auch eine entsprechende Abtreibung keinen Zellklumpen mehr trifft – mit der Entscheidung über Leben und Tod sind die Eltern komplett allein gelassen.
„Im gesellschaftlichen Diskurs, über die Medien vorgetragen und in immer gleichen Gesprächsrunden wiederholt, erscheinen die Abbrüche der Schwangerschaft aus Gesundheitsgründen als von einer Ethik des Mitleids getragen und deshalb verantwortungsvoll.“
Diese Autorin ist eine Kapazität auf ihrem Gebiet
Hille Haker ist Professorin für Theologische Ethik an der Loyola University Chicago und an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Sie berät unter anderem die Bundesärztekammer bei ethischen Entscheidungen und ist Mitglied der Ethikberatergruppe für Naturwissenschaften und Neue Technologien der Europäischen Kommission.
Ihr Buch „Hauptsache gesund?“ befasst sich unter anderem mit der Frage, ob wir ein Recht auf ein gesundes Kind haben, wie sich der gesellschaftliche Wandel diesbezüglich in den letzten Jahrzehnten zeigt und was ist, wenn die Lebensplanung ins Wanken gerät, weil der Körper nicht so will, wie wir wollen. Prof. Haker zeigt auf, welche verheerende Rolle in diesem Spiel der Autonomie der Frau zukommt, wie die Präimplantationsdiagnostik aus ethischer Sicht zu betrachten ist. Paare könnten sozusagen den Embryo wählen, den sie dann als ihr Kind anerkennen werden.
„Die ethische Sprache erfasst nicht ganz, was hier aus Sicht der Paare geschieht, denn diese beabsichtigen ja nicht notwendig die Wahl, sondern die meisten wollen, dass ihr zukünftiges Kind so gesund ist, wie es nach dem medizinischen Kenntnisstand prognostizierbar ist. Aber international geht es keineswegs nur um solche medizinischen Indikationen: Die in einigen Ländern zugelassene Geschlechtswahl aus sozialen Gründen ist eindeutig auf die Wahl eines bestimmten Kindes bezogen;“
Letztendlich geht es der Autorin darum, das Schweigen zu durchbrechen, das die Frage nach der Moral in Entscheidungen zum Eltern-Werden beherrscht. „Denn entweder können wir gar nichts zu den persönlichen Entscheidungen anderer sagen oder aber wir urteilen, ohne die jeweils besonderen Situationen zur Kenntnis zu nehmen. Ich denke, dass beide Haltungen den moralischen Verantwortungsfragen nicht gerecht werden.“
Spannend von der ersten bis zur letzten Seite
„Hauptsache gesund?“ ist mehr oder weniger einzuordnen unter den Ratgebern, liest sich aber regelrecht wie ein Krimi. Hille Haker beleuchtet die jeweiligen Situationen, in denen sich die Eltern befinden unter einem sehr klaren Licht, beschönigt nichts, bleibt aber auch nicht in der theologischen Schiene hängen. Man kann dieses Buch als Ergänzung sehen zu einem Werk, das die Professorin bereits vor einiger Zeit veröffentlicht hat: „Ethik der genetischen Frühdiagnostik“. Das Schöne ist, sie verliert sich nicht in wissenschaftlichen Details und der sonst oft so typischen Gelehrtensprache, wirkt authentisch und nach wie vor auf der Suche – es geht ihr darum, die Sorgen der Eltern oder derjenigen, die Eltern werden möchten, ernst zu nehmen und Antworten zu finden, auf Fragen, die einem viele schlaflose Nächte bereiten können.
Hille Haker: Hauptsache gesund?, erschienen bei Kösel im Mai 2011, gebunden zu haben für rund 20 EUR.
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