Dan Mangan im Interview: Über ‚Oh Fortune‘, ‚Stand by me‘ und den Krieg

Seit er 2003 seine erste EP „All at Once“ veröffentlichte, hat Dan Mangan sich nach und nach von einem Songwriter mit Gitarre zu einem Ausnahmemusiker mit großartigen Texten, Konzepten und Klanglandschaften entwickelt, so dass sein aktuelles Album „Oh Fortune“ von ihm nicht umsonst als das ambitionierteste Album betitelt wird, das er jemals aufgenommen hat, immer noch fassungslos, dass es wirklich so geworden ist, wie er es sich nicht hätte erträumen können.

Dan Mangan liebt das Erleben eines kompletten Albums

Was den Hörer sofort hineinzieht, ist die musikalische Vielfalt, gleichzeitig ein umfassendes Konzept, das die Songs miteinander verbindet und einen als Zuhörer von einem Song zum nächsten geleitet, ohne das auch einmal der Gedanke kommt, die Skip-Taste zu bedienen.

Dan: Ich liebe Alben und Leute befürchten, dass das Album langsam ausstirbt und dass es eher um Singles geht, so wie das mit dem Internet läuft, aber ich glaube wirklich, dass Leute immer noch Alben vorziehen und ich wollte ein zusammenhängendes Stück kreieren. Und ich wollte in viele Richtungen gehen und viele verschiedene Sounds abdecken, aber es war so wichtig für mich, dass es ein Hörerlebnis ist.

Gerade weil es so viele verschiedene Stile zu finden gibt – vom 40er Jahre Liebeslied „Daffodil“ hin zum orchestral nachdenklichen Opener „About as helpful as you can be without being any help at all“ – die leisen und lauten, zurückhaltenden als auch opulenten Momente wechseln sich so gekonnt ab, dass man nie heraus gerissen wird.

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Dan: Ich hab viel Arbeit in die Art und Weise gesteckt, wie die Songs geordnet sind, thematisch von den Texten her, als auch die Art und Weise wie die Songs klingen, aber manchmal passiert sowas auch ganz magisch und du probierst den Song mit diesem Song aus und es funktioniert nicht und dann probierst du den anderen Song aus und es funktioniert plötzlich erstaunlich gut.

Ich hab viele Sachen ausprobiert und so ist auch das Album entstanden: werf alles an eine Wand und sieh, was dran kleben bleibt.

Reflektion und Zeit nach Beendigung des Albums

Dan gehört zu den Musikern, die nach der Fertigstellung des Albums erst einmal Abstand brauchen, so hat er sich „Oh Fortune“ mehr als zwei Monate nach der Produktion nicht mehr angehört und wurde erst zum Beginn der Promotour durch Amerika nach und nach wieder dazu gezwungen, sich mit den Songs und der Musik auseinander zu setzen und war teilweise überrascht, wie sich auch seine Sicht auf die Songs geändert hatte.

Dan: Ich glaube, du kannst so viele Intentionen für einen Song haben und wenn du ihn dann aufnimmst, kann er ganz anders enden, als man es erwartet hat und es ist eine wunderschöne Sache, so überrascht zu werden.

Und auch, nicht zu sehr daran zu hängen, manchmal passiert es, dass man sich an einer Idee festhält, wie ein Song aussehen soll und wenn er fertig ist, kann er so anders werden, als ursprünglich geplant und wenn du zu sehr dran hängst, ist es schwer, ihn für das zu lieben, was er ist. Und das hilft auch, die Balance zu finden, daran zu arbeiten, wenn er das benötigt, oder ihn aber einfach in Ruhe zu lassen, wenn er fertig ist.

„Oh Fortune“ – Musikalische Unterstützung nur von den Besten

So komplexe Sounds kann man selten alleine umsetzen, weshalb Dan Mangan auch eine große Runde an ausgezeichneten Musikern um sich geschart hat, die ihm hilfreich zur Seite standen, um nicht nur seine Ideen umzusetzen, sondern auch ihre eigenen Ideen hinzu zu fügen.
Die großartigen orchestralen Untermalungen etwa, die besonders im Opener und „Starts with them ends with us“ heraus stechen, wurde von Eyvind Kang arrangiert, der sonst viel für exzentrische Musiker wie Beck oder John Zorn arbeitet. Die Zusammenarbeit mit Kang hat Dan maßgeblich beeinflusst.

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Dan: Es war wirklich interessant, denn worüber wir sehr viel geredet haben, war nicht einmal das Musikalische, sondern vielmehr die Songs und was sie bedeuteten. Und er hatte diese langen Fragen zu den Texten und über Mail und Telefon hatten wir lange Unterhaltungen über einzelne Zeilen in einem Song und ich fand das sehr inspirierend.
Da arbeitet man mit diesem Typen, der engagiert wurde, um Musik zu schreiben und es interessiert ihn weniger, welchen Stil ich hören möchte und wie das French Horn klingen soll, sondern, was die Texte aussagen, weil er das durch das French Horn interpretieren möchte.

Wer Mangan kürzlich schon live gesehen hat, der wird auch um die fantastische Band wissen, die ihn umgibt. Gord Grdina, Kenton Loewen (der auch mit The Crackling ein wunderschönes eigenes Projekt laufen hat) und John Walsh begleiten Dan auf der Tour und haben dafür gesorgt, dass Songs wie „Rows of Houses“ wie Gewitterstürme aus dem Alltagstrott reißen.

Dan: Die Songs wurden besser, weil wir sie geöffnet und untersucht haben, weil wir die Wörter so interpretiert haben, wie sie musikalisch am eindrucksvollsten wirken.

Jeder liest etwas anderes in die Songs

Was immer wieder beeindruckt, wenn man Dan zu den Ursprügen der Songs befragt, ist die Tatsache, dass ihnen sehr klare Ideen zugrunde liegen, er jedoch Texte als auch Songtitel so weit offen gelassen hat, dass sie eben nicht die Wirkung auf den Zuhörer zu sehr einschränken.

In dem lohnenswerten CBC Podcast zu seinem Album erzählte er beispielsweise, dass der Song „Starts with them ends with us“ ursprünglich „Guatemala“ heißen sollte, er den Titel aber änderte, da seine sehr persönlichen Erfahrungen den Erfahrungen der Fans nicht im Wege stehen sollten.

Dan: Der Song war sehr von meiner Reise nach Guatemala inspiriert, aber ich wollte nicht, dass die Erfahrung dieses Songs nur mit meiner Interpretation gemacht werden kann, ich wollte, dass der Song eine freie Quelle ist, dass Leute den Text hören und dann das für sich mitnehmen, was sie denken.
Ich mag die Idee, dass so viele Leute einen Song aus verschiedenen Perspektiven angehen können.

Vom Krieg im Kopf in „Post War Blues“

Dan Mangan ist eine beeindruckende Person, auf der Bühne und im „wahren“ Leben. Er lächelt viel, hält Augenkontakt, scherzt und scheint generell ein sehr ausgeglichener Mensch zu sein. Vielleicht, so Dan, sei das auch so, weil er eben all seine Bedenken in der Musik verarbeiten kann.

Denn gerade die politischen Songs bedienen sich keiner Plattitüden, sondern wirken, weil sie nicht die universellen Phrasen dreschen, sondern sich mit den Individuen auseinandersetzen, die von der Politik beeinflusst werden. So etwa im schon jetzt beliebtesten Song des Albums „Post War Blues“.

Dan: (Post War Blues) behandelt viele Themen, etwa Posttraumatische Störungen und was es bedeutet, ein Soldat zu sein und in den Krieg zu ziehen und…es fragt viel, warum und für wen man in den Krieg zieht. Der Text ist sehr spitzfindig, die erste Zeile „Let's start a war for the kids“, das ist ein Schlag, der sagt „Hör mir zu!“ und die Idee, einen Krieg „aufzubauen“, um zu kontrollieren, anstelle ihn als wirklich letzten Ausweg für internationale Angelegenheiten zu sehen…

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Meine Frage, ob es nicht äußerst passend zur derzeitigen Lage ist, wo amerikanische Jugendliche auf die Straße gehen, bedenkt Dan mit einem Lächeln:

Dan: Es ist zwar passend zum Occupy Movement, aber im Grunde geht es generell darum, dass man nicht manipuliert werden möchte.
Ich glaube, es gab eine Zeit, als Leute vermuteten, dass sie manipuliert wurden, aber es lief gut, also war es ok. Und jetzt wird die Mittelklasse immer kleiner. Es gab eine Zeit, als die Mittelklasse gewachsen ist und das war aufregend, weil es bedeutete, dass mehr Leute etwas bessere Leben führen konnten und jetzt wird sie wieder kleiner.
Wir haben wenige, sehr sehr reiche Menschen und die Armen werden immer mehr. Und der Song stellt die Frage, was es bedeutet, manipuliert zu werden, wie fühlt es sich an, für die Gründe anderer Menschen in den Krieg zu ziehen, es sind ja auch immer die ärmsten Kids, die in den Krieg ziehen.

Das (Songwriting) passierte auch zu einer Zeit, als sie militärische Ausgaben vergrößert und gleichzeitig die Ausgaben für Veteranen verringert haben, um das Budget zu entlasten.
Und das ist verrückt, wie kann man mehr Kinder in den Krieg schicken und wenn sie dann wieder nach hause kommen und ihre Köpfe sind voll mit diesen grausamen Dingen, die sie gesehen haben, wie schafft man es, dass man sich dann nicht um sie kümmert?
Und wenn dein Fuß weg geschossen wird und jeder sieht, dass dir dein Fuß fehlt, dann ist das ein visueller Beweis, dass man seinen Fuß geopfert hat.

Aber angenommen, dein Fuß ist in Ordnung, aber du hast Albträume und kannst nicht schlafen und kannst dadurch kein normales Leben führen und keine Beziehung zu einem anderen Menschen aufbauen und verbringst die nächsten 50 Jahre damit, immer verrückter zu werden, das ist schwieriger zu verstehen, als der Fuß…

Manchmal ist es schwierig, Politik in Musikinterviews zu bringen, denn – und ich schließe mich da nicht aus – man weiß doch immer nur einen Bruchteil dessen, was wirklich auf diesen Ebenen abläuft und kann daher sehr schnell in die Polemik verfallen, ohne sich andere Perspektiven anzueignen.

Doch Dan macht es richtig, wenn er vielmehr fragt, wie das Individuum damit umgeht, denn genau das sind wir, die nicht selten außerhalb der politischen Entscheidungen stehen und gleichzeitig mittendrin gefangen sind.

Dan: Es ist so verrückt, dass wir einen gemeinsamen Feind kreieren, damit wir uns als Einheit sehen können, wenn du Gemeinsamkeit erreichen willst, dann kreiere eine Gemeinschaft.

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Rows of Houses

Ein Song auf „Oh Fortune“ hat mich mehr als andere aufgerüttelt, nicht nur, weil „Rows of Houses“ musikalisch so sehr heraussticht (Dan bezeichnet ihn als „the most heavy“ Song des Albums), sondern auch, weil die Frustration, die in anderen Songs nur lakonisch mitschwingt, hier zu wütenden Backgroundchören aufbegehrt.
Überraschend ist es dann, zu hören, dass der Song die Stephen King Verfilmung „Stand by Me“ zum Thema hat.

Dan: Was mich an „Stand by Me“ und an der Stadt berührt – und es ist eine fiktive Stadt, es gibt sie also nicht, aber gleichzeitig ist sie jede kleinere Stadt in Amerika – jeder ist so gefangen in der Vorstellung, die andere von einem haben.

Chris Chambers ist der Unruhestifter, daher muss er das Milchgeld geklaut haben, jeder Charakter ist eine Art Archetyp und sie sitzen fest und können der Stadt nicht entkommen und auch nicht der Art und Weise, wie sie von anderen gesehen werden.

Es bereitet mir einfach Sorgen, dass sich so viele Menschen so fühlen, als könnten sie nicht die Ketten und all diese Dinge brechen, die sie zurückhalten. Ich möchte dieser andere Mensch sein, ich möchte mutiger, selbstbewusster und all diese Dinge sein, aber sobald ich das verfolge, hintergehe ich das Bild, das die Leute von mir haben.

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„Oh Fortune“ ist nicht grundlos ein Album, das sich auf vielen Playlists fest gesetzt hat, denn die Wärme, die kritische Reflektion, die Ehrlichkeit und die großartigen Kompositionen wirken wie gegossen und untermalen die Tatsache, dass Dan sich nicht als Beobachter sieht, der seine Umwelt mit genügend Abstand kritisiert, sondern als jemand, der mittendrin ist und gerade deshalb immer wieder neue Fragen stellt, sich selbst und seine Umgebung in Frage stellt und das sogar charmant im letzten Song des Albums „Jeopardy“ (immerhin das Spiel, in dem die richtigen Fragen gewinnen) widerspiegelt.

Dass es oftmals um Perspektive geht, zeigt sich auch in Songs wie „Leaves, trees, forrests“, ein Song, der davon handelt, dass man nie den Baum sieht, wenn man sich ein Blatt anguckt und nie den Wald sieht, wenn man sich den Baum ansieht. Und wenn man dann den Wald sieht, kann man weder den Baum, noch das Blatt sehen. Yoda hätte es nicht besser sagen können.

Dan: Für mich handelt das Album von der Erfahrungen meiner Existenz, und was es für mich bedeutet, in meiner Haut zu stecken und wie ich andere Menschen wahrnehme, wie sie in ihrer Haut stecken, und es handelt viel von Tod und viel davon, sich mit dem Tod anzufreunden, wenn man sich mit dem Tod anfreundet, dann kann man auch das Leben genießen und über die Angst hinweg zu kommen.

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