Regnerisch und teilweise trüb
Die Zeiten, da tatsächlich Hunderttausende Schaulustiger die Strassen säumen, um den Zug der bunten und meist fröhlichen Leute zum Christopher-Street-Day zu sehen, scheinen vorbei. Keine dicht gedrängten Menschenketten mehr auf dem Weg des Zuges vom Olivaer Platz bis zur Siegessäule. Wirklich voll war´s eigentlich nur am KaDeWe und am Potsdamer Platz. Und natürlich zum Abschluss des Treibens an der Siegessäule. Doch selbst dort stellte mancher Organisator und Teilnehmer fest, dass die Fressbuden leichter zu erreichen, die Büsche und Hecken im Tiergarten weniger "besetzt" und die Parytstimmung nicht gaaanz so heiss waren, wie in mancher Erinnerung. Natürlich war das Wetter schuld. Immer neue kräftige Regengüsse machten aus vielen schönen Huschen Opfer kalter Duschen. Verlaufene Schminke, durchnässte Kleider und Körperbasteleien sehen eben eher traurig als fröhlich aus. Dazu ein Motto des diesjährigen CSD: "Vielfalt sucht Arbeit", das trotz gut gemeinten Hinweises auf die Diskriminierung von Homosexuellen am Arbeitsplatz, als Vorgabe für phantasievolle Auftritte aber nur selten taugte. Einzig ein paar lustige Travestiejungs hatten das Motto ironisch aufgenommen und Pappschilder bei sich, unter anderem mit Slogans wie: "Mehr Schönheit für alle!" oder "Mehr Rollen für Grit Böttcher!" oder auch nur "Platz für Notizen". Danke dafür.
Star des Umzug – für die Kameras des RBB wie für die Zuschauer: Tatjana Taft, die als Schach-Dame mit einigen schwarz-weissen Anbauten am eigenen Kostüm Kilometer um Kilometer stöckelte und dabei alle Touristenanfragen auf Fotos geduldig über sich ergehen ließ.
Bester Wagen: der mit Logos des FATE-Clubs ausgestattete Wagen, der "seine" Jungs (offenbar aus Karlsruhe) topless mit rotem und gelbem Pfauenschmuck auf dem Kopf vor, hinter und auf das Gefährt schickte. Dazu einen Regenbogen-Bannerschwenker und perfekt war das Bild. Es gibt also noch den klassischen CSD, auch wenn eine solche Aufmachung sichtbar aufwändig und teuer ist.
Enttäuschung des Zuges: der Bungaluu-Wagen, der zwar mit weißen Stretch-Limousinen und Jungs in weißen Outfits punkten wollte, dann aber schon beim kleinsten Schauer wie leergefegt schien. Die modebewussten Bungaluu-Models (huch!) drängten sich lieber im Innenraum des angemieteten Doppelstockbusses.
Foto mit Mutti
Der CSD bringt die schönsten Randgeschichten hervor. So konnte ein kleiner Trupp fröhlicher Schwuler um die 18 Jahre nicht anders, als Mutti mitzuführen. Am U-Bahnhof Nollendorfplatz sangen und lärmten die fünf mit Sektflaschen in den Händen und hatten eine recht erwachsene Dame dabei-
inklusive eines leicht indignierten Blicks. "Ich bin die Mama!", sagte sie und rollte die Augen. "Von allen?", fragte ich. "Noi – nur von ihm, des reicht." Grüße nach Unna oder wohin auch immer in den Süden – die knall-roten Strähnen im dunkelblonden Haar sahen klasse aus. Da hatten die Jungs offenbar ganze Arbeit an Mutti geleistet.
Partyoverkill auf vielen Bühnen
Das Partyvolk des CSD durfte sich nach getaner Demonstrationsarbeit in die Klubs der Stadt zerschlagen. Mancher blieb noch lange nach der Abschlusskundgebung an der Siegessäule und wartete auf das sehr schöne Feuerwerk – gestiftet von Porno-Händler Bruno Gmünder. Dabei hätten die Veranstalter aber warnen sollen. Auch in diesem Jahr meldete sich Claudia Roth, die Grünen-Chefin lautstark am Rednerpult auf der CSD-Bühne zu Wort. 10 Minuten Satz an Satz – Aufschrei an Aufschrei. Ist Frau Roth eigentlich so buchbar? "Hallo Frau Roth, wir brauchen wieder 10 Minuten Gejammer und Gezeter zum CSD. Geht das?" Diese Dame ist der personifizierte Druck auf die Tränendrüse, das ewig schlechte Gewissen und der Heulkrampf der Nation – ein echter Abschalter.
Wer tanzen wollte konnte die Arena aufsuchen, wo der Loveball die Regie übernommen hatte oder auf die Karl-Marx-Allee gehen, die zur CSD-Allee geworden war. Bob Young´s GMF im Café Moskau und das Kino International boten Partymugge u.a mit DJ Maringo und Adessa Zabel (nebst Biggy v.B.) und viiiiel Publikum. Fair, dass die üblichen Getränkepreise beibehalten wurden. Man hätte den vielen Gästen des wuselnden Geschehens wohl auch den einen oder anderen Euro mehr abzapfen können – trotz der 15 Euro Eintrittspreis. Alles in allem eine routinierte Party an zwei Schauplätzen.
Fazit
Soll der CSD mehr sein, als reines Partyvergnügen, braucht es ein griffiges Motto und echte Identifizierungsansätze. Das Thema "Beruf" war es wohl nicht ganz, obwohl auf vielen Wagen die "Men at Work" zu sehen waren: Bauarbeiter, Polizisten, Ärzte usw. Das Bild vom hedonistischen, prassenden und immer shoppenden Schwulen stimmt aber nicht – zumindest nicht in Berlin. Jeder zweite Schwule lebt in Berlin von Sozialleistungen – dank eigener Erwerbslosigkeit oder Krankheit. Das wäre ein anderer Themenansatz gewesen, als "Diskriminierung am Arbeitsplatz" – der ohne Zweifel wenig fassbar daher kam. Hinzu kommt die Routine mit der inzwischen die alljährliche Parade und die alljährliche Kundgebung abgeliefert werden. Das Ganze hat Fernseh- und Werbepartner, die den CSD nach ihren Bedürfnissen zu formen versuchen. Einerseits um ihn und seine Schwulen einem breiten Publikum präsentabel zu machen, andererseits um Geld damit zu verdienen. Da fallen ausgefallene Ideen schwerer, da kommen kaum noch jene etwas härteren Bilder zustande, die für so manche Diskussion im Vor- und Nachfeld sorgten. Der CSD Berlin ist Mainstream und die Frage ist, ob das auch gut so ist.
Ich denke, eher, es war das Wetter, dass viele vom kommen abhielt…
Ich fand den Bangaluu Wagen eigentlich sehr repräsentabel. Die Mädelz, Mataina und Angie, haben auf jeden Fall dazu beigetragen das es ein Highlight war. Zum Thema Menschenmenge muß ich sagen, klar ist der CSD keine Loveparade aber das ist auch gut so… ich fands nett und voll genug war es auf jeden Fall. Nicht immer alles auf das Wetter schieben. Die Partys anschließend werd ich noch extra dokumentieren….
Wir weisen darauf hin, das der von Ihnen als Bester Wagen, fälschlicherweise als Fate-Club – Wagen bezeichnet wurde…..dieser Wagen ist organisiert von CSD-Trucktour, Karlsruhe……
Der alljährliche queere Karneval – um Straßenreinigungs- und sonstige Kosten zu sparen als politische Demonstration angemeldet – ist zu einer Publicity- und Schönwetter-Veranstaltung der kommerziellen Gay Community, der Clubs, Bars, Fetisch-Vereinigungen usw., mutiert. Auf den Zug aufgesprungen sind gayfriendly Sponsoren und die schwullesbischen Parteiformationen aller Couleur. Das, was ursprünglich CSD, ehrenamtliche (Vorbereitungs-)Arbeit und politische Demonstration ausmachte, ist dabei weitgehend auf der Strecke geblieben und wird nunmehr lediglich als Alibi, als Deckmantel gebraucht. Kampf gegen Homophobie in Osteuropa und anderswo, Forderungen nach Gleichberechtigung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen u. v. a. durch technoide Love-Parade-Wagen und halbnackt tanzende Partypeople? Nein, so ist es ja gar nicht. Immerhin gibt es eine Abschlusskundgebung z. B. mit der Bundesbetroffenheitsbeauftragten Claudia R. – davor jedoch Volksfestmeile mit Bierständen und Würstchenbuden, anschließend Feuerwerk und ein Partymarathon der Clubs! Allen Beteuerungen und Entgegnungen zum Trotz – so sehen die CSDs des 21. Jahrhunderts aus und nur so funktionieren sie überhaupt. Da jedenfalls, wo die Sonne scheint.