Niemand bestreitet ernsthaft, dass die Sprache der Politik auf den Hund gekommen ist. Einer kompletten Bundestagsdebatte zuzuhören, wäre Folter. Die rhabarbernde Sprache der Regierenden und Opponierenden lebt selbstgenügsam in einer Welt aus Stanzen und glattgeschliffenem Wortgeröll, das deshalb aus dem Mund jedes Talking Head purzelt, weil es so schön gedankenfrei, inhaltsarm, abgenutzt und unangreifbar klingt. Eine „Sprache, die dem Sprecher das Denken abnimmt", sagt Erhard Eppler, der als Insider des Politbetriebs 1992 ein hervorragendes Buch über die Sprache jener Zunft schrieb; eine Zunft, die nie ein falsches Wort verwenden darf, weil sie inmitten einer story-geilen und beckmesserischen Medienmeute wiedergewählt werden will. Weshalb der Durchschnittspolitiker sich zu jenen Wörtern flüchtet, die weder falsch noch richtig sind, sondern einfach nur möglichst unanschaulich.
In dieser „Sprache des verwalteten Fortschritts" kann niemand je beim Wort genommen werden: "Ich glaube, dass der Dresdner Parteitag zeigen wird: Leipzig steht für Reformen, die auch weiter notwendig sind. Aber Dresden hat jetzt die Chance, das Signal auszusenden, dass es dabei gerecht zugeht" (Jürgen Rüttgers). Feststellungen, die semantisch einem Stück Seife in der Badewanne gleichen. Wie auch immer der Parteitag ausgehen wird, Rüttgers stand von vornherein auf der richtigen Seite: Reden ohne Risiko.
Da Polit-Blogs in Blogville häufig sind, sollten wir, wenn wir den Anspruch unserer „glaubwürdigeren Kommunikationskultur" ernst nehmen, die bildbefreiten „Plastikwörter" des Partei-Sprechs für politische Kommentare vermeiden. Eppler schildert klar und mit viel Engagement, weshalb sich unsere Regierenden im Hamsterrad des Politikbetriebs höchst absichtsvoll und freiwillig die Sprache versauen – immer den nächsten Wahltermin vor Augen. Und wir könnten „ex negativo" daraus lernen, dies nicht zu tun. Das Buch sollte antiquarisch auf vielen Grabbeltischen billig zu haben sein. Erschienen ist es als Band NF 788 in der edition suhrkamp.
Schöner Text, Herr Jarchow, der mir aus der Seele spricht. Als Dank ein Zitat und eine Buch-Empfehlung (ebenfalls antiquarisch):König Sinn ist an den Felsen Un gefesselt. Prinzessin Phantasie irrt in Sprachfetzen durch die Wortwüste. Phrasendrescher, Wortklauber und Silbensieber haben die Macht übernommen und regieren mit sauren Reden…(Karlhans Franck: Und fliegen soll er wie ein Drache)
Vielen Dank. Alles was diesem Blog nutzt, wird gern genommen …