Interview mit Paul Agostino

Christian Happel: "Zum Beginn eine Frage an Euch beide, wie ist Paul damals überhaupt von Australien nach Europa gekommen?"

Helmut Richter: "Paul hat damals als 16-Jähriger bei der U17-WM in Italien gegen Mexiko einen Hattrick geschossen und wurde in die Weltelf des Turniers gewählt, zusammen mit solch großartigen Spielern wie etwa Alessandro Del Piero. Nachdem ich das verfolgt hatte, fragte ich mich "Wie komm ich nur an den Agostino ran?"

Paul Agostino: "Nach so vielen Jahren, sag mal Helmut, stimmt es eigentlich, dass Du bei meinem Vater an die Tür geklopft hast?"(lacht; Anm. d. Red.)

Richter: "Nicht ganz, aber fast (grinst; Anm. d. Red.). Ich habe mir damals wirklich große Gedanken gemacht, wie ich an dich rankomme. Dann habe ich, damals noch mit einer Schreibmaschine, an den Präsidenten von Adelaide United (Harry Zaccronanis; Anm. d. Red.) geschrieben und mich nach Paul erkundigt. Pauls Vater wurde informiert und sollte bald darauf nach München kommen, da Juventus Turin damals Interesse bekundete."

"Das hat nicht geklappt, aber ich habe ihn damals zu Young Boys Bern geholt. Ich hatte ein so großes Vertrauen in Pauls Können, dass ich das Präsidium von Young Boys überzeugen konnte, dass er sogar ohne ein Probetraining unter Vertrag genommen wurde. Paul war damals der teuerste australische Spieler aller Zeiten." 

Happel: "Und wie waren deine ersten Eindrücke damals von Paul?"

Richter: "Damals hab ich ja selbst noch ein wenig gespielt und wir haben auch öfters zusammen trainiert. Es hat gleich bei uns beiden funktioniert, Paul war mir sofort sympathisch, ein cooler Typ, etwas verrückt. Ich kann mich noch erinnern, wie wir zum ersten Training gefahren sind: Paul hat sich zum ersten Mal in mein damaliges Mercedes-Cabrio gesetzt, auf dem Rücksitz saßen meine zwei großen Schäferhunde und plötzlich kam auch noch der Gurtbringer an seinem Ohr vorbei, so dass Paul ziemlich eingeschüchtert war. Eine sehr lustige Anekdote, über die wir heute noch gerne lachen."

Agostino: "Als ich dann nach Bristol City gegangen bin hat sich der Kontakt wieder etwas verlaufen."

Happel: "Wie war deine Zeit bei Bristol City? Blickst du mit guten Erinnerungen an deine Zeit in England zurück?"

Agostino: "Absolut. England war eine geile Erfahrung. Es gibt keinen Tag, den ich nicht genossen habe. Ich habe zur Stadt gepasst, und sie zu mir. Damals dachte ich, dass ich hier für immer spielen werde. Ich spielte zusammen mit Shaun Goater im Sturm, wir waren ein klasse Duo. (Shaun Goater wurde später insbesondere bei Manchester City zum Publikumsliebling, und war dort einer der besten Stürmer aller Zeiten; Anm. d. Red.)"

"Doch dann kam Anfang 1997 wieder Helmut ins Spiel: 1860 hatte Interesse an mir. Das war etwa ein Jahr nach dem Bosman-Urteil. Auch wenn es mir in Bristol unglaublich gut gefallen hat, die Möglichkeit in Deutschland Erste Liga zu spielen war eine zu große Chance, um sie nicht anzunehmen. Durch meine Zeit in der Schweiz konnte ich auch noch genügend Deutsch, so dass auch die Sprache keine wirkliche Barriere darstellte."

Happel: "Wie lief dann der Transfer von Bristol zu den Löwen ab? Inwiefern warst du daran beteiligt Helmut?"

Richter: "Ich habe dem damaligen Präsidenten Karl Heinz Wildmoser von Paul erzählt und ihn über Pauls Karriereentwicklung fortlaufend unterrichtet. Anlässlich einer früheren Spielerbeobachtung in Bern, wo 1993 Peter Nowak in Augenschein genommen wurde, fiel damals auch Paul auf. Wildmoser hatte ihn also schon seit seiner Zeit bei Young Boys Bern auf der Liste gehabt. Dann bin ich mit dem damaligen 1860-Scout Helmuth Reuscher zum Derby Bristol City gegen Bristol Rovers gefahren."

Agostino: "Ohja, ein typisches, emotionales Derby, ein Fallrückziehertor und eine Vorlage, die den Sieg klar machten. Kein schlechtes Spiel von mir."

Richter: "Ganz genau, danach erhielt ich die klare Anweisung: 'Sofort kaufen!' "

Happel: "Inwiefern hat Helmut dir, insbesondere in der ersten Zeit, geholfen?"

Agostino: "Helmut hat am Anfang alles für mich gemanagt, das kann man nicht anders sagen. Möbel, Wohnung, Anmeldungen beim Amt etc. Ich konnte mich komplett aufs Fußballspielen konzentrieren. Gerade in den ersten Jahren hatten wir sehr viel Kontakt."

Happel: "Wie würdest du deine Anfangszeit bei den Löwen beschreiben? Immerhin bist Du später zu einem, wenn nicht sogar zu DEM Publikumsliebling der Löwen geworden."

Agostino: "Das war nicht immer so einfach, gerade am Anfang. Ich erinnere mich, es war der dritte oder vierte Spieltag gegen den MSV Duisburg. Ich musste linker Flügel spielen und hatte einen rabenschwarzen Tag, bot eine grottenschlechte Leistung. Am Schluss hab ich mir dann sogar noch eine rote Karte geholt."

"Die Fans haben mich beschimpft, und zwar auf heftigste Art, die waren richtig böse. Da habe ich mir gedacht: 'Ich zeig Euch, dass ich hierher gehöre' Die erste Saison lief dann auch ganz gut. Ich wollte immer normal sein, so wie jeder andere, ich hatte nie das Gefühl noch den Willen, ein Star zu sein."

Happel: "Was war dein schönstes und dein schlimmstes Erlebnis mit den Löwen?"

Agostino: "Es gab natürlich viele schöne Momente, doch die beste Saison war die Saison 2000/2001. Da hatten wir wirklich eine Bombenmannschaft mit Spielern wie Häßler, Vanenburg, Borimirov. Ich erzielte elf Tore, wir wurden damals Vierter in der Bundesliga und standen sogar in der Champions League Qualifikation, wo wir gegen Leeds United ausschieden, obwohl wir hoch überlegen waren."

"Der Abstieg in die zweite Liga war die traurigste Erfahrung, die ich mit den Löwen hatte. Das Schlimmste haben alle viel zu spät erkannt. Das fing schon in 2004 an, als Falko Götz zu spät entlassen wurde und im Zuge der Stadion-Affäre Wildmoser sein Präsidentenamt niederlegen musste."

Happel: Du hast in 20 Spielen für die australische Nationalmannschaft immerhin neun Tore erzielt. Kein schlechter Schnitt. Wie schwer war es für dich, bei der WM 2006 in Deutschland nicht zum Aufgebot der "Socceroos" zu gehören?"

Agostino: "Ich wusste, dass ich das Duell (mit Harry Kewell; Anm. d. Red.) nicht gewinnen werde. Ich habe vorher schon gespürt, dass andere Spieler bereits Zusagen bekommen hatten. Meistens liege ich richtig mit meiner Ahnung. Von daher war es für mich keine Überraschung, und der Schmerz saß auch nicht so tief. Ich habe in der Zeit Urlaub mit meiner Familie gemacht und konnte so Abstand gewinnen."

Happel: "Schmerzt der Abschied aus München? Mit welchem Gefühl verlässt du den Verein?"

Agostino: "Meine zehn Jahre hier waren unglaublich schön. An die schönen Zeiten werde ich mich immer erinnern. Meine Frau und meine Familie kommen aus München. München ist und wird für mich immer ein wichtiges Standbein sein. Ich werde auch im Jahr ein bis zweimal zurückkommen. Dann werde ich ganz normal an den Ticketschalter gehen, meine Karte kaufen und mich zu den Fans hinters Tor stellen."

Happel: "Du gehst zurück in deine Heimat nach Australien zu Adelaide United. Was sind deine Pläne und Ziele zum Ende deiner Karriere?"

Agostino: "Adelaide United ist amtierender Vizemeister und wird sehr professionell geführt. Generell gewinnt die Hyundai League mehr und mehr an Ansehen und heutzutage sitzen dort Leute, die wirklich Ahnung haben. Das war nicht unbedingt immer so."

"Wenn es hier nicht weitergehen soll bzw. darf, dann war es immer in meinem Kopf, noch einmal in meiner Heimat zu spielen. Und vor allem haben sie sich zwölf Monate wirklich um mich bemüht. Es ist schön zu wissen, dass jemand dich wirklich haben will. Ich bin mit 16 als Junge von Australien weggegangen und komme nun mit 32 als Mann mit Familie zurück und kann meiner Stadt etwas zurückgeben. Und das will ich auch tun. Ich bin sehr aufgeregt, in einer neuen Stadt, einem neuen Verein, ja einem neuen Land, zu spielen."

Happel: "Hast du schon genaue Pläne, in welchem Bereich du nach deiner Spielerkarriere arbeiten möchtest?"

Agostino: "Adelaide United hat mir angeboten nach meiner Spielerkarriere beim Verein im Management einzusteigen. Natürlich habe ich während meiner aktiven Zeit viele Kontakte mit Leuten geknüpft. In welchem Bereich ich aktiv werden will – Scout, Trainer, Management etc. – das weiß ich noch nicht. Erst einmal möchte ich noch mindestens zwei Jahre erfolgreich in Adelaide spielen, denn ich denke, dass ich noch einiges zu bieten habe und konzentriere mich im Moment voll und ganz auf meine Zeit in Adelaide."

Richter: "Ich bin mir auch sicher, dass Paul in Australien eine gute Zeit haben wird und wünsche ihm natürlich viel Glück und Erfolg für die Zukunft."

Happel: "Da kann ich mich nur anschließen. Vielen Dank für das interessante Interview und viel Erfolg in allen Bereichen beim Abenteuer Australien!"

Agostino: "Sehr gern geschehen, es hat mir unglaublich viel Spaß gemacht, mich wieder über alte Zeiten zu unterhalten."

Paul's neuen Verein Adelaide United findet man unter http://www.adelaideunited.com.au/, die Website von Helmut Richters Fußballagentur Goal2career findet man unter http://www.goal2career.de/

Eine Meinung

  1. Klasse Interview, auch ohne reißerische Aussagen. Erstaunlich nur, dass er so offen den Zeitpunkt der Götz-Entlassung kritisiert. Da hat wohl einer mit seiner Deutschland-Zeit ein für alle Mal abgeschlossen…Aber von welchem Topspieler hat man überhaupt mal so offene Worte gehört? Paul hat doch als einer der ganz wenigen Spieler auf Bundesliga-Niveau eine vernünftige Beziehung zu seinem Job und führt sich nicht auf wie die Vorstadt-Maradonas, die nach einem Bundesliga-Spiel nur noch schriftlich mit den Fans kommunizieren. Und dann ist er auch noch ein Löwe!!! Danke, lieber Fußball-Gott, dass Du uns den Agostino geschenkt hast!!! Danke für zehn Jahre echter Fußball-Leidenschaft – inkl. aller Stockfehler, die hiermit auf ewig vergeben sind 😉

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