Waisenkinder sind dankbare Protagonisten in Romanen. Sie erzeugen Empathie. Wir leiden, wir weinen und wir freuen uns mit ihnen, wenn am Ende alles gut wird. Nun taucht auf dem Bilderbuch-Markt ein neues Werk auf – über ein Mädchen, das in einem französischen Waisenhaus von strengen Nonnen betreut wird, weil die Mutter gestorben und der Vater zu arm ist, sie großzuziehen.
Im Gegensatz zu „Oliver Twist“, dem wohl berühmtesten Waisenjungen im gleichnamigen Roman von Charles Dickens, gab es dieses Kind allerdings tatsächlich: Coco Chanel (1883-1971), Modedesignerin der ersten Stunde und unsterblich bis heute, war zwischen ihrem 12. und 16. Lebensjahr in einem Heim untergebracht. Sie lernte dort, wie damals üblich, vor allem Putzen und Handarbeiten! „Jeder weiß, dass die Mädchen aus dem Waisenhaus sticken können wie Engel“, schreibt die Autorin in ihrem Kinderbuch „Coco und das kleine Schwarze“ und so findet die junge Chanel eine erste Anstellung als Näherin.
Annemarie van Haeringen (Jg. 1959), in den Niederlanden eine der bedeutendsten Kinderbuch-Illustratorinnen, hat diese Biografie über Coco Chanel in eine wunderbare Form gegossen: Zauberhafte Zeichnungen der heranwachsenden Stil-Ikone entführen die Leser zuerst in die Welt des Waisenhauses, der Armut und Frondienste, um Coco bei ihrem Aufstieg in die höhere Gesellschaft zu begleiten bis hin zu ihrer ersten Ladeneröffnung, einem Hutgeschäft. Entzückend sind die Bilder, in denen die spindeldürre Coco den beleibten Damen der feinen Gesellschaft beim Korsett-Schnüren zuschaut und staunt. Oder wie Coco die Reiterinnen andächtig beobachtet: „Wenn du reitest, gehörst du dazu, und das will Coco.“ Also leiht sie sich beim Stallburschen eine Reithose, trennt sie auf, nimmt das Muster ab – und näht sich eine eigene. Das Aufsehen ist – natürlich – groß. Aus der Schneiderin wird eine Modeschöpferin. Und so entwickelt sie eines Tages (um 1920) auch das legendäre „Kleine Schwarze“, das Cocktailkleid, das bis heute in jedem Kleiderschrank einer modebewussten Frau zu finden ist.
Dieses Buch ist ein echter Gewinn! Die Texte sind kurz, peppig und Dank lustiger Dialoge für Kinder bestens verständlich. Aber auch Erwachsene, die einen Sinn für Mode haben, können sich diese kleine Geschichte wirklich ins Regal stellen, nach dem Lesen und Anschauen versteht sich…
Deutsche Buchausgabe: Annemarie van Haeringen / Coco und das kleine Schwarze. Verlag Freies Geistesleben, Februar 2014 / 14.90 €, für Menschen ab ca. 5 Jahren
Wer mehr über Coco Chanel wissen möchte:
- Buch: Paul Morand / Die Kunst, Chanel zu sein. Eine in Ich-Form erzählte Lebensgeschichte; Morand kannte Chanel. Verlag Schirmergraf, 2009 / 19.80 €
- Buch: Edmonde Charles-Roux / Coco Chanel: Ein Leben. Die Autorin war in den 60er Jahren VOGUE-Chefredakteurin. Mit ihrem Roman „Palermo vergessen“ gewann sie den renommierten französischen Buchpreis „Prix Concourt“. Verlag Fischer Taschenbuch, 2011 / 11.95 €
- Film: Anne Fontaine (Regie) / Coco Chanel: Der Beginn einer Leidenschaft. Die Modeschöpferin wird von der französischen Schauspielerin Audrey Tatou dargestellt. Warner Home Video DVD, 2010 / ca. 9 €
- Ausstellung: Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe zeigt bis 18. Mai 2014 das „Mythos Chanel“. Über 70 ihrer Kreationen sind zu sehen, aber auch zahlreiche Nachahmungen, durch die ihre unglaubliche Wirkung bis heute sichtbar wird.
Image: See page for author [Public domain], via Wikimedia Commons
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