Im Anschluss an eine grossangelegte Demonstration gegen die Vorratsdatenspeicherung (VDS) wurden heute in Bielefeld die Big Brother Awards verliehen. Bei diesem Negativpreis werden jaehrlich die schlimmsten Datenkraken vorgestellt und ausgezeichnet. Die Veranstalter wollen damit auf die immer umfangreicher werdenden Datensammlungen in Wirtschaft und Politik und den damit verbundenen moeglichen oder tatsaechlichen Missbrauch aufmerksam machen.
Ziel der Veranstalter ist, die oeffentliche Diskussion um Datenschutz und -missbrauch anzuregen und das Bewusstsein in der Bevoelkerung fuer diese Aspekte des modernen Lebens foerdern. Dass diese Bewusstseinsveraenderung dringend erforderlich ist zeigt auch ein heute auf Spiegel Online veroeffentlichter Artikel.
Politik
In diesem Jahr wurden in der Kategorie Politk zwei Preise verliehen: Die Mitglieder des 4. Landtags von Mecklenburg-Vorpommern erhalten den Preis für die gesetzliche Erlaubnis zur verdachtsunabhängigen Tonaufzeichnung in der Öffentlichkeit. Und die Bundes-Innenministerkonferenz für die Einrichtung einer zentralen "Anti-Terror-Datei".
In seiner Laudatio bemaengelte Dr. Rolf Goessner zur Verleihung des Preises in der Kategorie Politik, dass in den letzten Jahren das Verfassungsbewusstsein in der politischen Klasse, im Zuge der Terrorismusbekämpfung, immer weiter schwinde und die Politiker "strenggenommen ein Fall für den Verfassungsschutz, wenn nicht sogar für eine Aufnahme in die Anti-Terror-Datei" seien.
Weiter heisst es in der Laudatio:
"Die Anti-Terror-Datei ist darüber hinaus auf dem Hintergrund der seit dem 11.9. 2001 erlassenen Antiterror-Gesetze ("Otto-Kataloge", für die Ex-Bundesinnenminister Otto Schily mit dem BigBrotherAward ausgezeichnet worden ist) zu sehen, mit denen Aufgaben und Befugnisse von Geheimdiensten und Polizei drastisch ausgeweitet wurden und die die Kontrolldichte in Staat und Gesellschaft beträchtlich erhöht haben. Sie ist auch im Zusammenhang zu sehen mit dem geplanten "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz", das die Große Koalition jüngst in den Bundestag eingebracht hat und mit dem die befristeten Antiterror-Befugnisse von 2002 nicht nur um weitere fünf Jahre verlängert, sondern auch noch ausgeweitet werden sollen – ohne zuvor eine unabhängige, kritische Bilanzierung der bisherigen Antiterrorgesetze und ihrer Wirkungen vorzulegen. Jetzt sollen alle Geheimdienste noch mehr Befugnisse bekommen und zwar nicht allein zur Terrorabwehr, sondern auch schon zur Aufklärung verfassungsfeindlicher Bestrebungen, die Gewalt fördern könnten. Aus geheimdienstlichen Antiterror-Instrumenten mit Ausnahmecharakter werden so Regelbefugnisse des Alltags."
Wirtschaft
Der BigBrotherAward in der Kategorie Wirtschft geht an: SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication), stellvertretend an die deutschen SWIFT-Aufsichtsratsmitglieder Roland Böff (Senior Vice President, Bayerische Hypo- und Vereinsbank) und Wolfgang Gaertner (CIO, Deutsche Bank AG). SWIFT-Europa stellt den US-Behörden seit fast fünf Jahren über sein US-amerikanisches Operation-Center die Daten internationaler Banktransaktionen zur Verfügung. Dabei werden nicht nur die Daten weitergegeben, bei denen Konten in den USA betroffen sind, sondern SWIFT spiegelt auch seine innereuropäischen Daten zur Sicherung auf die Server von SWIFT-USA.
Technik
Den Technik-Award darf dieses Jahr die Philips GmbH in Empfang nehmen: Für die Vorgabe, dass CD-Brenner ihre eindeutige Seriennummer auf den Rohling schreiben und damit eine Rückverfolgbarkeit von Datenträgern zum Brenner ermöglichen. Begründet wird dies mit der Notwendigkeit, Raubkopierer ermitteln zu wollen. Dabei ist es in Deutschland nicht strafbar, Musik-CDs oder Filme für den privaten Gebrauch zu brennen. Lediglich ein technisch wirksamer Kopierschutz darf nicht umgangen werden. Mehr
Behörden & Verwaltung
Für das Vorhaben, lebenslange Schüler-IDs einzuführen, ohne die individuellen Bildungsdaten an feste Zwecke zu binden und vor Missbrauch und unberechtigtem Zugriff zu schützen, erhält Kultusministerkonferenz der Länder den BigBrotherAward in der Kategorie Behörden und Verwaltung. Ob Statistiken über individuelle Schülerlaufbahnen die Bildungsmisere beseitigen sei dahingestellt – ohne die Beachtung grundlegender Datenschutzanforderungen (enge Zweckbindung, Zugriffsschutzkonzept, technische Schutzkonzepte, Löschkonzepte, Kontrollvorgaben) wird das Vorhaben jedenfalls zum Datenschutz-GAU. Mehr
Verbraucherschutz
Den Preis in dieser Kategorie hat der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V. (GDV) verdient – für die Warn- und Hinweisdateien der Versicherungswirtschaft, mit denen Versicherungen umfangreiche Daten von Millionen von Bürgerinnen und Bürgern austauschen – nach geheimgehaltenen Kriterien, ohne ausreichende rechtliche Grundlage und ohne Wissen der Betroffenen. Darueber hinaus wurden auch andere Aktivitaeten von Versicherungsunternehmen getadelt. So zum Beispiel ein besonders stark ausgepraegter Lobbyismus und die gezielte Plazierung von Schleichwerbung in Seifenopern und Serien.
Tadelnde Erwähnungen
Bei der immer weiter steigenden Fülle der Nominierungen zu den BigBrotherAwards können nur wenige derer berücksichtig werden, die sich durch ihren schonungslosen Umgang mit Daten am kreativsten bewerben. Hier ist die Gruppe derer, die "nur" auf den Plätzen gelandet sind – und dennoch der informationellen Selbstbestimmung schwer zusetzen. Keinen Preis gab es dieses Jahr im Bereich Arbeitswelt, weil die gemeldeten Faelle nicht recherchierbar waren. "Die Angst der Menschen vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ist groesser, als der Wunsch nach einem freien und selbstbestimmten Leben und das obwohl wir hier doch in Mitteleuropa und nicht in Suedamerika leben", gab sich Padeluun vom FoeBuD in seiner Laudatio erstaunt.
Preistraeger der vergangenen Jahre (Auszug):
Metro AG fuer den Future Store und den glaesernen Kunden
Mehr informationen auch unter bigbrotherawards.de.
hit any key 2 continue
-m*sh-