Kitsch stund am Waldesrande

«Zart strich der Wind über die Safranhaut der jungen Amazone, leiser Blütenduft zog von den Rebenhügeln her ins Tal, ihre klassisch geformten Nasenflügel bebten. Am andern Ufer des Silbersees versank die Sonnenscheibe im Dunst dieser erwartungsfrohen Dämmerstunde. Schwer fielen die Flechten des überreichen Haars jäh auf den ungebeugten Nacken, am andern Ufer taumelte ein trunkener Schwarm Bekassinen himmelan. Würde auch er wohl im Ballsaal erscheinen?».

Nein, ich habe unserer Nachbarin keinen Edelstein-Roman geklaut, das alles habe ich mir soeben höchstselbst aus den Fingern gesogen, um einige Prinzipien des sprachlichen Kitsches deutlich zu machen. Handwerklich schrieb sich dieser Text wie geschnitten Brot. Ich hätte stundenlang so weitersabbeln können. Weshalb? Weil man hier gar nichts genau beschreiben muss: Kitsch ist erst einmal bloß pure Gefühligkeit, die Worte machen Killekille und Kuschelmuschel, und eine allergewöhnlichste Alltagssituation wird mit sprachlichen Mitteln so lange ins Pompöse verklärt, bis man sich gar nicht Konkretes mehr darunter vorstellen kann. Denn Fakt ist nur: Junges Ding steht abends am Baggersee und hat sich in einen Filou verknallt.

Die notwendige kitschige Gefühligkeit erzeugt ein Schreiber zunächst einmal durch hormonbesoffene Verben, die in sanfter Fluidität die Psyche des Lesers zu kosen haben: der Wind muss streichen, die Haut muss beben, die Sonne sinken, der Geliebte um Gottes willen nicht kommen, sondern erscheinen. Dazwischen streuen wir einige nichtssagende Partikel, um der ornamentalen Wirkung willen: „jäh", „wohl", „himmelan" usw. Wichtig ist natürlich auch das Dativ-E, der Prunk-Genitiv und antiquierte Verbformen.

Unverzichtbar sind ungewöhnliche Beiwörter – ob Adjektive oder Adverben – nicht der Anschaulichkeit wegen, sondern um «Stimmung» zu schüren: „erwartungsfroh", „trunken", „schwer", „leise", „zart". Und dann vertreiben wir jeden Rest von Gewöhnlichkeit – besser: Wirklichkeit – indem wir möglichst pretiöse Substantive verwenden, die kein Normalsprachlicher je über die Lippen brachte: Die junge Deern wird zur „Amazone", aus den „Haaren" werden „Flechten", aus dem Abend wird die „Dämmerstunde", aus dem Tümpel ein „Silbersee".

So – liebe Leute – so macht man Kitsch. Und wenn ihr wollt, dass euer Blog von mehr „sehnsuchtsvollen" Sekretärinnen und Fleischereifachverkäuferinnen gelesen wird, dann fangt ihr am besten noch heute so „gefühlstrunken" und blattgoldlaminiert zu schreiben an …

4 Meinungen

  1. Lieber Herr Jarchow,Sie werden doch wohl mit den Gefühlsduseligkeiten und dem Kitsch nicht nur die Frauen als Zielgruppe definieren? Da, wo die männlichen Geschlechtsorgane zu Zauerstäben mutieren, aus jeder Vagina eine Liebesgrotte wird und Busen allenthalben lustvoll wogen, da sind „die Herren der Schöpfung“ doch auch nicht weit. Anfälligkeiten für Kitsch gibt es nicht nur bei Aldikassiererinnen und gelangweilten Hausfrauen, sondern vielleicht auch beim Maurergesellen. Könnte ich mir jedenfalls vorstellen.Viele GrüßeMike Seeger

  2. Oops – das ist mir peinlich: Das muss der Kater vom gestrigen Weltfrauentag gewesen sein. Erweisen wir also auch den Himbeer-Tonis und feinsinnigen Bürorittern, die von ihrer Einen und Einzigen träumen, die schuldige Kitsch-Reverenz.

  3. Weshalb in die Ferne schweifen, das Schlechte liegt so nah.Es war ein lauer Winterabend. Ich stand schmollend auf einem Balkon. Etwas war bei einer Verabredung schief gegangen, eine Lappalie eigentlich, wir hatten uns ja noch gefunden. Trotzdem war ich beleidigt. Der Grund meines Ärgers lehnte neben mir an der Brüstung und zog nervös an seiner Zigarette. Er war auch sauer, weil ich ihn in meiner Wut unzuverlässig genannt hatte. Das sei er nicht, stieß er schließlich hervor, nicht unzuverlässig, diese Einschätzung verkenne sein Wesen. http://writer.germanblogs.de/archive/2007/02/20/hfcmzku18z1f.htm#similarEntries

  4. Tschaja: Unzähmbar, wie es einer Natur entspricht, erblüht der wahre Kitsch mit unwiderstehlicher Macht aus jeder Ritze im Beton unseres gefühlsvergessenen Zeitalters, sogar aus den kalten, elektronischen Maschen dieses Zwischennetzes …

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