Anais Mitchell ‚Young Man in America‘: Amerikas Kinder

Musikalisch blüht es auf „Young Man in America“, neben den klassischen Instrumenten des Americana Genres knistert und knackt es, flimmert die Violine im Fieber und wiegen sich die Backgroundchöre wie die Arme einer Familie, um Halt zu bieten.

Young Man in America: In den Armen der Familie

Um Familie geht es Anais, existenzielle Bedrängung, das Erwachsenwerden und die Bürde, die Eltern auf sich nehmen, täglich angstvoll abwiegend, wie sie ihre Kinder beschützen können. In der Zeit der Rezession erzählt sie lyrisch authentisch und von nackter Schönheit von aufwachsenden Frauen, die sich einen Mann wünschen, der sie versorgen kann, von Kindern, die sich ihrer Eltern erinnern, immer schwitzend, immer arbeitend und immer leidend, im Zentrum der junge Mann in Amerika, ein Erzähler, der beim Schreibprozess immer wieder auftauchte und die tragende Erzählstimme übernahm.

Verlangen zieht sich durch die Texte, ein Stück Liebe in der Geborgenheit des mütterlichen Bauches, Träume von einer besseren Zukunft und der Wunsch nach Nähe und Vergebung aller Sünden, klein oder groß. Überwältigend wird man hinein gezogen in diese Welt, denn sie verspricht keine Flucht aus der Realität, sondern setzt diese nur in Sepia.

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Anais Mitchell formt Amerika in Geschichten um

Denn Anais Mitchell kommentiert auch so das Amerika von heute, bildet dabei zufällig einen Bezugspunkt zu Neil Youngs Coveralbum „Americana“, verbindet den Kampf ums Überleben und der Familie mit der oftmals gefürchteten Rezession, die derzeit angeblich herrscht.

„Young Man in America“ gehört auch zu dem ersten Album, das Mitchell auf ihrem eigenen Label Wilderland Records veröffentlicht hat, auch hier zeigt sich eine beinahe mütterliche Seite (Mitchell selbst spricht auch ihre eigene Kinderlosigkeit mit Anfang 30 an), die das Thema der Familie aufnimmt. Für einen Song nahm Mitchell sogar Inspiration aus einem Roman ihres Vaters („The Souls of Lambs“), um eine Geschichte zu erzählen, in der die Arbeit, der Drang, die Familie zu versorgen letzten Endes zum Verlust ebenjener führt.

Anais' Vater schmückt auch das Albumcover, ein Foto von ihm in jungen Jahren, auch er ein junger Mann in Amerika, der sich ein Leben aufgebaut hat, das Foto selbst war Cover seines Buches, was man auf dem Album nicht sehen kann, ist das Lamm, dass er in den Armen hält, eine Unschuld die es zu schützen gilt.

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Worum es geht

Songwriter sitzen nicht nur mit ihrer Gitarre da und singen mit gebrechlicher Stimme, der echte Songwriter hat etwas zu erzählen, aus dem Innersten heraus und formt dieses Gefühl, diese Gedanken in Worte, umhüllt sie mit Kompositionen, die diese Gefühle auch im Zuhörer offen legen, wie aufblühende Wunden. Mit „Young Man in America“ ist Anais Mitchell genau das gelungen, ein Album, das zeitlos unseren Schmerz spürt und sich seiner annimmt, in Erzählungen an das Gemeinsame appelliert und Vergangenheit, Zukunft und Gegenwart zusammenführt, um sie wie Schablonen aufeinander zu legen, ihre Fehler und Schönheit hervor hebend.

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