Exkursionen im Land Gottes

In den USA zählt man sie zu den besten Federn des Landes. Unter den politischen Journalisten gibt es nur wenige, die mit ihren Arbeiten so viel Aufsehen erregen wie sie. Seymour Hersh wäre zu nennen, natürlich auch Bob Woodward. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnete Joan Didion als „eine der scharfsichtigsten Beobachterinnen Amerikas“; die Süddeutsche Zeitung erblickt in ihr „eine Intellektuelle, vor der sich die Politiker fürchten.“ Sie sei „unschlagbar hip, etwas verrückt und sehr mutig“, sagt Tip. Schön und gut. Nur wer ist diese Joan Didion, die in Deutschland nur wenigen bekannt sein dürfte?

Geboren wurde Joan Didion 1934 in Sacramento. Sie studierte Literatur an der University of California in Berkeley und begann dann als Journalistin für eine ganze Reihe namhafter amerikanischer Zeitungen und Zeitschriften zu arbeiten. Sie hat bisher fünf Romane und zahlreiche Essaybände veröffentlicht. 2005 erhielt sie den „National Book Award“.

Joan Didion wird zu einer Generation von Autoren gezählt, die in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts eine neue Art journalistischer Berichterstattung prägten: den „New Journalism“. Nicht selten wird sie in einem Atemzug mit Tom Wolfe, Gay Talese oder Hunter S. Thompson genannt. Der New Journalism steht im Wesentlichen für einen subjektiv eingefärbten Reportagestil, dem eine auf persönlicher Erfahrung beruhende Recherchemethode zugrunde liegt und der mit literarischen Gestaltungsformen experimentiert. Man kann ihn als eigenständiges Genre bezeichnen, das im Grenzgebiet zwischen Journalismus und Literatur anzusiedeln ist.

Die Essays, die jetzt gesammelt im Tropen-Verlag erschienen sind, gewähren einen analytisch scharfen Blick auf die letzten zwanzig Jahre amerikanischer Politik: von den Reagan-Jahren und dem aufkeimenden Neokonservatismus, über die ökonomisch erfolgreiche Clinton-Präsidentschaft, den einen fatalen Fehltritt Clintons (Stichwort „Monicagate“) und dessen Folgen für den US-Wahlkampf 2000, bis zum 11. September und den Konsequenzen für die Weltpolitik. Anzumerken ist, dass ihre Aufsätze nicht in der chronologisch richtigen Reihenfolge abgedruckt sind. Das Buch beginnt mit dem jüngsten, der die Zeit unmittelbar nach den Terroranschlägen vom 11. September zum Thema hat, und bohrt sich sozusagen von Essay zu Essay immer tiefer in die Geschichte hinein. So werden sukzessive einige zentrale Grundfesten der amerikanischen Gegenwartsgesellschaft offengelegt.

Didion betätigt sich geradezu meisterlich als Ethnografin ihres eigenen Landes. Dabei forscht sie minutiös das geistige Klima aus, in dem sich Politik und Religion so unheilvoll verquicken konnten, und erläutert die Wirkmechanismen des Neokonservatismus bzw. die politische Rhetorik des „Compassionate Conservatism“, dem einst die führenden Köpfe im Beraterstab um George W. Bush das Wort redeten.

Didions Analyseansatz besticht durch seine Methodik. Ihr geht es darum, die Kontextbedingungen konkreter Politik herauszuarbeiten, in erster Linie die sprachlichen Konstituentien politischer Wirklichkeit. Mit anderen Worten: Sie nähert sich der Wirklichkeit narrativ an. Schließlich ist Wirklichkeit nichts anderes ist als das, was sich die Menschen über sie erzählen.

Didion nimmt häufig einen konkreten Sachverhalt zum Ausgangspunkt, gut dokumentierte Ereignisse zum Beispiel, über die sie faktenreich berichtet. Sie identifiziert und ordnet die unterschiedlichen Sichtweisen und Wahrheitsbehauptungen, die auf der politischen Bühne zu beobachten sind.

Didion ist eine durch und durch politische Journalistin, die zur Sprache bringt, was andernorts gar nicht gesehen oder – was schlimmer wäre – bewusst verschwiegen wird. Eine Autorin wie ein Skalpell, präzise und trennscharf. Und nicht nur das: Sie ist eine literarische Stilistin ersten Ranges, deren eleganter Schreibstil etwas ungemein Verführerisches hat.

Was für ein Lektüreerlebnis, sich die US-Politik so kunstvoll sezieren zu lassen!

Joan Didion: Im Land Gottes

Wie Amerika wurde, was es heute ist

Mit einem Vorwort von Antje Rávic Strubel

Tropen Verlag

Berlin 2006

Eine Meinung

  1. Schrott….schade um jede Leseminute…

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