Früher einmal, da hat man schlicht ‚einen Sachverhalt beschrieben‘, dann mögliche Lösungen ‚aufgezählt‘ und den ganzen Salat mehr oder minder demokratisch ‚entschieden‘. Heute dagegen muss jeder zweite Berichterstatter in einem Meeting, Workshop oder wo auch immer die Talking Heads sich zu versammeln pflegen, das Thema ‚problematisieren‘. Weil er nämlich mit diesem rhetorischen Trick eine schlichte Faktenschilderung in ein komplexes ‚Problem‘ verwandeln kann, womit er sich auf der Metaebene zugleich eine tiefere Einsicht und einen führungstauglichen Weitblick zuschreibt. Der Mann mit dem problematischen akademischen Hintergrund sieht eben selbst dort Probleme, wo andere Alltägliches sehen: "Ich möchte an dieser Stelle das Faktum der unzureichenden Toilettenpapierversorgung auf unseren Mitarbeiter-WC’s endlich einmal problematisieren".
Zehn zu eins dürfen wir auch darauf wetten, dass solche Problembären immer der konservativen, veränderungsresistenten und wandlungsfeindlichen Fraktion einer Institution zuzurechnen sind. Das Problematisieren gehört zur Sprachwelt des Status Quo. Wer jeden einfachen Sachverhalt zwanghaft problematisieren muss, der macht jedes Projekt auch schwierig, fast schon undurchführbar – er malt in dicken roten Lettern ‚Mühsal und Arbeit für alle!‘ an die Wand.
Kurzum – das ‚Problematisieren‘ ist nicht nur eine semantische, es ist fast schon eine Charakterfrage. Wobei das perfide Wörtchen auch noch die eigene Bedeutung hebt und den Vortragenden zugleich der späteren Verantwortung enthebt. Weil das, was als problemverstrickt beschrieben wird, zumeist auch nicht umgesetzt wird. Falls doch, begehrt der Warner im Falle eines Falles später einmal nicht schuld zu sein, er hat ja früh ‚problematisiert‘. Keine schlechte Erfolgsbilanz für einen verbalen Abfangjäger. Hier noch einige topmodische Anwendungsbeispiele, frisch aus dem Web 2.0:
"Das Netz wird die Leute befähigen, zu problematisieren, die Probleme mit sich rumzuschleppen, sie auszuhalten und nicht irgendjemand hinterher zu laufen, der sagt ‚Ich bin Experte, ich löse dein Problem‘."
"Sonntäglich podcastende Klangwelten und ein wenig Problematisieren".
"Kostenmanagement: Die Ausgangsdaten strukturieren und problematisieren."
Die geschicktesten Problembären präsentieren sich als kreative Lösungsbären und rangieren durch derartige Übertölpelung von Geschäftsführungen meist unter den erfolgreichsten Karrierebären.
Das manische Problematisieren ist tatsächlich eine ärgerliche Problematik. Es verhindert nämlich das Beheben: Wer würde schon wagen, eine Problematik schlicht zu lösen? Statt dessen werden Lösungsansätze aufgezeigt, mögliche Lösungsmöglichkeiten diskutiert oder sogar prüfenswerte Lösungsstrategien einer näheren Betrachtung unterzogen. Hauptsache, die (Denk-)Arbeit muss nicht geleistet werden.