Implizit statt explizit

Was würden Sie beispielsweise von einem Politiker halten, der in seinen Wahlreden in jedem zweiten Satz darauf hinweist, dass er ‚ehrlich‘ sei und ‚ganz offen‘ zu Ihnen spricht? Genau – er würde auf Sie schleimig-vertreterhaft wirken, das Bild eines Menschen vermitteln, der es nötig hat, so etwas zu sagen, weil er den erwünschten Eindruck eben nicht ’naturwüchsig‘ und ‚von selbst‘ erwecken kann. Mit anderen Worten: positive Eigenschaften lassen sich explizit gar nicht kommunizieren; ‚Ehrlichkeit‘ und ‚Offenheit‘ sind keine Eigenschaften, die wir uns selbst zuschreiben dürften. Ein Geschäftsmann kann sich nicht selbst ‚durchsetzungsfähig‘ nennen, das ist eine Eigenschaft, die ihm seine Kunden, Mitarbeiter oder Geschäftspartner zuschreiben müssen.

Wenn also, um auf das Beispiel zurückzukommen, eine Firma ‚kompetent‘ erscheinen möchte, dann breite ich – als ihr entlohnter Gebrauchsschriftsteller – überraschendes Fachwissen aus: Ich zeige mich als jemand, von dem andere in der Branche noch etwas lernen können; ich erkläre komplizierte Sachverhalte so, dass sie plötzlich jeder versteht; ich gebe gute Tipps; und ich nutze unauffällig auch Fremdeinschätzungen (Referenzen), die mich im hellen Licht der Kompetenz erstrahlen lassen – aber ich scheue in jedem Fall den Gebrauch des Wortes ‚Kompetenz‘ wie der Teufel das Weihwasser. Denn ich rede ausschließlich und nur ‚implizit‘ von der erwünschten Kompetenz. Niemals kämen mir werbliche Standardfloskeln in die Tastatur, wie wir alle sie bis zum Überdruss kennen: «XYZ ist ein anerkanntes Unternehmen von hoher Kompetenz auf dem Markt für feinste Toilettenpapiere, das seit vielen Jahren mit bester Qualität alle Schließmuskel auf dem internationalen Markt zufriedenstellt».

Ebenso ist es mit dem oben erwähnten Politiker: Wenn er ‚offen‘ erscheinen möchte, dann wird er kleinere Verwundbarkeiten zeigen, er muss seine ‚menschlichen Seiten‘ ausbreiten, die Werte seiner Zuhörerschaft teilen, als ‚einer von uns‘ erscheinen, er wird Anekdoten erzählen, auf Ereignisse zurückblicken, seine politischen Pläne aus konkreten Erlebnissen ableiten u.v.m. Irgendwann werden ihm seine Zuhörer und Wähler dann die Eigenschaft zuschreiben, ein offener und integrer Mensch zu sein.

Nur durch implizite Kommunikation erreicht man also seine kommunikativen Ziele, unsere Botschaften wirken erst dann, wenn sie uns die anderen zuschreiben – davon bin ich fest überzeugt. Trotzdem ist die Welt voller Presseerklärungen, die vor Selbstlob duften; voller Prospekte, die vor Eigenschaftswörtern überquellen und doch kein belastbares Faktum nennen; voller Selbstdarsteller, die hohl dröhnen, aber nicht einen Satz aus eigenem Erleben erzählen könnten. Die Welt will betrogen sein.

Die Regel des impliziten Überzeugens gilt übrigens auch für Themenblogs: Würde ich hier immer nur erzählen, dass ich angeblich schreiben kann …  

5 Meinungen

  1. Ganz schlimm sind auch die Unternehmen, die nicht müde werden, mir zu erzählen, wie „innovativ“ sie seien. Ohne auch nur ein einziges Beispiel anzuführen, versteht sich.

  2. Ja – das wirkt ein wenig wie jene sowjetischen Feldmarschälle, die sich zahllose Orden vor die Brust hefteten. Ist zwar menschlich, aber dumm (wieso eigentlich ‚aber‘?). Anders formuliert: Wenn ich mich überall mit Adjektiv-Bappern beklebe, dann sehe ich aus wie eine Litfass-Säule oder wie der Netzauftritt eines Privatsenders – aber nicht wie ein seriöses Unternehmen.

  3. Kompetent? Sie müssen Synergien nutzen und alles aus einer Hand anbieten!

  4. Seitdem aus Raider wieder Twix – sorry, aus DaimlerChrysler wieder Daimler wurde, ist ‚Synergien‘ ein ganz böses Buh-Wort.

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