Wenn wir keine Kinder hätten…

Wenn wir keine Kinder hätten, dann hätten wir vermutlich beide einen Vollzeitjob. Wenn nicht, dann wären die Chancen, einen zu bekommen, ungleich größer als mit den  Kindern.

Wir hätten eine hübsche kleine Wohnung in der Nähe der Innenstadt, kein angemietetes Reihenhaus, das wir uns nur mit Müh und Not leisten können. Drei Zimmer würden uns genügen, mit Balkon oder klitzekleinem Gärtchen; eine Schaukel müsste ja nicht hineinpassen.

Wenn wir keine Kinder hätten, dann hätten wir einen kleinen City-Flitzer, keine alterschwache Familienkutsche, die an allen Achsen ächzt, aber mit der man prima den Kinderwagen UND den Einkauf transportieren konnte.

Wir würden zwei Mal im Jahr in Urlaub fahren, nicht einmal alle fünf Jahre. Und wir müssten nicht dann fahren, wenn alle fahren und es richtig teuer ist, weil gerade Ferien sind.

Wenn wir keine Kinder hätten, dann würden wir auch wieder mal ausgehen. Einfach mal in die Kneipe, ein Bier trinken, oder mal wieder Essen gehen, in ein Lokal mit Tischdecken, einem Kellner und Besteck auf dem Tisch..

Oder mindestens einmal im Monat ins Kino: Ohne schlechtes Gewissen, weil der Babysitter so teuer war.

Ich würde mir mal wieder neue Klamotten kaufen, ohne Seufzen, dass die alte Hose doch eigentlich noch eine Saison halten müsste, weil doch die Kinder auch noch neue Jacken brauchen.

Wenn wir keine Kinder hätten, dann könnten wir ein bisschen Geld auf die hohe Kante legen oder vielleicht sogar was für die Rente sparen! Dann müsste ich nicht später mit dem lächerlichen Bisschen auskommen müssen, das mir die BfA in Aussicht gestellt hat.

Wir hätten Möbel ohne Schnitzspuren, Sofas, die nicht durch exzessives Hopsen völlig ausgeleiert, und Stühle, die nicht vom ständigen Kippeln auseinandergezogen sind.

Wenn wir keine Kinder hätten, dann wären die Zimmer auch zehn Minuten nach dem Aufräumen noch aufgeräumt. Wir würden nie barfuß auf Legos treten und hätten auch kein Magengeschwür vom Barbie-rosa-Ertragen.

Wir müssten, um uns unseren täglichen Kick zu verschaffen, auf Brettern irgendwelche Abhänge hinunterrutschen, statt hinter Zweijährigen, die auf die Straße zu rennen, her zu spurten. Wir müssten Bungee-Springen, um auch nur halb so viel Adrenalin zu produzieren.

Unser Leben wäre ruhig und furchtbar eintönig.

Ihm würden die schwärzesten Momente ebenso fehlen wie die schönsten.

Der Moment, als es nach sieben vergeblichen Jahren hieß: „Doch, der Test ist eindeutig positiv!“ und ich zum ersten Mal in meinem Leben vor Freudentränen blind war.

Oder als mitten im Kaiserschnitt die Ärztin hektisch nach einer Vollnarkose rief, um das Kind noch lebend ans Licht der Welt zu bringen.

Oder als ich dann vier Tage nach ihrer Geburt das kleine Püppchen zum ersten Mal auf den Arm nehmen durfte.

Oder der erste Kuss, mit halb rausgestreckter Zunge und offenem Mund, aber noch ganz ohne Zähne.

Oder die  durchweinte, durchwachte Nacht, als der Schnuller kaputt ging und wir verkündigten, es gebe nun keine mehr.

Das erste wirklich Lachen, das erste Mal „Mama!“ oder „Papa!“

Fieber und Windpocken, Durchfall bis unter die Achseln hoch. Erbrechen quer über den Frühstückstisch.

Die stolze große Schwester, die der kleinen am ersten Kindergartentag auf die Reifenschaukel hilft.

Die Reihe ließe sich unendlich fortsetzen.

Nein, wir brauchen dem Adrenalin-Kick nicht nachzujagen, um noch etwas zu spüren.

Wir haben Angst und Sorge, Glück und Stolz in der ganzen Tiefe des Gefühls kennen gelernt. Oft mehr als uns lieb wahr und manchmal auch bis über die Grenze des Erträglichen hinaus.

Aber mir dann von einem hübsch gestylten Frauchen (Mitte dreißig, kinderlos und sehr erfolgreich im Beruf) sagen zu lassen: „So gut wie du möchte ich es auch mal haben! Den ganzen Tag bist du gemütlich zu Hause!“, nein, das muss ich nun auch nicht haben.

6 Meinungen

  1. Liebe Marlies,wenn ich keine Kinder hätte, dann hätte ich jetzt nicht – mit Ganzkörpergänsehaut – jedem Wort deines Textes zustimmen können.Und ich wäre sicher nicht sonntags schon um diese Zeit am Computer. :)Talula(und da wären sie wieder, die 3T…)

  2. Liebe Marlies,wenn ich keine Kinder hätte, dann hätte ich jetzt nicht – mit Ganzkörpergänsehaut – jedem Wort deines Textes zustimmen können.Und ich wäre sicher nicht sonntags schon um diese Zeit am Computer. :)Talula(und da wären sie wieder, die 3T…)

  3. Liebe Marlies,wenn ich keine Kinder hätte, dann hätte ich jetzt nicht mit Tränen in den Augen hier am PC gesessen… wunderbar geschrieben und ich kann das sehr gut nachvollziehen … speziel das mit dem materiellen Reichtum:). Das wird sowieso alles überbewertet. Interessant fand ich den Ansatz mit dem Adrenalin-Kick!Gruß Danny

  4. Liebe Marlies,wenn ich keine Kinder hätte, dann hätte ich jetzt nicht mit Tränen in den Augen hier am PC gesessen… wunderbar geschrieben und ich kann das sehr gut nachvollziehen … speziel das mit dem materiellen Reichtum:). Das wird sowieso alles überbewertet. Interessant fand ich den Ansatz mit dem Adrenalin-Kick!Gruß Danny

  5. Hallo Marlies!Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, keine Kinder zu haben. Sie geben meinem Leben einen Sinn, auch wenn sie mir manchmal den letzten Nerv rauben.Hach, hast Du das schön geschrieben, ich habe glatt ein Tränchen im Knopfloch…Liebe Grüße, Bettina!

  6. Hallo Marlies!Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, keine Kinder zu haben. Sie geben meinem Leben einen Sinn, auch wenn sie mir manchmal den letzten Nerv rauben.Hach, hast Du das schön geschrieben, ich habe glatt ein Tränchen im Knopfloch…Liebe Grüße, Bettina!

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