Stimmungsboykott in der Bundesliga: Gerechtfertigt oder nicht?

Es ist ein Schulterschluss, der alle Beobachter zwischen Ungläubigkeit, Verwirrung und Respekt schwanken lässt. Seit dem 14. Spieltag sind sich selbst die am größten rivalisierenden Fangruppen in der Sache einig: Sie wollen demonstrieren, dass sie nicht alles widerstandslos hinnehmen wollen, was ihnen „von oben“ auferlegt wird. Dazu soll ein Stimmungsboykott zu Beginn aller Bundesligapartien dienen, der als Warnzeichen an die Verbände gedacht ist. Insbesondere fühlen sich die Fußballanhänger von DFL und DFB nach und nach in ihren Rechten beschnitten. Manche dieser Rechte werden sicherlich sehr eigenwillig interpretiert oder stehen auf keinem Gesetzblatt. Fakt ist dennoch, dass die Verbände und die Politik derzeit einiges dafür tun, um das Stadionerlebnis zu verändern. Sicherer soll es werden, besser kontrolliert und überwacht, aber damit auch ein Ort für jedwede Gesellschaftsschicht für einen angenehmen Nachmittag bei  großem Szenario.

Gründe der Fans für einen Stimmungsboykott

Doch die treuesten Anhänger sehen das ganz anders. Sie haben die Befürchtung, dass die jahrelange traditionsreiche Fankultur nach und nach unter die Räder kommt. Nicht nur, dass schärfere Einlasskontrollen und Überwachungstechniken sauer aufstoßen, da Persönlichkeitsrechte dabei nicht immer gewahrt würden. Es geht auch um Meinungsfreiheit, die gerade in der Stadionkurve ganz natürlich ihren Platz haben solle. Beim Spiel gegen Eintracht Frankfurt fühlten sich die Anhänger des FC Schalke 04 dagegen vom Verein bevormundet, der kurzerhand DFB-kritische Spruchbänder verbot und am Eingang einsammelte. Konsequenz war ein Stimmungsboykott, der sogar über die gesamte Spieldauer ablief.

Vor allem aber wehren sich Fußballfans dagegen, für die Straftaten einiger weniger Chaoten in Sippenhaft genommen zu werden. Sicherlich kommt Gewalt in Stadien vor, das zeigen die Zahlen der vereinzelten Verletzten, die Polizeipräsenz bei Risikospielen sowie gewisse Schlägereien um Stadtumfeld. Allerdings weisen die Fanbeauftragten der Bundesligisten gern auf vergleichbare Opferzahlen auf Volksfesten oder Rockfestivals hin. Nimmt man diese zum Maßstab, seien die Gewalttaten beim Fußball verschwindend gering. Viel entzündet sich buchstäblich aber auch an der Bengalo-Frage. Schon länger setzen sich die Sprecher der Fans für das kontrollierte Abbrennen der rotglühenden Fackeln ein, da diese zu einer besseren Atmosphäre beitrügen. Doch aufgrund wiederholten Missbrauchs hält der DFB am Bengalo-Verbot fest, obwohl Vertreter beider Seiten zwischendurch schon auf einem guten Verhandlungsweg waren.

Bundesliga steuert auf Spaltung zu

Vorfälle wie bei den Relegationsspielen in Düsseldorf oder Karlsruhe im vergangenen Mai, als Leuchtraketen auf das Spielfeld oder in andere Blocks geworfen wurden, ließen Verband und Politik jedoch den Dialog mit den Fans abbrechen. Zu beobachten war danach aber auch eine stark überzogene mediale Verarbeitung der Situation. Nicht selten bekam man angesichts der TV-Berichterstattung den Eindruck, es würde wöchentlich in den Stadien zu Gewaltexzessen kommen. schamlos wurden auch Ultras, Hooligans und Bengalozünder in einen Topf geworfen, obwohl es einen starken Unterschied macht, ob man auf Gewalt aus ist oder sich lediglich um eine prächtige Stimmung beim Spiel des Lieblingsclubs bemüht. Sicherlich gibt es beim Fußball ab und an strafrechtliche Vorfälle und auch eine Reihe von Personen mit nicht tolerierbarem gewalttätigem Verhalten. Aber diese sind normalerweise nicht deckungsgleich mit den leidenschaftlichsten Fans.

Nicht selten ist es in den vergangenen Jahren vorgekommen, dass Gewaltliebhaber innerhalb der Fangruppen aussortiert worden. Da aber im Moment seitens der Politik die Gefahr der Zerstörung der Fankultur in der Bundesliga besteht und der Dialog einseitig abgebrochen wurde, ist Frust und Unzufriedenheit in den Fankurven wieder angewachsen und entlädt sich ab und an nicht nur in verbalen Attacken. Den treuesten Fans schwebt das mahnende Beispiel Englands vor. Das Mutterland des Fußballs war einst der Sehnsuchtsort für deutsche Fußballfreunde. Dort herrschte bedingungslose Unterstützung für einen Club in jedweder Situation und Fußball war ein Sport für alle Gesellschaftsschichten. Doch die Stadionkatastrophe in Hillsborough, nahm die Politik zum Anlass, Stehplätze abzuschaffen, statt sie sicherer zu gestalten und nahm damit der Stadionatmosphäre ihre Seele. In der heutigen Premier League werden Karten zudem so teer verkauft, dass sich die unteren Einkommensklassen kaum ein Spiel mehr leisten können – schon gar nicht als Familie. Plötzlich ist die Bundesliga stimmungsmäßig die beliebteste und angesehenste Europas. Doch auch hierzulande hat man nun Angst vor „englischen Verhältnissen“.

Am 12.12. treffen sich Vertreter aller 36 Klubs im deutschen Profifußball, um über das DFL-Konzept „Sicheres Stadionerlebnis“ abzustimmen. Während die einen damit eine entscheidende Eindämmung der Gewalt erhoffen, sehen die anderen damit den Anfang vom Ende der Fankultur beim Fußball. Die Befürwortung des Konzeptes ist dabei alles andere als sicher, da die DFL bereits Verbesserungen vornehmen musste, nachdem Klubvertreter im Sinne ihrer Fans gegen das Konzept vorgegangen waren. Sollte es aber zur gewünschten Verabschiedung kommen, könnte der bisherige Stimmungsboykott in den Stadien noch eine Weile weiter gehen. Passend zum Datum der Konferenz dauert dieser in jedem Bundesligaspiel 12 Minuten und 12 Sekunden an…

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