Ewig Zweite? Vom Leben und Lieben als Schattenfrau.

Oh, Geliebte! Ein aufregendes Wort! Und: Was für eine Metapher! So wie früher die umschwärmten und statusverleihenden Mätressen, so sind es heute die Geliebten, die sowohl in den Phantasien und Sehnsüchten der Männer als auch in den Verletzungen der potentiell betrogenen Ehefrauen eine zentrale Schlüsselrolle einnehmen. Was schreibt man ihnen nicht alles zu: Sie sind verführerisch und geheimnisvoll, verwegen und gefährlich, unmoralisch und tabulos. Das wiederum macht sie selbst zum Tabu; und so fristet die Schattenfrau bis heute ein gesellschaftliches Schattendasein.

Die Schuldfrage: Geliebte als Sündenbock

In den meisten öffentlichen Diskursen beschreibt man sie nach wie vor aus der Sicht der hintergangenen Ehefrauen. Aus deren Perspektive wird sie ständig als „die Andere“ wahrgenommen, und damit als „die Fremde“, welche von außen in eine bestehende Ehe eindringt. Und sie so zerstört. Aus der tendenziösen Benennung in diesen Kontexten ergibt sich ein allgegenwärtiger Schuldvorwurf, der für viele Menschen bereits in dem Wort „Geliebte“ mitschwingt. Die Geliebten sind demnach Ehezerstörerinnen und Familienzerstörerinnen. Dass es dabei jedoch der betrügende Ehemann ist, der die eigenverantwortliche Entscheidung trifft, seine Ehefrau mit einer anderen Frau zu hintergehen, dass er es ist, der ein zuvor vereinbartes Treueabkommen schweigend bricht, wird in den gängigen Erklärungsmodellen häufig ausgeblendet. Stattdessen muss die Geliebte häufig als alleiniger Sündenbock herhalten. Wohl weil die Verwendung des Ausdrucks mit so vielen Schuldzuweisungen behaftet und moralisch stark aufgeladen ist, bezeichnen sich viele betroffene Frauen inzwischen lieber als Schattenfrauen.

Schattenbeziehung: Im Wechselbad der Gefühle

Was es jedoch für die betroffenen Frauen selbst bedeutet, eine heimliche Beziehung zu leben, wie es sich anfühlt, den geliebten Menschen mit einer Ehefrau teilen zu müssen und darüber Stillschweigen zu bewahren – davon erfahren wir in den allermeisten Fällen genau so wenig wie von den ungezählten einsam verbrachten Feiertagen, an denen die Vergeblichkeit des Wartens als besonders schmerzhaft erlebt wird. Überhaupt wartet die Schattenfrau die meiste Zeit. Auf einen Anruf, auf ein Lebenszeichen, und immer wieder auf den Tag, an dem der Liebste sich endlich zu ihr bekennen möge. Doch das Warten der Geliebten ist verhängnisvoll. Selbst die stärkste Frau läuft jetzt Gefahr, in Passivität und Gefühlsdrama zu verharren. Statt, wie es der gesunde Menschenverstand doch nahelegen müsste, alsbald das Handtuch zu werfen, bleibt sie. Denn das ist die Krux der Schattenliebe: Ständig wechselnd zwischen sich verzehrender Sehnsucht und maßloser Enttäuschung, zwischen stiller Hoffnung und lauter Verzweiflung spielt sie auf der Klaviatur der Emotionen. Es ist ein bißchen so wie das Drama der Königskinder („Sie konnten zusammen nicht kommen“): Gerade aus dem ambivalenten Spannungsfeld, zwischen emotionaler und sexueller Euphorie einerseits und bodenloser Verzweiflung andererseits, bezieht die verbotene Liebe ihre quasi-unerschöpflichen romantischen und erotischen Energien. Wenn auch meist unbewusst und nicht unbedingt willentlich von den Beteiligten herbeigeführt, so steckt dahinter doch Taktik. Es ist jene romantische Überhöhung, mit der die „verbotene Liebe“ nicht nur vor sich selbst gerechtfertigt, sondern unbedingt auch am Leben erhalten werden soll.

Unabhängigkeit vom Alltag

Abgeschottet von profanen Alltagssorgen, Erledigungen und Befindlichkeiten, wissen Schattenfrau und Fremdgeher in der Regel um den Fakt, dass ihre Beziehung in einem zerbrechlichen Kokon jenseits der Wirklichkeit existiert. Die Liebe existiert in einer romantischen Seifenblase. Dort geht es nur um die ganz großen Gefühle. Um Leidenschaft, Leichtigkeit, Leichtsinn. Den Alltagstest könnte dieses fragile Geflecht womöglich nicht überstehen. Stattdessen liegt darum der Fokus auf sexueller Leidenschaft und seelischer Nähe, deren Superlative durch die oben beschriebenen Höhenflüge und Höllenfahrten ständig befeuert und vertieft werden. Oft ist in diesen Zusammenhängen sogar von Seelenverwandtschaft die Rede. Damit entspricht die Beziehungsform der Schattenliebe denn auch einem Ideal des Zeitgeist: Sie ermöglicht Singlefrauen die maximale emotionale und intellektuelle Stimulation bei gleichzeitiger Individualisierung. Und zumindest in letzter Instanz: Unverbindlichkeit. Die aber ist zugleich der Knackpunkt, an dem die meisten Schattenbeziehungen scheitern. Während die Unverbindlichkeit gerade am Anfang nämlich oft den besonderen Reiz ausmacht, wird sie später nicht selten zur Quell maßloser Enttäuschung und Frustration. Besonders wenn die Schattenfrau dem Fremdgeher ihre besten Jahre gewidmet hat, kann dies im Rückblick als sehr schmerzvoll empfunden werden.

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Phase 1: die Anfangseuphorie (Unabhängigkeit und Hingabe)

Die Schattenliebe verläuft in typischen Phasen. Am Anfang stehen Euphorie und Verliebtheit, Hingabe und Verschmelzung. In dieser Anbahnungsphase durchdringen Unbekümmertheit und gute Hoffnung das Gemüt der Liebenden. Da die Schattenfrau in der Regel über die Ehefrau informiert ist, während diese im Gegenzug häufig nichts von ihrer Konkurrentin weiß, empfindet sie oft sogar einen gewissen Stolz und ein machtvolles Gefühl der Überlegenheit. Daneben ist es nicht selten gerade die Unverfänglichkeit, die an der Affäre geschätzt wird: Und zwar besonders von selbstbewussten, beruflich stark eingebundenen und zielstrebigen Frauen; aber auch von Frauen, die gerade frisch getrennt oder geschieden sind und die eher Ablenkung suchen. Häufig wirkt in solchen Zusammenhängen (auch aufseiten der Geliebten) eine unbestimmte Bindungsangst. Die Schattenliebe erscheint den betroffenen Frauen dann als idealer Kompromiss, um das eigene Bedürfnis nach Nähe und Leidenschaft auszuleben, ohne jedoch gleichzeitig die eigene Unabhängigkeit zu gefährden. Indem die Frau eine Verbindung mit einem vergebenen Mann eingeht, soll dem Verlust der eigenen Autonomie und der Entstehung von Abhängigkeiten vorgebeugt werden. Kurioserweise ist es aber gerade der Punkt der Abhängigkeit, an dem die Beziehung später kippt.

Phase 2: Die Eifersucht (Stilles Leiden und Abhängigkeit)

Wenn sich allmählich der Schleier der Verliebtheit lichtet und sich zugleich die eigenen Gefühle vertiefen, beginnt das bewusste Warten. Jede Schattenfrau kennt diesen Zustand. Über einen längeren Zeitraum hinweg wird er in der Regel als extrem zehrend erlebt. Nun macht sich zunehmend rasende Eifersucht gegenüber der Ehefrau bemerkbar. Besonders schmerzhaft für die heimliche Zweitfrau: Festliche Feiertage wie Weihnachten und Ostern verbringt sie (so wie auch die meisten Sonntage und Urlaube) in der Regel ohne den Liebsten, während dieser im Kreise seiner Engsten verweilt und schlimmstenfalls noch nicht einmal telefonisch erreichbar ist. Jetzt zeigen sich die dunklen Schattenseiten der Beziehung. Einsamkeit, Verlustangst und tiefe Sehnsucht prägen diese Phase, so wie häufig auch Eifersuchtsanfälle, Szenen und gescheiterte Trennungsversuche, die zu diesem Zeitpunkt jedoch zu (noch heftigeren) Versöhnungsszenen führen.

Phase 3: Das Warten (Hoffnung und Enttäuschung)

Gerade die emotionale Achterbahnfahrt wird kennzeichnend für den Verlauf der meisten Schattenbeziehungen. Eine besondere Belastung ist in diesem Zusammenhang auch das Einhalten der Diskretion. Trotz zunehmendem Leidensdruck hat die Schattenfrau oft keinen vertrauenswürdigen und neutralen Ansprechpartner, mit dem sie über ihre Probleme sprechen kann. Zu groß ist die Angst, dass dadurch die Affaire auffliegen könnte. Häufig schämt sich die Schattenfrau zudem für die eigene Situation, und für die emotionale Abhängigkeit und körperliche Sucht, in welche sie geraten ist. Dieselbe destruktive Suchtspirale jedoch hält sie nun auch in der Dreiecksbeziehung.

Der Trugschluss: Trennt er sich für mich?

Die Statistik spricht leider eine überaus deutliche Sprache: Nur jeder zehnte Mann verlässt die eigene Ehefrau für seine heimliche Affäre. Und zwar innerhalb der ersten drei Monate. Wer dies bis dahin nicht getan hat, wird es aller Wahrscheinlichkeit nach auch später nicht mehr tun. Achtung: Leider erliegen gerade unglücklich verliebte Menschen von Natur aus jener irrationalen Überzeugung, dass sie selbst „die Auserwählten“ seien, das gerade sie eben zu jener Minderzahl gehören, für die der Liebste sich letztlich doch entscheiden würde. Wenn sie sich nur gedulden. Diese Form des Selbstbetrugs ist für die Einzelne mitunter verhängnisvoll. Gerade wenn die biologische Uhr zu ticken begonnen hat, wenn der Kinderwunsch unterdrückt und die eigene Familienplanung immer wieder vertagt wurde, wenn die Schattenfrau Jahre oder Jahrzehnte des eigenen Lebens an einen Mann verschenkt, der sich letztlich doch nie zu ihr bekennt – kann die späte Erkenntnis, einem Trugschluss aufgesessen zu sein, maßlos enttäuschend und sehr verletzend sein.

Gehen oder Bleiben: Soll ich mich trennen?

Wenn Sie selbst eine Schattenfrau sind, hier einige Gedankenanstöße zum Nachdenken und Handeln:

  • Wie fühlen Sie sich überwiegend, wenn Sie mit Ihrem Partner Zeit verbringen?
  • Empfinden Sie die gemeinsam verbrachte Zeit als ausreichend?
  • Wie geht es Ihnen damit, dass Sie den Partner nur an ganz bestimmten Tagen sehen können?
  • Werden Ihre wichtigsten partnerschaftlichen Bedürfnisse momentan erfüllt?
  • Warten Sie darauf, dass sich Ihr Partner von seiner Frau trennt? Seit wann warten Sie darauf?
  • Gibt es Anzeichen dafür, dass Ihr Partner sich tatsächlich trennen wird?
  • Haben Sie möglicherweise Angst, nach einer Trennung keinen anderen Partner mehr zu finden?
  • Wie sieht für Sie eine ideale Beziehung aus? Inwiefern weicht Ihre real gelebte Beziehung davon ab?

Nehmen Sie sich bitte etwas Zeit, um diese Fragen kritisch und ehrlich zu beantworten. Wenn Sie für sich feststellen, dass Ihre Schattenbeziehung nicht Ihren eigenen Wunschvorstellungen von einer erfüllenden Liebesbeziehung entspricht, sollten Sie sich selbst wichtig nehmen und über eine Trennung nachdenken. Denn Sie haben alles Liebesglück dieser Welt für sich verdient!

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