Dissoziative Identitätsstörung: Ursachen, Symptome und Therapie

Die Dissoziative Identitätsstörung, auch multiple Persönlichkeitsstörung genannt, wird meist erst im jungen Erwachsenenalter diagnostiziert. Frauen sind davon drei- bis neunmal so häufig betroffen wie Männer.

Der Name für die Störung leitet sich von dem Begriff Dissoziation ab. Er meint das Gegenteil von Assoziation und bedeutet im weitesten Sinne Trennung und Auflösung. Auf die Störung bezogen, ist es ein Vorgang, bei dem erlebte Geschehnisse von anderen abgetrennt werden. Das kann passieren, wenn diese Erlebnisse zu viel Angst, Pein oder Trauer auslösen. Somit ist das Hauptmerkmal der Multiplen Persönlichkeitsstörung das Vorkommen von zwei oder mehreren differenzierbaren Identitäten oder Zuständen der Persönlichkeit. Meist kann sich der Betroffene an die Handlungen der „anderen“ Person nicht oder nur undeutlich erinnern.

Verwechslung mit Schizophrenie

Häufig wird die Dissoziative Identitätsstörung in der Alltagssprache als Schizophrenie bezeichnet. Bei der Schizophrenie existieren für den Erkrankten oftmals zwei Welten nebeneinander: die real existierende Welt und eine Parallelwelt, welche von der inneren bestimmt wird. Im Allgemeinen kann man Schizophrenie als eine Veränderung/Störung des Denkens, Handelns und des Wahrnehmens sehen. Halluzinationen, in Form von Stimmen, sind ein mögliches Charakteristikum. Menschen mit Dissoziativer Identitätsstörung hingegen sind mehrere Personen in einer.

Symptome

Charakteristisch ist, dass mindestens zwei Persönlichkeiten vorhanden sind, die jeweils aus eigenen Erlebnissen, Emotionen und Erinnerungen schöpfen. Im Durchschnitt liegt die Anzahl dieser sogenannten Subpersönlichkeiten bei 15 (Frauen) beziehungsweise bei 8 (Männer). Es gibt aber auch Fälle, bei denen bis zu hundert vorhanden sind, die meist alle eigene Namen haben.

Es tritt immer nur eine Subpersönlichkeit mit der Umwelt in Kontakt, die dann das Verhalten des „Wirts“ bestimmt. In der Regel zeigt sich eine dieser Subpersönlichkeiten häufiger als die anderen. Diese bezeichnet man als Gastgeberpersönlichkeit. Die Subpersönlichkeiten können – je nach Ausprägung beim Patienten – in verschiedenem Maße miteinander zusammenarbeiten. Das bedeutet, dass beispielsweise auf Erinnerungen zugegriffen werden kann. Auch kommt es vor, dass eine Person eine Allergie hat, die andere aber nicht.

Weitere Symptome können sein:

  • Zeit- bzw. Gedächtnisverlust: es fehlen Erinnerungen an Geschehnisse, die einer „anderen“ Person passiert sind
  • Lügen: kann sich die Person nicht erinnern, so ist das Abstreiten von Gesagtem oder von ausgeführten Handlungen möglich
  • Launenhaftigkeit: da die verschiedenen Personen unterschiedlich alt sein und verschiedene Interessen und Meinungen haben können, kann die Person dem unwissenden Außenstehenden wechselhaft vorkommen
  • Nicht altersgerechtes Verhalten: kommt eine Person zum Vorschein, die jünger oder älter als der „Wirt“ ist, kann das Verhalten kindlicher oder reifer sein
  • Selbstverletzung: die Betroffenen verletzen sich selber, um emotionalen Druck abzubauen
  • Freunde sind extrem unterschiedlich: so verschieden die Subpersönlichkeiten sind, so verschieden können auch deren Freunde sein

Fehldiagnose durch Komorbidität

Da die Erkrankung meist mit einer Vielzahl von Begleiterscheinungen (Komorbiditäten) einhergeht, gelingt die Diagnose zumeist recht spät bzw. werden anfangs Fehldiagnosen gestellt.

Folgende Symptome können die Dissoziative Identitätsstörung „begleiten“:

  • Depressionen
  • „Flashbacks“: Erinnerungsbilder traumatischer Erfahrungen
  • Phobien
  • Suizidales oder selbstverletzendes Verhalten
  • Aggressionen
  • Kopfschmerzen
  • Alkohol- oder Drogenmissbrauch
  • Essstörungen
  • zwanghafte Handlungen
  • Hören von Stimmen (der anderen Teilpersönlichkeiten)

Ursachen

Die Ursachen für die mehrfachen Persönlichkeiten liegen fast immer in der Kindheit. Betroffene mussten im frühen Kindesalter – oft noch vor dem fünften Lebensjahr – meist sexuelle und/oder schwere körperliche Misshandlungen aushalten oder wurden extrem bis hin zur Verwahrlosung vernachlässigt. Neben den 96 Prozent, auf die diese Art des Kindesmissbrauchs zutrifft, handelt es sich bei den restlichen vier Prozent um Persönlichkeitsstörungen, die durch das Aufwachen aus der Narkose während einer Operation entstanden sind. Hier ist die Störung weniger stark ausgeprägt. Sehr stark betroffene Patienten berichten von Misshandlungen, die in Zusammenhang mit bestimmten Ritualen bei Sekten oder Kulten stattfanden.

Zusammenhang von Traumatisierung im Kindesalter und Dissoziativer Identitätsstörung

Die menschliche Persönlichkeit fängt in jungem Alter an, sich zu entwickeln. In dieser Zeit können traumatisierende Erlebnisse die Entwicklung stören und zu einer Teilung der Persönlichkeit führen. Die betroffenen Kinder leben stets mit Angst und Erniedrigung, ohne dass sie dem ausweichen können. Da die Täter zumeist dem Bekannten- oder Verwandtenkreis angehören und Druck in Form von Drohungen ausüben, ist ihnen ein Hilfesuchen nicht möglich. Um diese Situation überhaupt aushalten zu können, denken sie sich aus dieser hinaus und trennen so das reale Geschehen vom Bewusstsein ab. Das geschieht unbewusst und die Betroffenen können es nicht kontrollieren. Die Betroffenen überstehen somit die schrecklichen Misshandlungen, indem sie sich in zwei oder mehr Identitäten aufspalten. Dabei übernimmt jede Identität in bestimmten Situationen spezielle Funktionen und kann in einer ähnlichen Situation wieder herauskommen.

Therapie

Fast immer ist eine Therapie notwendig, da die Wahrscheinlichkeit einer Spontanheilung sehr gering ist. Je nachdem, welche Begleiterkrankungen es gibt und wie stark die Störung ausgeprägt ist, kann die Behandlung sehr lang andauern. Es ist ratsam, sich einen Therapeuten zu suchen, der sich auf die Betreuung traumatisierter Personen und damit die Traumatherapie spezialisiert hat.
Die jeweiligen Behandlungsphasen sind individuell und von unterschiedlicher Länge. Sie müssen unter Umständen wiederholt werden:

  • Zuallererst muss eine therapeutische Beziehung aufgebaut werden. Das ist notwendig, damit sich der Patient auf die Behandlung einlassen kann. Gemeinsam wird danach erarbeitet, wie der Betroffene den Alltag besser meistern kann. Hindernde Umstände, wie zum Beispiel ein ungenügend strukturierter Tag, werden hier aufgedeckt und beseitigt. Als essentielles Ziel gilt hierbei die Stabilisierung des Patienten.
  • In einem nächsten Schritt soll die Verständigung unter den Teilpersönlichkeiten verbessert werden. Dafür müssen diese kennengelernt und ernstgenommen werden. Darüber hinaus sollen die Verbindungen untereinander festgestellt und den Subpersönlichkeiten beigebracht werden, sich zu helfen.
  • Aufarbeitung des Traumas: Hier müssen sich die Betroffenen sehr behutsam mit ihren Erinnerungen auseinandersetzen und versuchen, sich dabei nicht aufzuspalten. Die Erlebnisse sollen als Teil der Vergangenheit angenommen werden.
  • Eye Movement Desensitization Reprocessing (EMDR): Hierbei sollen die Patienten, während sie über ihre Traumata erzählen, ihre Augen schnell bewegen. Dabei wird das Gehirn stimuliert und Blockaden können sich lösen, wodurch die Verarbeitung der Erlebnisse erleichtert wird.
  • Eingliederung und Vereinigung der Teilpersönlichkeiten: Voraussetzung ist, dass die Betroffenen die Integration als Therapieziel anstreben. Der Wunsch nach einer Identitätenvielfalt muss akzeptiert werden.

Bei einer therapeutischen Behandlung der Dissoziativen Identitätsstörung geht es immer um die Potenziale und Belange des Einzelnen. Daher kann es ratsam sein, die traumatischen Ereignisse nicht zu bearbeiten, falls der Betroffene dadurch dauerhaft überfordert wäre.

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