Gutmenschen in den Public Relations

In der Edition Tiamat erschien 1994 jenes Buch mit dem Titel "Wörterbuch des Gutmenschen", das wortprägend wirkte und jenes studienrätliche Betroffenheits-Gequackel aufs Korn nahm, das damals knietief durch jedes Feuilleton und jede Szene-Kneipe schwappte. Herausgegeben wurde es von den Leuten um die Neue Frankfurter Schule und um die Titanic-Redaktion herum: Wiglaf Droste, Gerhard Henschel, Roger Willemsen, Michael Rutschky, Eckhard Henscheid und alle möglichen anderen Leute mit spitzer Feder gönnten sich einen großen Spaß, der damals alle Griesgrame noch griesgrämiger machte.

Nach meinem Exemplar griff ich heute, um hier im Blog mal eine andere Art ausgestorbener Wörter vorzustellen, weil ich in meiner Arglosigkeit nämlich dachte, die grobgestrickten Sozialpädago-Geeks der frühen 90er Jahre wären mitsamt ihrer Sprache heutzutage ausgestorben oder zumindest nur noch auf der Roten Liste zu finden. Doch weit gefehlt: Diese Sprache der Gutmenschen ist inzwischen siegreich und mit fliegenden Fahnen in die PR-Branche einmarschiert: Mehr als die Hälfte der Vokabeln, die in diesem Buch hemmungslos in einem eigenen Artikel durch den Kakao gezogen wurden, die haben es inzwischen in jede bessere Presseerklärung geschafft. Hihi – ich finde das witzig: Das Gebäude der Wirtschaft erhebt sich sprachlich auf den abgefackelten Grundmauern der Betroffenheitslyriker und Grünwähler der ersten Generation. Hier einige Artikel-Beispiele für diesen Wortverhalt:

– Anliegen
– Authentizität
– Dialog
– Hoffnungsträger
– Glaubwürdigkeit
– Streitkultur
– Querdenker
– Vordenker
– Unbequem
– Spurensuche
– Umdenken
– Verkrustete Strukturen aufbrechen
– Sinn machen
– Runder Tisch
– Reizüberflutung
– Kommunikation
– Knackpunkt
– Kreativität
– Identifikationsangebot
– Hinterfragen
Kultur
usw.

Difficile est satiram non scribere … 

3 Meinungen

  1. Wie siehts mit dem Pestverb «über etwas nachdenken» aus? Verdanken wir das auch den wütenden und traurigen an der Betroffenheit Teilhabenden?(«Siemens denkt über neue Aufsicht nach» – «Benq denkt über Kratzschutz nach» – «EU-Kommission denkt über neuen Erlass nach» usw.)

  2. „Andenken“ hieß das einst in grünen Kreisen: ‚Siemens denkt das Projekt ‚Aufsicht‘ auf ganz neue Art an‘; BenQ denkt die Möglichkeit eines innovativen Kratzschutzes an …‘. Hmmhmm – das klingt heute wie auf dem Flur einer Management-Etage aufgeschnappt. Ich glaube übrigens – nach meinem neuesten Artikel hier im Blog habe ich das so ‚angedacht‘ – das die Übernahme dieses Jargons der Betroffenheit dazu dienen soll, mehr Glaubwürdigkeit oder ‚Credibility‘ zu erzeugen. Klappt bloß nicht, wirkt noch lächerlicher als damals unter den Grobgestrickten schon …

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