Vom Rätsel zum Prinzip oder: Wie man einen Gottesbeweis initiiert

Mehr als zwei Jahrtausende haben Philosophen und Theologen vergeblich versucht, die Existenz des Transzendenten zu beweisen. Dieses Scheitern der Metaphysik hat wie kein anderer geistesgeschichtlicher Vorgang unsere Kultur geprägt. Sie ist seither im Kern säkular.

Am nachhaltigsten hat sich dieses Scheitern der Metaphysik freilich auf das Bild der abendländischen Philosophie ausgewirkt. Sie gilt heute – ganz selbstverständlich – als Disziplin ohne eigenen Gegenstandsbereich.

Der Philosoph Immanuel Kant hat dieses Scheitern der Metaphysik in der Vorrede zur zweiten Auflage seiner Kritik der Reinen Vernunft auf eine exemplarische Weise beschrieben. Dort beschreibt er die Metaphysik als einen Kampfplatz, "der ganz eigentlich dazu bestimmt zu sein scheint, seine Kräfte im Spielgefechte zu üben, auf dem noch niemals irgendein Fechter sich auch den kleinsten Platz hat erkämpfen können und auf seinen Sieg einen dauerhaften Besitz gründen können. Es ist also kein Zweifel, dass ihr Verfahren bisher ein bloßen Herumtappen und, was das Schlimmste ist, unter bloßen Begriffen gewesen sei."

Schließlich fragt er sich: "Woran liegt es nun, dass hier noch kein sicherer Weg der Wissenschaft hat gefunden werden können? Ist er etwa unmöglich? Woher hat denn die Natur unsere Vernunft mit der rastlosen Bestrebung heimgesucht, ihm als einer ihrer wichtigsten Angelegenheiten nachzuspüren?"

Um dieses Scheitern abzuwenden, macht Kant einen Vorschlag, den er selbst als "Kopernikanische Wende" in der Philosophie verstand: „Bisher nahm man an, alle unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten; aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsere Erkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuche es daher einmal, ob wir in den Aufgaben der Metaphysik damit besser fortkommen, dass wir annehmen, die Gegenstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten … Es ist hiermit ebenso als mit den ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung der Himmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer dreht sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er den Zuschauer sich drehen und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. In der Metaphysik kann man nun .. es auf ähnliche Weise versuchen."

Diese von Kant vorgeschlagene Lösung – die Kopernikanische Wende – ist bis heute uneingelöst geblieben.

Dem zeitgenössischen Philosophen Vittorio Hösle zufolge ist diese Lösung u.a. deswegen noch nicht gefunden worden, weil weder die Frage nach den von Kant geforderten synthetischen Sätzen a priori klar formuliert sei noch überhaupt eine klare Methode zur Verfügung stünde, um sie zu beantworten. (in: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie;Untertitel: Transzendentalpragmatik, Letztbegründung, Ethik, München 1990, S. 44)

Wenn man den modernen Erben Kants bei der Arbeit zuschaut, kann man feststellen, dass sie sich auch heute noch, gestützt auf diese Vorgabe Kants, um die Frage ringen: Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich?

Als ich das Vergnügen hatte, 2006 an der III. World Conference of Metaphysics in Rom teilnehmen zu können, galten alle Beiträge (mit Ausnahme des meinigen) der Beantwortung dieser einen Frage. Jeder Autor suchte nach einem wie auch immer gearteten erkenntnistheoretischen Kniff, um Metaphysik als Wissenschaft betreiben zu können. Doch keine dieser Arbeiten war der Metaphysik selbst gewidmet. Bis heute gibt es nach wie vor nicht die allergeringste metaphysische Erkenntnis. Wir sind zu Beginn des III. Jahrtausend, was das Transzendente und seine Bedeutung für das physikalische Universum anbelangt, in derselben Lage wie vor zwei Jahrhunderten. Wir sind um kein Deut vorangekommen. Wir haben nicht eine einzige, empirisch verifizierte Aussage.

Bei allen Bemühungen, die die Philosophen und Theologen in den letzten zwei Jahrtausenden unternommen haben, ist ihnen ein Gedanke offenbar noch nie gekommen, dass das Transzendente wirklich transzendent sein könnte. Nur wenn man diese Transzendenz des Transzendenten – ohne Wenn und Aber – akzeptiert, dann und nur dann ist Metaphysik als Wissenschaft möglich. Was dieser eigentlich trivialen Erkenntnis im Wege zu stehen scheint, ist offenbar das Gefühl, in Sachen Metaphysik gescheitert zu sein, wenn man erst einmal die Transzendenz des Absoluten eingeräumt hat – wenn man also zugibt, dass sich der letzte Grund der Welt womöglich wirklich jeglicher Beschreibbarkeit entzieht. Das zuzugeben, scheint in der Tat bei uns Menschen ein Gefühl des totalen Scheitern zu hinterlassen. Doch gerade diese – wenn auch sehr menschliche – Weigerung steht der Entwicklung einer modernen Metaphysik entgegen. Erst wenn wir die Transzendenz des letzten Grundes der Welt akzeptieren, ist der erste Schritt in Richtung einer modernen Metaphysik getan.

Es gibt für diesen Akt des Annehmens ein sehr schönes Beispiel in der Physik. Es zeigt, wie man das Unvermögen, etwas erklären oder beschreiben zu können, dennoch in einen Sieg der Vernunft verwandeln kann.

Ende des 19. Jahrhunderts waren die Physiker mit der gleichermaßen merkwürdigen wie unverständlichen Tatsache konfrontiert, dass sich das Licht so ganz anders verhielt als alle anderen Dinge der Welt. Während sich in der gewöhnlichen Welt die Geschwindigkeiten von Objekten addierten, wies Licht stets dieselbe Geschwindigkeit auf. Ob man dem Licht mit Lichtgeschwindigkeit enteilte oder sich ihm mit Lichtgeschwindigkeit näherte, das Licht hatte unbeirrbar immer dieselbe Geschwindigkeit – 300.000 Kilometer pro Sekunde. Das hatte die Physiker Michelson und Morley in ihrem Experiment herausgefunden.

Kein Physiker hatte eine Ahnung, was es mit dieser Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auf sich hatte – bis schließlich ein bis dahin völlig unbekannter Patentbeamter III. Klasse aus diesem Rätsel kurzerhand ein Postulat machte: Er sagte sich: Ich weiß nicht, was es mit der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit auf sich hat – und das soll mich auch nicht kümmern. Stattdessen stellte er sich die Frage: Wie sähe das physikalische Universum eigentlich aus, wenn die Lichtgeschwindigkeit eine universelle Konstante wäre?

Erst durch diesen Verzicht, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit erklären zu wollen, führte er die Physik seiner Zeit aus einer Krise. Einstein’s Geniestreich bestand einfach darin, die traditionelle Erklärungsrichtung umgekehrt zu haben.

Diese traditionelle Erklärungsrichtung bestand darin, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit aus einem speziellen Äthermodell ableiten zu wollen. Der Physiker Hendrik A. Lorentz war dieser Richtung gefolgt. Einstein kehrte diesen Gedankengang von Lorentz genau um: Er erhob die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit, die bei Lorentz als Folgerung erschien, in den Rang eines Naturgesetzes und stellte es als Fundamentalsatz an den Anfang seiner Überlegungen.

Das Ergebnis dieser verblüffenden Kehrtwendung ist die spezielle Relativitätstheorie. Sie ist eine der am besten getesteten Theorien der modernen Physik. Sie besagt im Kern, dass das Universum eine relativistische Struktur haben muss, wenn die Lichtgeschwindigkeit eine Konstante ist. Wie es aussieht, scheint unser Universum genau diese Struktur zu haben.

In genau derselben Weise könnte auch Metaphysik als Wissenschaft oder spezifischer: als physikalische Disziplin möglich sein. Wir müssen lediglich die gewohnte Erklärungsrichtung umkehren: Anstatt Transzendenz erkenntnistheoretisch niederringen
zu wollen, müssen wir sie als Fundamentalsatz an den Anfang stellen – und uns die Frage stellen: Wie muss eigentlich das physikalische Universum aussehen, wenn sein Grund transzendenter Natur ist?

Eben diese Kehrtwendung bezeichne ich als „methodologische Kehre": Obwohl sie uns in scheinbar gegenläufige Richtung führt – weg vom Transzendenten hin zum sichtbaren Universum -, gelingt es uns gerade dadurch, unserem Wunsch nach einer modernen Metaphysik näher zu kommen.

Doch selbst wenn man um diese methodologische Kehre in völliger Klarheit weiß, bleibt, wie ich im nächsten Blog zeigen möchte, die Weigerung, die Transzendenz des Transzendenten zu akzeptieren, im Hintergrund virulent. Es widerstrebt zutiefst unserem wissenschaftlichen Instinkt, den letzten Grund der Welt als etwas prinzipiell Unbeschreibliches zu akzeptieren.

Doch gerade hierin liegt der Schlüssel zur Metaphysik oder noch schärfer formuliert: Der Schlüssel zum Verstehen der Wirklichkeit und unsererselbst.

3 Meinungen

  1. Hab für euch gevotet 😀

  2. Ich finde die neuen Hundehotels am Flughafen nicht schlecht. Kurze Wege und guter Service. Gibt es in München eins, hab davon gehört aber nicht selbst ausprobiert. Heutzutage bekmmen Haustiere den gleichen Stellenwert wie der Mensch. Schon interessant.

    Beste Grüsse
    sonnenschein
    http://www.sonnenuhrgarten.org

  3. Jonathan Hänseler

    Und dieser letzte Grund, unbeschreiblich, transzendent, ist niemand anderes als der lebendige Gott der Bibel, der Himmel und Erde geschaffen hat.

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