Haare: Litfaßsäule der Persönlichkeit

Ob wir nun mit viel, wenig oder gar keinem Haupthaar gesegnet sind, wir denken mehr oder weniger oft darüber nach. Dem aktuellen Stern ist das Thema Haare sogar eine Titelstory wert. Der moderne Mensch möchte auf dem Kopf behaart und ansonsten enthaart sein. Doch so neu ist der vermeintliche Trend bei Männlein und Weiblein nicht. Wer sich die Kulturgeschichte der Haare betrachtet, der erfährt, dass sich schon die alten Ägypter mit haarigen Angelegenheiten beschäftigt haben. Griechen und Römer legten ebenfalls großen Wert auf Bart und Haupthaar. In vielen Kulturen und Ländern hatten Menschen ohne Haare nicht viel zu lachen. Mythos Haar? Ein wenig schon, denn wer kennt nicht die Geschichte vom biblischen Kämpfer Samson, dem seine untreue Geliebte Delilah das kraftspendende Haar abschnitt. Das Ende vom Lied? Samson musste vorübergehend Slavenarbeit leisten, bis die Haare wieder nachgewachsen waren. Danach soll der wackere Held mehr Menschen ins Jenseits befördert haben als zuvor. Ein haariges Beispiel aus der Mythologie ist Medusa, jene übel gelaunte Schreckensgestalt mit den Schlangenhaaren, die jeden, der sie anblickte, zu Stein erstarren ließ. Ein bad hair day der ganz besonderen Art! Doch worauf will ich hinaus? Haare sind weit mehr als Hornfäden aus Keratin, die man schneiden und färben kann. Sie kommunizieren mit anderen Menschen und sind eine Art Litfaßsäule unserer Persönlichkeit. Klingt zuerst übertrieben, ist aber wahr – hier einige Beispiele:

Frauen mit schönen langen Haaren schütteln besonders gerne ihre Mähne oder spielen gar mit ihren Locken. Psychologen nenen dieses Verhalten „bedding behaviour“. Den Rest überlasse ich Ihrer Fantasie.

Volle, gesunde Haare signalisieren Gesundheit, Kraft (denken Sie an Samson) und Zeugungsfähigkeit. Deshalb ist es für Frauen und Männer schwer, wenn das Haupthaar schwindet oder ganz verschwindet. So schlimm das Drama im Einzelfall sein mag, so haben wir uns jedoch mittlerweile an Männer mit Glatze gewöhnt. Ein promintenes Beispiel dafür, dass ein Glatzenträger reichlich Sexappeal haben kann, ist Bruce Willis. Doch auch Nichtpromis haben allen Grund, trotz bestimmter kleiner Nachteile hoch erhobenen Hauptes durch das Leben zu gehen. Ein kluger Mann verzagt nicht, heißt es in einem Beitrag auf den Webseiten der Süddeutschen, wo ein Lob der Kahlheit veröffentlicht wurde. Darin ist u.a. vom Glück des Haarausfalls die Rede. Tenor: Wo der Verstand einzieht, weichen die Haare.

Und was denken Psychologen über Männer wie David Beckam, die sich den Kopf unnötigerweise kahl scheren? Nichts schmeichelhaftes, denn diese Typen kokettieren gewissermaßen mit den Handicaps anderer Menschen. Die Botschaft lautet: Schaut her, ich kann es mir leisten, meine Haare einfach zu rasieren. Ihr könnt zusehen, sie schnell sie mir wieder nachwachsen. Wenn das wirklich stimmt, dann würde ich solche Leute meiden, denn das ist wirklich kein feiner Zug.

Interessant ist für mich auch die Decodierung der jeweiligen Haar-Sprache. Im Stern-Beitrag ist von einem Bankangestellten mit ordentlichem Fassonschnitt und einer blauen Strähne die Rede. Welche Botschaft hält der Mann für uns bereit? Wenn ich nicht hier bin, bin ich ein Wilder. Hört, hört. Und die grau bekittelte Kassiererin mit den leuchtend lia und grünen dicken Strähnen im Haar will uns damit sagen: Das Leben ist zwar trist, aber ich bin bunt. So habe ich die Dinge bislang noch gar nicht betrachtet. Ein drittes Beispiel gefällig? Jeder kennt diese oft unscheinbaren Typen mit dem kleinen speckigen Zopfpinsel im Nacken. Nun, sie wollen uns daran erinnern, dass sie in jungen Jahren mal ein Rocker mit dichtem Haar waren. OK, verstanden. Born to be wild – forever!

Auch aus der Haarlänge und der Haarfarbe meinen wir Menschen, bestimmte Dinge ablesen zu können. So bescheinigen viele Männer Frauen mit langem, glatten und blondem Haar die größte erotische Kraft. Rothaarige Frauen gelten als feurig, rothaarige Männer hingegen stehen im Attraktivitäts-Ranking nicht weit oben. Blonde Frauen werden für weniger intelligent gehalten als dunkelhaarige. Für blonde Männer kommt es noch dicker, sie werden von Frauen nicht nur für weniger clever, sondern auch noch für Softies gehalten. Frauen mit kurzen Haaren gelten als klug und selbstbewusst usw. Wissenschaftlich haltbar sind diese Thesen alle nicht. Hier ist die Forschung aufgrund unserer Vergangenheit auch zurückhaltend. Niemand will sich an Ideologiebildungen beteiligen. Das ist auch kein Manko, es gibt sicher interessantere Betätigungsfelder für Wissenschaftler, als Menschen mit bestimmten Haar- oder Augenfarben bestimmte Eigenschaften zuzuordnen. Doch ein Mythos sei noch erwähnt. Sind glatzköpfige Männer wirklich wahre Testosteronbomben? Dazu sagt Professor Ralph Trüeb, Dermatologe und Haarspezialist an der Universitätsklinik Zürich im Stern-Beitrag: „Richtig daran ist nur, dass bei Männern für die Entwicklung einer Glatze immer das Sexualhormon Testosteron eine Voraussetzung ist. Dass die geladene Batterie weiter unten nun aber für Ausfall ganz oben sorgt, ist nicht nachweisbar„.

Ich für meinen Teil fand den Stern-Beitrag überaus interessant und unterhaltsam. Unsere Haare sind der einzige Körperteil, den wir ohne großen Aufwand verändern und gestalten können. Diesen Gestaltungsreichtum sollten wir uns auch nicht nehmen lassen. Haare sind ebenfalls emotional besetzt. Jener bereits zitierte „bad hair day“ ist vielen bekannt. Übrigens fühlen sich auch Männer weniger leistungsfähig und selbstsicher, wenn die Frisur nicht sitzt, weiß die Psychologin Marianne LaFrance zu berichten. Schöne Haare sind eine Art Machtfaktor und sie besitzen zweifellos eine erotische Ausstrahlung. Keine Haare wiederum können, müssen aber kein Problem sein. Fazit: Haare sind und bleiben eine haarige Angelegenheit. Mal sehen, ob die Evolution für uns irgendwann das Problem endgültig löst. Kann ja sein, dass der Mensch im Jahr 2500 überhaupt keine Haare mehr hat, weder auf dem Kopf noch anderswo. Das hätte seine Vor- und Nachteile. Zum Glück bin ich dann nicht mehr am Leben, denn ohne Haare, Wimpern und Augenbrauen sehe ich bestimmt total bescheuert aus.

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