Die Poetik

Ein solches Buch, das «von heute» wäre, gibt es leider nicht. Das sagt schon etwas über den Wert aus, den wir dem Handwerk der Sprache zubilligen. Nützlich wäre es aber, und wir müssen, wenn wir uns informieren möchten über Versformen, Vokalismus oder Tropen – nein, nicht die! -, schon zu alten Tröstern wie «dem Kleinpaul» greifen. Aus dessen Text weht es uns dann so bethulich und studienräthlich entgegen – ja, das «th» war damals noch Usus – dass wir Arm in Arm mit Conrad Ferdinand Meyer vor dem Kamin zu sitzen wähnen: «Es ist etwa Großes und Wunderbares um die menschliche Sprache. Sie wirkt, schon als bloß mündliche, ähnlich wie der elektrische Telegraph, zwar nicht so weit hin, aber noch unmittelbarer». Hat man sich aber erst einmal an diesen altväterlichen Stil gewöhnt, dann steckt das dreibändige Buch voll nützlichen Handwerks, das wir nur auf die Gegenwart anwenden müssten.

Warum sollten wir bspw. das, was Kleinpaul über das «Epigramm» zu sagen weiß, nicht auf den «Slogan» anwenden? Warum sollten wir jene Regeln, die «ursprünglich für Aufschriften oder Inschriften auf Denkmälern» galten, nicht mit Gewinn als Aufschrift oder Inschrift auf Firmentafeln oder Briefbögen nutzen? Ähnliches gilt für seinen Text über passende und unpassende Vergleiche, über steigende und fallende Perioden – und haben wir uns nicht schon manchmal gewünscht, mancher Schreiber möchte in seinem Elaborat die «Füße» vernünftig voreinander setzen, statt ständig zu stolpern? 

Was gegenwärtig einer Lektüre dieses Buches am meisten im Wege stehen dürfte: Es ist in Fraktur geschrieben, in jener von Goebbels verteufelten «Judenschrift» also, die 1941 in Deutschland verboten wurde. Während – dies eine echte Ironie der Geschichte – die Neonazis sie heute als angeblich «toitsche Schrift» abfeiern und auf jedes braune T-Shirt drucken. Diese Schrift jedenfalls behindert das Lesen des Buches, weil sie für uns ungewohnt ist. Als Intensivleser darf ich aber versichern, dass sich nach einhundert Seiten Lektüre ein Buch in Frakturschrift ebenso leicht liest wie eines in Times Roman oder Helvetica.

Wer solche oder andere vergriffene Bücher sucht, der kann sich übrigens im Internet an den Zentralverband der deutschen Antiquariate wenden. Hier stellen bundesweit die Antiquariate ihre Bestände ins Netz.

4 Meinungen

  1. Drei Bände und erst noch Fraktur? Ist doch glatt bestellt. Allerdings nicht über ZVAB, sondern den grossen Bruder SFB (Seach & Find Books). Nehmen Se die Grosse – dat hebt Ihnen!

  2. Für die Jäger der laufenden Regalmeter möchte ich allerdings noch hinzufügen, dass diese drei Bände meist unter einem geprägten Deckel zusammengebunden sind: „Drei in einem“ wie es im Antiquariatsdeutschen so schön heißt. Ansonsten viel Spaß …:“Pfosten stürzen, Fenster klirren,Kinder jammern, Mütter irren,Thiere wimmern unter TrümmernDer Dichter übt mit Kleinpaul Zimmern …“

  3. Gar nicht sooo alt ist z.B. von Erwin Arndt die Deutsche Verslehre (Volk u. Wissen, Berlin 1960 – 13. Aufl. 1996), die für den Einstieg genug zu bieten hat.

  4. Danke für den Tipp: Kannte ich noch nicht. Kleinpauls Poetik ist allerdings nicht nur auf den Bereich des Verseschmiedens beschränkt: Er zählt bspw. auch Satire, Märchen, Rätsel usw. zum Bereich der „Poetik“.

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