Israel verstehen in 60 Tagen oder weniger: Geschichte und Gegenwart in Sarah Gliddens Graphic Novel

Sarah Glidden wurde 1980 in Boston in eine jüdische Familie hinein geboren, aber auch wenn sie Bat Mitzwa (übersetzt „Tochter der Pflicht“) hatte, hat sie sich nie mit ihrem Glauben auseinander gesetzt. Als ihr Bruder an Birthright Israel teil nimmt – einer kostenlosen Lehrreise nach Israel für jüdische Jugendliche – sieht Sarah dem Projekt mit Zweifel entgegen, zu sehr scheint es ihr ein Propagandatrip zur Idealisierung der Israelis, bzw. Zionisten zu sein.

Sarah Glidden auf Mission

Als sie sich schlussendlich doch entscheidet, informiert sie sich ausführlich über die Geschichte Israels und nimmt sich fest vor, ihre Meinung, dass die Palästinenser ungerecht, ja barbarisch behandelt werden, nicht zu ändern. Doch bereits in den ersten Tagen ihrer Reise wird sie auf eine harte Probe gestellt, denn abgesehen davon, dass das Birthright Programm nicht so einseitig ist, wie sie es erwartet, ja vielleicht sogar gehofft hat, bekommt auch die Geschichte Israels ein anderes Gesicht, sobald sie persönlich erlebt wird.

Sarah Gliddens Graphic Novel ist zu Recht mit Preisen ausgezeichnet worden, die Geschichte Israels wird in gut recherchierten und vor allem vielen, verschiedenen Versionen nacherzählt, so dass der Leser sich selbst eine Meinung bilden kann. Neben den Vorträgen der Birthright Reise verbildlicht Sarahs Fantasie die Geschehnisse, die inmitten der historischen Bauten und Ruinen zum Leben erwachen, dadurch werden auch die teilweise tatsächlich einseitigen Berichterstattungen der Reiseleiter mit alternativen Versionen und Fakten ergänzt.

Nebenbei erfährt der Leser natürlich auch immer wieder über die Menschen in der Reisegruppe, kleine Anekdoten der Reise, die einmal nichts mit Geschichte, Religion und Politik zu tun haben. Auch der Humor kommt nicht zu kurz, Sarah ist manchmal bitter ironisch, ihr Trotz wird in den Zeichnungen humorvoll reflektiert, etwa, wenn sie inmitten von begeisterten Reisegästen eine Schnute zieht, oder hämische Kommentare während der Vorträge abgibt.

Besonders die vielen Seiten, von denen die Situation in Israel betrachtet wird, zeigen die Schwierigkeit, eine einheitliche Meinung zu bilden. Oftmals findet sich Sarah im Zwiegespräch mit dem Reisebegleiter Nadan, der in Israel lebt. Er wird jedoch in keinster Weise zum Antagonisten, sondern die Diskussionen bleiben immer freundschaftlich und respektvoll, Glidden hat nicht den Anspruch eine Antwort darauf zu geben, was man vom Konflikt halten soll, sondern vielmehr, dass nur ein respektvoller Dialog einen Weg zur Konfliktlösung bringt. Dabei zeigt sie auch, dass ihre Anti-Haltung gegen die Israelis nicht immer richtig und teilweise vorschnell entstanden ist, was auch die Protagonistin selbst in die ein oder andere Glaubenskrise stürzt, die der Leser unmittelbar miterlebt.

Israel verstehen – In 60 Tagen oder weniger

Amüsant, spannend, pädagogisch wertvoll (so abgedroschen es klingt), Sarah Glidden schafft es wunderbar ein Stück komplizierte und oftmals einseitig präsentierte oder sogar ignorierte Geschichte so zu visualisieren, dass der Leser einen guten Überblick bekommt, Lust bekommt, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. Landkarten, die die Reisestrecke illustrieren, eine kleine Zeitachse, ein Glossar und schlussendlich eine gute Bibliographie motivieren sogar dazu, denn Sarahs Reise endet nicht mit einem finalen Schlusswort, einem kathartischen Erlebnis oder einer eindeutigen Meinung. Die kann sich der Leser alleine oder im Gespräch bilden.
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