Gestern war Doppelkopfabend. Unsere Nachbarin war auch dabei. Hier ein Auszug aus dem Wortprotokoll:
„Wir also los – bis zu diesem Outlet da – weißt, da draußen? – Lloyd Schuhe in Sulingen – ej, da war was los, alles voller Leute da, vor allem Vertreter, die suchten da ihre Treter – höhö! – wir also kommen da an, war echt schwierig mit Parkplatz — hast du auch Karlchen mitgezählt? Ja? — wir denn also rein, und da schnackt gleich so'n Verkäufer meinen Tim von der Seite an — Und – wie steht's überhaupt? Führ' ich noch? — Will bloß gucken, sagt Tim natürlich zu der Ollen, war so'n älteres Semester, Bluse, Faltenrock, er wollt ja auch wirklich bloß gucken, die aber macht Service total, kam wohl gerade vom Lehrgang oder so, jedenfalls …"
So in etwa – ohne Punkt und Komma – ginge es zu, wenn wir schreiben würden, wie wir sprechen. Wobei ich hier schon durch reichlich verteilte Satzzeichen Reste von Ordnung im Text zu erhalten versuchte. Am Tisch kam die Gestik noch dazu, dazu die Einwürfe der anderen.
Kurzum: Sobald wir in geselliger Runde einen Schwatz halten und nicht hinter einem Rednerpult stehen, dann sind wir bloß „am Babbeln". Tucholsky hat mit seinen Wendriner-Geschichten den großen Alltagssprech, das Vor-sich-hin-Monologisieren, das sich „Unterhaltung" oder fachlich „verbale Kommunikation" nennt, erfolgreich aufs Papier gebannt. Aber der Mann war schließlich Künstler, der durfte das. Wir andern aber, wir sollten bitte NIEMALS so schreiben wie wir sprechen.
Am Ende ginge es uns sonst so, wie dem bayrischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, dessen sinnfreie verbale Ergüsse längst Kultstatus genießen: „Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München mit zehn Minuten ohne dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen am am Hauptbahnhof in München starten Sie Ihren Flug zehn Minuten schauen Sie sich mal die großen Flughäfen an wenn Sie in Heathrow in London oder sonst wo meine Charles de Gaulle in äh Frankreich oder in Rom wenn Sie sich mal die Entfernungen ansehen …" Wir zeigen an dieser Stelle Erbarmen und unterbrechen unhöflicherweise den Herrn Ministerpräsidenten und seine wildwuchernden Tiraden.
Mit der Forderung, dass wir so schreiben möchten, wie wir sprechen, ist offensichtlich etwas anderes gemeint. Die Menschen möchten, dass wir ihnen verständlich bleiben, sie möchten keine Gedankenakrobatik vollziehen müssen. Dazu sollten wir vor allem nahe an der Alltagserfahrung der Menschen haften und Abstrakta und Fachwörter vermeiden. Wobei mit diesen Fremdwörtern keineswegs nur absolute Exoten wie „chthonisch" oder „Heuristik" gemeint sind. Es geht vielmehr um jene Wörter, die aus der Wissenschaft kommen, aber längst als gute Arbeitspferde im Dienste der PR, der Werbung, des Marketings stehen und uns den Alltag mit ihrer Unanschaulichkeit versauen. Zum Beispiel: „Information", „Prozess", „Problem", „Kommunikation", „Energie", „Struktur", „Strategie", „Ressource", „Konsum", „Produktion" usw.
Alle diese Wörter haben in der Wissenschaft durchaus ihre Bedeutung und ihre Berechtigung, dort sollen die Eierköpfe sie auf ihren Kongressen in Gottes Namen weiterverwenden. Sobald diese Exoten aber in unseren Alltag einwandern, dann erzeugen sie „kommunikatives Unbehagen". Bei uns daheim, da sagen wir nämlich: „Darüber müssen wir mit euch unbedingt reden" – und nicht: „Wir wollten mit euch die Kommunikation suchen". Wir sagen, „die Angelegenheit ist falsch aufgebaut" – und nicht „die Struktur der Planung erscheint mir fehlerhaft". Ich jedenfalls würde jeden, der in meinem Privatleben dauerhaft so daherschwätzt, von der Liste meiner Freunde streichen.
Fazit: Wir sollten „idiomatisch" schreiben, also immer nahe am Sprachgebrauch und an der Bildwelt "der Leute" bleiben. Wie das nun wieder geht, weshalb manche sich sogar schon eine „Idiomatik" gekauft haben sollen, darüber beim nächsten Mal mehr …
Netter Beitrag. Hab‘ den Stoiber beim Lesen – ganz plastisch – am Innenohr vorbeilabern hoeren; auch das Stammtisch… aehem Doppelkopfgespraech kam sehr authentisch rueber.Es gibt sicher viele Aspekte, die die verwendeten Sprachstrukturen bedingen. Wollen wir Informationen austauschen (vielleicht gar mit dem Ziel, jemandem etwas beizubringen – wie es einem Lehrer i.d.R. obliegt) oder wollen wir die Menschen unterhalten?In jedem Fall wollen wir, dass beim Adressaten ein Bild ankommt, das mit dem Bild in unserem Kopf (so weit als moeglich) deckungsgleich ist. Ebenso wichtig ist die Unterscheidung, ob man bestimmte (dem Absender bekannte) Menschen anspricht oder eine Zielgruppe, die nicht bekannt ist, wie hier im Blog – oder als Autor eines Zeitungsartikels.Abhaengig von Inhalt und Zielgruppe wird man also auch die Sprache auswaehlen.Frueher als junger Mensch dachte ich, man braeuchte mehr Schriftsteller, die auch umgangssprachlich schreiben, damit (zumindest Prosa) nahe an Lebenswirklichkeit der Menschen bleibt. Mit zunehmendem Alter musste ich jedoch feststellen, dass es sehr schwierig ist, umgangssprachlich zu schreiben, und damit beim Adressaten die Assoziationen zu erzeugen, die man als Autor auch beabsichtigt.Es gibt einige wenige Schriftsteller, die dies koennen – das ist dann Kunst.Liebe Gruesse -m*sh-
Tatsächlich ist „Informationsaustausch“ eine sehr technische Vorstellung vom Sinn des Sprechens. Es dient meistens nur sozialen Zwecken, man war als akzeptierter Gesprächsteilnehmer Teil der Gruppe. Aber der Inhalt der Gespräche? Tscha – wer wüsste darüber am Morgen nach einer Doppelkopfrunde noch Genaueres zu sagen?Natürlich hat jeder Schreiber Vorstellungen von seinem Publikum – meistens idealisierte. Die Differenz der Stilebenen wird trotzdem meist überschätzt. Egal, mit welcher Zielgruppe ich spreche, ich sollte mich IMMER um Klarheit, einfache Form und zutreffenden Ausdruck bemühen. Das sind immer die ersten Kennzeichen eines guten Stils. Schau dir mal Knut Hamsun an, Heinrich Mann oder Kurt Tucholsky – wie einfach das alles gesagt ist! Und wie schwer daher zu machen …