Die neue Europa: Luxus 2.0 statt Goldknöpfe

Und dann passieren wir langsam die „Aida sol“. Groß und bunt liegt der Spaßdampfer am Hamburger Kreuzfahrtterminal, ein blauer Augenwurm ziert den Rumpf, ein roter Kussmund den Bug. Zehn Schiffe betreibt die Rostocker Reederei inzwischen und füllt sie mit zum Teil bemerkenswerten Angeboten: Wer klug bucht und mit einer Innenkabine Vorlieb nimmt, reist für eine Woche nach Fjord-Norwegen schon ab 599 Euro. Das ist insofern bemerkenswert, dass im Reisepreis bereits alles enthalten ist – Essen, Softdrinks und die Animation.


Musik weht vom Clubschiff herüber. Wir stehen an Deck der neuen „Europa 2“, ein Glas Rosé-Champagner in Händen. Der Himmel hat sich bezogen, hin und wieder regnet es. Unterschiedlicher können zwei Kreuzfahrtschiffe kaum sein. Da der bunte, lebensfrohe Spaßdampfer, hier die grazile, schneeweiße Groß-Yacht. Da 250 Meter für 2500 Passagiere, hier 225 Meter für 500 Passagiere. Da eine eine eigene Mikrobrauerei an Bord, hier drei Feinschmeckerrestaurants und ein wohlsortierter „Weinkeller“. Da Frühbucher-Angebote ab 600 Euro pro Woche, hier beginnen die Preise bei 600 Euro pro Person pro Tag.
Was ist Luxus? Für den einen ist es ein besonderes Auto, ein Kunstwerk oder ein Fahrrad (ja, ein Fahrrad!). Für den anderen ist eine Haltung, man will von allem immer nur das Beste. Nur das rechtfertigt den Preis. Dafür erwartet der erfahrene Gast einen besonderen Gegenwert. Die „Europa 2″ wirbt mit großzügigen Suiten, exquisiten Speisen und perfektem Service. Gleichzeitig aber soll man an Bord einen neuen, einen modernen Luxus leben können – entspannt, unaufgeregt, mit Understatement. Eigentlich ein tolles Konzept. Wer schon mal in einem Four Seasons Hotel gewohnt hat, kennt diesen Lebensstil und weiß ihn zu schätzen. Es verblüfft, diese Lässigkeit auf einem Kreuzfahrtschiff zu erleben, tragen doch die meisten Reeder immer noch gern Jacketts mit Goldknöpfen.

Die „Europa 2“ unterscheidet sich in allen Belangen von klassischen Kreuzfahrtschiffen. So hat man die Höhe von Deck 4, in dem der Gast eincheckt, um rund einen Meter angehoben. Das Schiff zu betreten bietet demnach fast etwas Altbau-Feeling. Doch die Raumgestaltung entspricht eher der eines designorientierten Hotels: helle Farben, dunkle Kontraste, edle Materialien, punktuelles Licht, das die „Europa 2“ nicht bloß beleuchtet sondern inszeniert.
Orange-farbene Leuchtbänder rahmen die Fenster neben der Rezeption, selbst wenn sich darin ein Regentag abzeichnet, wirkt der edel. Im Eingang zum Theater hängt eine glitzernde Weltkugel. Über den Köpfen der Gäste im italienischen Spezialitäten-Restaurant „Serenissima“ baumeln Lüster aus grünem Murano-Glas, und im Hauptrestaurant „Weltmeere“ strahlt ein rotes Lampenmonstrum. Im auch für Damen zugänglichen „Herrenzimmer“ glimmt ein LED-Kamin. Wer das Kreuzfahrtschiff „Europa 2“ für sich entdeckt, stellt schnell fest, dass die Inneneinrichtung viel mit Licht zu tun hat – es ist ein Spiel der Kontraste, Hell und Dunkel, Beige und Braun, Hellgrau und Schwarz, Holz und Chrom, Linie und Ornament.

Wenn man eine der Kabinen betritt, steht man in einem Raum, wie es ihn so noch nie auf einem Kreuzfahrtschiff gegeben hat – heller Holzboden, der in einen weichen dunklen Teppich übergeht, ein dunkles Bett neben einem hellen Sofa, von dem aus der Blick durch bodentiefe Fenster und den Balkon hinaus geht auf das Wasser. Die Grand Suiten der „Europa 2“ bieten 46 Quadratmeter Sehfahrt. Die Spa-Suiten haben einen eigenen Jacuzzi, die Ocean-Suiten bieten selbst von der Badewanne einen Blick aufs Meer.

Als reisendes Paar kennen wir viele Schiffe, auch die „Europa“, die inzwischen von manchen Hapag Lloyd-Mitarbeitern versehentlich die „alte Europa“ genannt wird. Wir mögen die gediegene Klasse, das fantastische Essen, die gute Atmosphäre. Die „Europa“, im wichtigen Berlitz Cruise Guide seit Jahren als bestes Schiff der Welt gewertet (Autor Douglas Ward kennt alle Schiffe), fährt seit 14 Jahren. Es ist kein altes Schiff. Und doch wirkt die von Norwegern gestaltete „Europa“ im Vergleich zur „Europa 2“ wie aus dem Museumshafen. Die „alte Europa” bietet einen Luxus, wie man ihn aus klassischen Grand-Hotels kennt. Die vom Hamburger Partnership Design gezeichnete „Europa 2″ gleicht dagegen einem stilvollen Design-Hotel. Es ist nicht alt gegen neu, eher Klassiker gegen Moderne – Hilton versus Hyatt.
Wer immer eine Gelegenheit hat, dieses Schiff zu erleben, wird es nicht vergessen. Die „Europa 2“ definiert Kreuzfahrten neu. Stil und lässige Eleganz. Service und Individualiät. Persönlichkeit und Raum. Hell und Dunkel. Kein Käpitänsdinner, kein Krawattenzwang. Wer sich das Schiff leisten kann, darf auch in Jeans und T-Shirt essen. Darf jung genug sein, um kleinere Kinder mit zu bringen. Für Familien gibt es Kabinen mit Verbindungstüren, für die Kinder einen Kleinkind-, einen Kids- und einen Teens-Club. Für die Eltern: acht Restaurants. Eine Bar mit mehr als 30 Gin-Sorten. Und Wein für 2000 Euro pro Flasche.
Doch das ist typischer Angeber-Kram aus der Welt des alten Goldknopf-Jackett-Luxus. Die Generation der neuen Wohlhabenden genießt den Blick vom privaten Balkon. Sie schätzen, dass im Fitness-Raum modernste Sport-Maschinen warten und jemand, der weiß, wie man sie bedient. Und sie nehmen es mit wohlwollender Selbstverständlichkeit hin, dass man im Restaurant nicht verständnislos angeschaut wird, weil man ein vegetarisches Essen bevorzugt. Man freut sich über die zum Meer hin verglaste Sauna in der großen Wellness-Abteilung.

Wird das Schiff ein Erfolg? Schwer zu sagen. Mit der „Europa 2“ geht Hapag Lloyd ein Wagnis ein. Die Übernachtung auf dem Kreuzfahrtschiff ist teurer als die Übernachtung in einem Luxus-Resort. Das bietet mehr Weitläufigkeit, mehr vertrautes, mehr Fluchtmöglichkeiten. Das Schiff überzeugt dafür mit Momenten, die sofort ihren Zauber entfalten: Wenn man etwa auf der Veranda liegt, in eine dünne Decke gehüllt, und das Rauschen des Wassers genießt, das Geräusch, das der Bug macht, wenn er durch die Wellen schneidet. Solche Momente gibt es aber auch auf der Aida. Wenn man denn rechtzeitig eine Liege reserviert hat. Und man einen schallisolierenden Kopfhörer gegen das Bespaßungsprogramm auf dem Pooldeck trägt. Auf der „Europa 2″ spürt man die entschleunigende Kraft der See wie auf einer Privatyacht.
Eignet sich die „Europa 2″ für reisende Paare? Die Voraussetzungen stimmen. So überzeugen die Kabinen mit großen Betten. In allen Restaurants gibt es gut platzierte Zweier-Tische, im Hauptrestaurant aber auch lange Tafeln, man kann sich zwanglos zu anderen dazu setzen. Es gibt viel öffentlichen Raum, geeignet für Zweisamkeit und für den Abend im Freundeskreis gleichermaßen. Vor allem aber findet man auf der „Europa 2“ die besten Voraussetzungen für romantische Momente – so viel Platz pro Passagier wie auf keinem anderen Kreuzfahrtschiff.

Würde man sich ein Label für das neue Lebensgefühl auf See ausdenken müssen, es könnte Luxus 2.0 lauten. Der muss allerdings ganz altmodisch bezahlt werden. Die fünftägige „Schnupperreise“ von Malta nach Palma de Mallorca kostet knapp 3000 Euro pro Person. Sie ist allerdings bereits ausgebucht.

Text- und Bildurheber: Dirk Lehmann

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