Maulkorb für Kritiker? Das türkische Parlament hat ein Gesetz abgesegnet, dass die Sperrung von Internetseiten ohne richterlichen Beschluss ermöglicht. Damit hat die Regierung von Ministerpräsident Erdogan die Kontrolle des World Wide Web noch einmal deutlich verschärft. Die Opposition läuft Sturm gegen das neue Gesetz, das noch von Präsident Gül unterschrieben werden muss.
Laut der türkischen Regierung soll das neue Gesetz für einen besseren Schutz von Persönlichkeitsrechten im Internet sorgen. Oppositionelle Politiker sehen das ganz anders. Sie werfen dem Premier Erdogan vor, Kritik unterbinden und die Organisation von Demonstrationen gegen seine Regierung über Internetplattformen erschweren zu wollen. Bereits jetzt können in der Türkei staatliche Stellen Internetseiten sperren, allerdings ist dafür ein Richterbeschluss nötig.
Gezielte Sperre von kritischen Berichten
Die Neuregelung soll es ermöglichen, gezielt lediglich einzelne Bereiche von Internetseiten zu sperren. Eine richterliche Prüfung wäre erst im Nachhinein binnen 48 Stunden erforderlich. Der Journalist Deniz Yücel von der Tageszeitung „taz“ erklärte gegenüber tagesschau.de: „Wenn dieses Gesetz in dieser Form in Kraft tritt, wird keine Seite offiziell aus politischen Gründen verboten werden. Man wird nur einzelne Zeitungsartikel, in denen es um Korruption oder Polizeigewalt geht, als Verletzung von Persönlichkeitsrechten deuten.“ Hintergrund sei, dass die Regierung Erdogan „Wert auf eine legalistische und demokratische Fassade“ lege und verhindern wolle, dass es durch die Sperrung ganzer Internetseiten zu größeren Protesten im In- und Ausland komme.
Harsche Kritik kommt ebenfalls von der größten türkischen Oppositionspartei CHP. Deren Abgeordneter Müslim Sarı verkündete laut tagesschau.de via Twitter: „Wir sind jetzt noch mehr in der Dunkelheit.“
Erdogan wettert gegen angebliche Verschwörung
Die Türkei wird zurzeit von einem Korruptionsskandal erschüttern, in den Politiker und Wirtschaftsbosse aus dem Umfeld der Regierung Erdogan verwickelt sein sollen. Erdogan wiederum bezeichnet die Ermittlungen als Verschwörung und hat zahlreiche Staatsanwälte und hochrangige Polizisten ihrer Posten entheben lassen.
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