Knapp zwei Jahre ist es her, da konnten wir stolz verkünden: „Wir sind Weltmeister!“ Nun ist Deutschland Europameister – allerdings nicht im Fußball, sondern im Handball. Das finale Match gegen Spanien entschied die deutsche Nationalmannschaft Ende Januar mit einem amtlichen 24:17 für sich. Die Einschaltquote für das Endspiel war eine der höchsten der vergangenen drei Jahre. Handball macht damit der Lieblingssportart der Deutschen, dem Fußball, ernsthaft Konkurrenz.
Das Fußball-WM-Finale 2014 hatte mit 34,65 Millionen Fernsehzuschauern die bisher höchste TV-Einschaltquote in Deutschland überhaupt.
Fußball bald entthront?
Fußball ist und bleibt mit Abstand die beliebteste Sportart der Deutschen, andere Sportarten holen aber langsam auf. Hoch im Kurst stehen Boxen, Motorsport, Skispringen und Tanzen. Handball belegt in der Beliebtheitsrangliste bisher lediglich den zehnten Platz – erfreut sich jedoch immer größerer Popularität.
Das Spiel dauert 90 Minuten – oder doch nur 60?
Handball ist schneller und actionreicher als Kicken. Ein Match dauert 60 statt 90 Minuten, es fallen deutlich mehr Tore und es geht rauer und härter zur Sache. In den Medien hört und liest man dennoch kaum etwas über Handball, über Fußball berichten dagegen zurzeit etwa 13.000 Journalisten – beim Handball sind es lediglich 1.300. Im deutschen Free-TV werden alle 64 Spiele der Fußball-WM übertragen, beim Handball sind keine Turniere komplett zu sehen. Im Sommer wird die Fußball-Europameisterschaft 2016 das beherrschende Thema sein. Nach dem WM-Titel 2014 rechnen die Sender mit höheren Einschaltquoten als je zuvor – Deutschland ist immer noch im Fußball-Fieber.
Einschaltquoten sprechen für sich
Beachtliche 12,98 Millionen Zuschauer sahen sich das Endspiel der Handball-EM im TV an, da hatte sogar der „Tatort“ mit 9,34 Millionen das Nachsehen. Die Besucherzahlen bei dem Turnier in Polen waren ebenfalls hervorragend: Der bisherige Rekord von 373.000 Zuschauern bei der EM 2014 in Dänemark wurde übertrumpft, 400.000 Zuschauer sahen vor Ort die Matches der EM 2016
Die beliebtesten Sportarten Deutschlands im Überblick:
(Die Werte geben an, wie viel Prozent der Befragten sich für die jeweilige Sportart besonders interessieren.)
Sportart | 2015 | 2014 |
Fußball | 34,8% | 34,6% |
Boxen | 15,0% | 16,0% |
Motorsport | 14,2% | 16,0% |
Skispringen | 12,8% | 12,8% |
Tanzen | 12,3% | 12,5% |
Biathlon | 11,7% | 12,1% |
Leichtathletik | 11,7% | 12,6% |
Ski-Alpin | 10,3% | 10,5% |
Schwimmen | 9,6% | 10,3% |
Handball | 9,0% | 10,0% |
Eiskunstlauf | 8,0% | 8,2% |
Tennis | 7,6% | 7,8% |
Eishockey | 6,7% | 7,2% |
Radsport | 6,6% | 6,7% |
(Quelle: de.statista.com)
Handball auf der Überholspur
Ist Handball bald die beliebteste Sportart Deutschlands? Wohl kaum – dafür fehlt der Sportart die Unterstützung der Medien und die Prominenz, obwohl die deutsche Handball-Nationalmannschaft erfolgreich ist: Bereits neun Weltmeistertitel kann sie verbuchen – dagegen sehen die vier Titel der Fußball-Nationalmannschaft etwas blass aus.
Was der deutschen Handball-Nationalmannschaft als nächstes bevorsteht:
• Durch den Europameister-Titel hat sich die Mannschaft für die Olympischen Spiele im Sommer 2016 qualifiziert.
• Die deutsche Handball-Nationalmannschaft ist außerdem für die Weltmeisterschaft 2017 in Frankreich qualifiziert.
Handball-Bundestrainer Dagur Sigurdsson ist zuversichtlich, was das Abschneiden bei den Olympischen Spielen betrifft: „Natürlich gibt es das nicht so oft, dass man zwei große Turniere hintereinander gewinnt. Aber die Motivation wird kein Problem sein. Da lässt sich keiner hängen, nur weil er Europameister ist. Die wollen alle noch mehr, und sie wissen, sie werden nicht spielen, wenn sie nicht 100 Prozent geben“, betont er gegenüber dem Tagesspiegel.
Sigurdsson wird von den deutschen Handballfans gefeiert und bejubelt. Er hat es geschafft, die Mannschaft durch seine kühle, konzentrierte Art und seine ausgeklügelte Taktik auch ohne die ganz großen Stars zum Erfolg zu bringen. Vorbild war der Fußball: „Ich habe damals Deutschlands Fußballer als Beispiel genommen. Vor der WM 2014 haben alle gesagt: Da gibt es keine Typen, keinen Ballack, keinen Effenberg, keinen Kahn, und ohne Typen gewinnt man nicht“, so Sigurdsson. Der Bundestrainer weiter: „Dann sind sie Weltmeister geworden, und plötzlich waren überall Riesentypen: Neuer hier, Schweinsteiger da, Müller, Lahm. Erst wenn man gewinnt, wird man ein Typ – das ist natürlich Blödsinn.“
Ex-Nationalcoach Brand vertraut dem deutschen Team
Auch der ehemalige Bundestrainer Heiner Brand ist optimistisch, was die Zukunft des deutschen Handballs anbelangt: „Dieses Team wird uns noch viele schöne Handballmomente schenken. Wenn die Jungs am Boden bleiben und weiter hart arbeiten, wird unsere Mannschaft das dominierende Team in der Zukunft sein“, sagt er in seinem Interview mit express.de. Brand trainierte die Nationalmannschaft von 1997 bis 2011, gewann 2007 die Weltmeisterschaft und 2009 den Supercup.
Handball ist längst keine Randsportart mehr
Andreas Wolff, der Torhüter des deutschen Teams, ist momentan das Handball-Gesicht in Deutschland. Seine Mission, mehr Werbung für seinen Sport zu machen, nimmt er sehr ernst. In TV-Sendungen wie „Doppelpass“, „Aktuelles Sportstudio“ und „Stern TV“ rührt er fleißig die Werbetrommel für Handball. Wolff gibt sich selbstbewusst: „Ich denke nicht, dass Handball ein Randsport ist. Wir sind immer noch die Nummer 1 hinter dem Fußball. Und deshalb führt Handball kein klassisches Randsportartendasein.“ Er ist sich sicher, dass sich der Erfolg bei der Europameisterschaft nutzen lässt, um junge, unentdeckte Talente für den Sport zu begeistern und den deutschen Handball richtig zu fördern.
Es gilt, die Jugend für den Handball zu gewinnen
Handball entfernt sich immer mehr vom seinem Randsportdasein. Sollten Sigurdssons Jungs auch bei den Olympischen Spielen in diesem Sommer erfolgreich sein, könnten sie eine weitere Welle der Begeisterung entfachen – und zahlreiche Kinder und Jugendliche für das Handballspielen gewinnen. Der Sport hat es verdient, noch angesehener und populärer zu werden. Dank Spielern wie Andreas Wolff ist der Handball auch auf dem Weg dahin.
Bild: Fotolia, 21710721, carmeta
Infografik: http://www.wettfreunde.net/em-2016-quoten/