Heute schon geschwurbelt?

Offizielle Definitionen für den Neologismus ("Neuwort") sind bisher rar, mein Duden schweigt sich zwischen "Schwur" und "Schwyz" zum Schwurbeln aus. Hier eine eher assoziative Deutung: "ungenaues Reden, Kategorienfehler, Zirkelschlüsse, schwammiges Dahergeplätscher von Durcheinandergebrachtem: aber mit Geltungsanspruch ausgesprochen / aufgeschrieben".

Schön und gut – wie aber klingt der Schwurbel ‚live‘. Nun – zum Beispiel so:

"Sobald der innere Formenschatz einer Kultur ausgebeutet ist, die Kultur sodann zur Zivilisation erstarrt, sind zyklisch recycelte Moden die letzte Kreativität, die noch nicht gänzlich erschöpft ist; folglich können wir kaum mit Kant oder Goethe duellieren, aber wissen immerzu Bescheid, was gerade in den Weltstädten populär und mehrheitsfähig ist. Nun verödet die gesamte weltstädtische Intelligenz, das Denken wird modisch, selber zur Mode, und die soziale Dekadenz, mittels heidnischer Okkultismus und omnipräsenter Unterhaltungsindustrie motorisiert, verbreitet sich unaufhörlich, so bevölkern fortan leblose, innerlich längst abgestorbene und maschinenhafte Fellachen die gebauten Weltstädten".

Es beginnt mit diesem ‚inneren Formenschatz einer Kultur‘: Zunächst einmal ist ja die Form unweigerlich das, was einem Ding oder Begriff ‚äußerlich‘ ist, ihr ‚Sichtbares‘ also. Das Gerede von einem ‚Innen‘ in Bezug auf Form ist also – sagen wir’s nett! – ‚höchst fragwürdig‘. In Inneren dieser Kulturen wiederum, so die Bildlichkeit des Textes, lägen die Formen gewissermaßen zu Schätzen getürmt – wie das Essen im Magen oder das Korn im Getreidespeicher. Kultur, das schließen wir messerscharf daraus, ist also eine Hohlform, in der es ziemlich ungeformt zugeht. Weil die Kultur aber – wie es der Folgesatz ja erläutert – ‚zur Zivilisation erstarren kann‘, muss es sich um eine fließende Hohlform handeln. Schon sind wir bei dem vitalistisch-organizistischen Kultur-Geschwurbel der Jahre um 1900 angelangt, bei Bergson, Klages, Blüher und den anderen Größen der deutschen Jugendbewegung. Philosophie zur Wandergitarre gewissermaßen. Sprachliche Anmerkungen erspare ich mir hier, so den beckmesserischen Hinweis auf ‚duellieren‘ als reflexives Verb, weshalb wohl irgendwo im Text ein ‚uns‘ verloren gegangen sein muss.

Die ‚weltstädtische Intelligenz verödet‘, erfahren wir als nächstes, weshalb ‚das Denken‘ nicht etwa ‚verwelkt‘ oder ‚vertrocknet‘, sondern ‚modisch‘ wird. Die Mode braucht demnach einen trockenen Boden, was aber wiederum völliger Quatsch ist, wie jeder weiß, der mit einem oder gar mehreren Mode-Designern abends auf der Piste arglos unterwegs war.

Schon aber geht’s ab in die Geisterbahn – die Lieblingspopanze des Autors haben ihren Auftritt und beginnen zu spuken: ‚Heidnischer Okkultismus‘ tanzt vor unseren erstaunten Augen Arm in Arm mit einer ‚omnipräsenten Unterhaltungsindustrie‘, so als ob diese Unterhaltungsindustrie nicht jüngst noch Roms Ratzinger zum Kuscheln auf den Schoß gekrochen wäre, der ja nun eindeutig ’nicht-heidnisch‘ ist.

So hypokritisch kann aber wohl nur ein ‚abgestorbener Großstadt-Fellache‘ wie ich auf diese ‚Spengleriana der Neuzeit‘ schauen. Im Gegenteil: Der wahre Weltweise weiß, dass diese fundamentale Kulturkritik in dieser entgötterten Zeit uns die letzte Rosine aus dem Schwurbel pickt …

Was, wie, warum und vor allem wo aber ist dieser Schwurbel?

9 Meinungen

  1. Ich bin ein schwurbelnder Verehrer Gottfried Benns. Wegen der inneren Formen.

  2. Hüten Sie Ihren inneren Formenschatz wie einst Fafnir. An ihm haben Sie etwas fürs Leben …;-)

  3. Mach ich. Allerdings ohne Oegishjalmr. Ich bin so schon hässlich genug.

  4. Könnte mir jemand den Insider erläutern? Ich stürbe ungern doof. Man kann ja nicht alles gelesen haben …

  5. Fafnir ist eine Figur aus der Edda, Sohn des Riesen Hreidmar. Er zieht sich in eine Höhle zurück und bewacht dort sein (unrechtmäßiges) Erbe, einen großen Goldschatz – wobei zu bemerken ist, dass er zuvor noch seinen Pappa erschlagen hat, wie das bei den ollen Wikingern wohl so üblich war. In der Höhle verwandelt sich Fafnir so peu à peu dann in einen grauseligen Lindwurm, und damit er noch grauseliger wird, setzt er sich zur Krönung seiner Unästhetik diesen Helm Ögishjalmr auf. Kurzum: Drache mit Helm = Fafnir mit Ögishjalmr = potthässlich.

  6. Danke für die Erklärung. Jetzt weiß ich wenigstens eine passende Antwort, sollte sich meine Frau etwas schmückendes aus Gold wünschen: „Gold macht hässlich, Schatz!“ Und das mit Quellennachweis!

  7. Wolfgang Hömig-Groß

    Und ich habe das – mit mehr als einem Hauch Bastiansickness – wirklich richtig verstanden: Fafnir hat auch Radardenkers inneren Formenschatz gehütet?

  8. Wohl kaum. Es handelt sich eher um eine leicht ironische Empfehlung. Schau mer erst mal.

  9. Verzeihung, der Link hat nicht geklappt:http://neobazi.net/archives/8725

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