Wenn wir das nicht so empfinden, liegt das entweder daran, dass wir ein herrlich altmodisches, ganz und gar nicht hypermodernes Leben führen, im schlimmsten Fall mit Heidegger bewusst an „Mark, Knochen und Blut“, an vom Schwarzwaldphilosophen propagierten, Innerlichkeit bedeutenden Begriffen, wie „Spiegel und Spange“, festhalten oder einfach die Zeichen der Zeit nicht verstehen. Die stehen auf Sturm. Eine buchstäblich allgegenwärtige Hyperkultur bläst die alte Aura der Dinge einfach weg. Wir sind besser überall oder wir sind, wie der südkoreanische, in Basel lehrende Philosoph Byung-Chul Han in seinem kleinen, dichten Buch über Kultur und Globalisierung schreibt, eher Pilger als Tourist, eher Idiot als Hypermensch. Byung-Chul Han setzt seine Theorie vom hyperkulturellen Raum, in dem Gleichzeitigkeit und Ortlosigkeit herrschen, ab von Theorien der Zeitlichkeit und der Örtlichkeit bei Heidegger, Hegel, Leibniz u. a. Gegen einen trotz aller Offenheit noch immer allzu sehr dem Transitorischen, dem Zwischen der Interkulturalität oder einer kolonialistisch geprägten Multikultur verbundenen Kulturbegriff bei Denkern wie Nietzsche und Wolfgang Welsch entfaltet Byung-Chul Han den Begriff der Hyperkulturalität als einer Kultur der Freundlichkeit, die das Andere neu, nicht mehr als gewalttätige Aneignung (noch in der Apotheose), sondern immer schon als das Eigene (an-)erkennt. Denn: „Weder Ironie noch Höflichkeit bringt Nähe hervor. Aufgrund ihrer über die Toleranz weit hinausgehenden Offenheit ist die Freundlichkeit zu jenem ‚Windowing‘ fähig, das öffnet und verbindet.“ So schön das klingt, so wenig vermag Byung-Chul Han seine Vorstellungen an die Wirklichkeit anzulegen. Wie sähe das defaktifizierte Sein aus? Wie leben und arbeiten wir in dieser grenzenlosen Freundlichkeit? Oder tun wir es längst? Kaum. Unser Alltag, der Blick in die Zeitung lassen diese Sicht der Dinge wie eine ferne, wenngleich wunderbare Utopie erscheinen. Dem Buch fehlt ein ganzes Kapitel. Nur an einer Stelle schiebt sich die Realität ins Bild. ‚Windowing‘ nennt Byung-Chul Han den „hypertextuellen Modus der Erfahrung“, in der „alle einander spiegeln oder in sich Andere durchscheinen lassen“. Der Autor kontrastiert ihn dem Leibniz’schen von „fensterlosen“ Monaden bewohnten Universum. Doch das Fenster hat noch eine Funktion: „Es schirmt mich gleichzeitig gegen die Welt ab. Als eine Art Fenster wirkt ja auch der Bildschirm nicht nur offenbarend, sondern auch abschirmend. So kann das ‚Windowing‘ seinerseits Monaden hervorbringen, diesmal Monaden mit Fenstern, deren In-der-Welt-sein sich als ein ‚Vor‘-dem-Fenster-sein erweist. In ihrer Vereinzelung nähern sie sich den alten, fensterlosen Monaden.“