FIFA-Präsident Sepp Blatter: Relikt oder Reformator?

Weltfußballverband FIFA

Die „Fédération Internationale de Football Association“ wurde am 21.05.1904 in Paris gegründet, mittlerweile findet sich der überaus luxuriöse Sitz im schweizerischen Zürich wieder. Der Verband befasst sich unter anderem mit der Organisation diverser Fußballturniere, beispielsweise der Fußball-Weltmeisterschaften der Männer sowie Frauen und der Klubweltmeisterschaft. Mit aktuell 208 nationalen Fußballverbänden ist die FIFA sogar größer als die Vereinten Nationen, die hiermit angedeutete Machtposition spiegelt sich beispielsweise bei Staatsbesuchen von Verbands-Präsident Blatter wieder – hier nämlich verhalten sich alle Seiten stets so, als würde das „Verbands-“ Oberhaupt nicht existieren. Die umfangreichen Vermarktungen der TV-Rechte sowie weitere Marketingeinnahmen, welche vor allem bei den selbst organisierten Turnieren sprudeln, haben der FIFA mittlerweile ein Eigenkapital von rund einer Milliarde Euro beschert. Als entscheidendes Element beim Aufbau derartiger FInanzkraft dürfte der Eintrag der FIFA als gemeinnütziger Verein statt dem eines gewinnorientierten Unternehmens sein, was unter anderem erhebliche Steuervergünstigungen mit sich bringt.

Mächtigstes Entscheidungsorgan stellt das FIFA-Exekutivkomitee dar, gern auch als „Regierung des Weltfußballs“ bezeichnet. Es setzt sich aus dem Präsidenten, 8 Vize-Präsidenten sowie 15 weiteren Mitgliedern zusammen. Deren Aufgabenbereiche umfassen sowohl die Festlegung der Turnierstandorte und -termine, die Berufung der FIFA-Deligierten als auch die Ernennung eines Generalsekretärs.

Durch die überragende Bedeutung des Fußballs und die Vormachtstellung des Weltverbands hat die FIFA darüber hinaus eine entscheidende Rolle als Vermittler wichtiger gesellschaftlicher Werte inne.

Joseph Blatter

Joseph „Sepp“ Blatter kam am 10.03.1936 im schweizerischen Visp zur Welt und obwohl es der gelernte Volkswirt in seiner aktiven Laufbahn (1948-71) nie über den fußballerischen Amateurbereich hinaus brachte, spielte der Funktionär eine wichtige Rolle für den beliebtesten Sport der Welt. Nachdem er von 1970 bis 1975 dem Vorstand des Fußballclubs Neuchâtel Xamax angehörte, sich jedoch auch abseits des Fußballsports bewies (Generalsekretär des Schweizer Eishockey-Verbands, Journalist, etc.) fand er 1975 den Weg zur FIFA, wo Ihn der damalige Präsident João Havelange unter seine Fittiche nahm. Dort begann er seine Laufbahn zunächst als technischer Direktor, wonach er mit den Aufgaben als Generalsekretär und Generaldirektor betraut wurde. Laut Verbandsseite schaffte er es in dieser Zeit, die Rolle des Fußballs weltweit und das soziale Engagement der FIFA entscheidend zu stärken.

Der informierte Fußballfan bzw. aufmerksame Leser weiß jedoch, dass das Ende der Fahnenstange damit noch längst nicht erreicht war. Im Sommer 1998 krönte Sepp Blatter schließlich sein langjähriges Engagement bei der FIFA mit der Ablösung seines Ziehvaters Havelange als Präsident. Jene Wahl jedoch verlief äußerst knapp, obendrein kam der Verdacht der Korruption auf, welchen Enthüllungsautor David Yallop in seinem Buch „Wie das Spiel verloren ging“ festhielt. Demnach soll Joseph Blatter 22 Stimmen für je 50 000 $ gekauft haben, was freilich nie nachgewiesen werden konnte – nichtsdestotrotz klebten die Korruptionsverdächtigungen an Blatter folglich wie Federn auf Teer oder wie der schweizerische FIFA-Kopf selbst an seinem Posten, wie man in kritischen Kreisen zu vernehmen vermag.

Auch seine Wiederwahl 2002 wurde von Bestechungsvorwürfen überschattet. Der somalische Delegierte Farah Addo behauptete, 1998 100 000 € für die Wahl des Schweizer Außenseiters angeboten bekommen zu haben. Doch Joseph Blatter stellte ein ums andere Mal sein Talent, sich mehr sauber als schmutzig aus brenzligen Situationen zu winden, unter Beweis. Nicht zuletzt deshalb sehen wir den 75-jährigen nach wie vor als Kopf der FIFA, wo er dieses Jahr erneut bestätigt wurde. Trotz bedeutender Probleme wie Rassismus, Korruption oder auch Doping im Fußball gab es erneut keine Abstrafung für Blatter, der sich zuvor seines einzigen Widersachers Mohamed bin Hammam (Katar) durch eine von gegenseitigen Bestechungs-Anschuldigungen geprägte Schlammschlacht entledigen konnte. Im Folgenden werden die momentan größten Baustellen des Weltfuballverbands FIFA einmal näher beleuchtet.

Das Korruptionsproblem

Der 02.12.2010 wird der weltweiten Fußballfamilie wohl lange im Gedächtnis bleiben. Jubel oder Vorfreude wogen die flächendeckende Fassungslosigkeit und Erzürnung jedoch bei Weitem nicht auf. Um kurz nach halb fünf präsentierte FIFA-Präsident Blatter die Austragungsorte der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 sowie 2022, welche zur Überraschung der meisten Fußballfans in Russland und Katar stattfinden sollen.
Die Wahl der beiden Außenseiter – Russland setzte sich gegen England, Belgien/Niederlande, Spanien/Portugal durch, Katar gegen Südkorea, USA, Australien und Japan – erschließt sich nicht jedem Fußballfan. Schließlich ist die Entfernung zwischen den 13 Austragungsorten des mit Abstand größten Landes der Erde enorm und die Infrastruktur mangelhaft. Katar hingegen beherbergt mit 1,75 Millionen Einwohnern gerade halb soviele wie Berlin. Hinzu kommen die erdrückenden Temperaturen von ungefähr 50°C, welche Laien und Experten gleichermaßen den Kopf schütteln lassen.

Man könnte meinen, dass der Ölreichtum beider Staaten und nicht die Intuition, Russland und Katar die historische Chance auf einen derartigen Entwicklungssprung zu bieten, für die Entscheidungsfindung des FIFA-Exekutivkomitees vordergründig waren. Solche Unterstellungen rühren natürlich nicht allein daher, dass ölige Wüstensöhne die Fußballwelt zur Zeit mit Ihrem Geld überfluten. Zahlreiche Verwicklungen bedeutender FIFA-Mitglieder in Korruptions-Skandale tun ihr Übriges dazu. Zwei aktuelle Fälle bedeutsamen Ausmaßes werden hier vorgestellt:

  • ISL-Skandal: Die Schweizer Marketingfirma International Sport and Leisure soll von 1989 bis 2001 mindestens 138 Mio CHF (Schweizer Franken) als Provisionen getarntes Schmiergeld an hochrangige FIFA-Mitglieder gezahlt haben. Die Firma, welche Veranstaltungsrechte von Sportverbänden erwarb und an Fernsehsender, Sponsoren, etc. weiterverkaufte, musste 2001 Insolvenz anmelden. In diesem Zuge kamen auch eben jene Nachweise zum Vorschein, welche den Fußballfunktionären zum Verhängnis hätten werden können. Das 2005 wegen „untreuer Geschäftsbesorgung zum Nachteil der FIFA“ begonnene Verfahren gegen Unbekannt wurde 5 Jahre später gegen eine Zahlung von 5,5 Mio CHF und die Übernahme der Gerichtskosten eingestellt. Neben der Straffreiheit wurden die Übeltäter zudem mit der Anonymität belohnt, ein starkes Stück, welches sich mittlerweile als vergebene Liebesmüh heraustellte. Zumindest für Ricardo Texeira (Brasilien), Nicolas Leoz (Paraquay) und Issa Hayatou (Kamerun), denn deren Namen sickerten offenbar trotzdem durch Justizias  Mantel des Schweigens. Dessen ungeachtet waren die drei Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees an den Abstimmungen zu den beiden Weltmeisterschaften 2018 und 2022 beteiligt.
  • Sunday Times überführt FIFA-Funktionäre: Zwei Reporter der britischen Sonntagszeitung „Sunday Times“ schrieben ein weiteres Kapitel des investigativen Journalismus, als Sie zwei Mitglieder des FIFA-Exekutivkomitees an der Nase herumführten. Sie gaben sich als US-amerikanische Geschäftsmänner aus, welche ein großes Interesse an einer Fußballweltmeisterschaft 2022 im eigenen Land hätten. Der Nigerianer Amos Adamu und Reynald Temaari aus Tahiti waren die Auserkorenen, welche Ihre Stimme tatsächlich für einen bestimmten Geldbetrag veräußern würden. Selbstverständlich stand keine Gier, sondern der Sportsgeist im Vordergrund, wie die beiden hohen Tiere nicht zu erwähnen vergaßen: der Afrikaner wollte seine 800 000 $ für Kunstrasenplätze ausgeben, Temarii forderte gar 2 Mio CHF, um seine Vorstellung von einer Fußballakademie verwirklichen zu können.
    Während die Reporter mit Ihrem Coup in der Zeitung groß aufwarteten und die beiden Betroffenen große Augen gemacht haben dürften, beschrieb der im Zusammenhang mit seiner FIFA stets um wohlwollende Worte bemühte Blatter das Ganze als „unschöne Situation“. Entsprechend seiner unangebracht herunterspielenden Einschätzung spiegelte sich der Verstoß der beiden Funktionäre auch in einem milden Urteil wieder: während Adamu für 3 Jahre gesperrt wurde, musste Temarii nur ein Jahr pausieren. Zum Vergleich: Mohamed bin Hammam, Blatters langjähriger Begleiter und Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen 2011, wurde nach langer Schlammschlacht zu einer lebenslanger Sperre verurteilt. Dem Katarer, welcher jegliche juristische Gegenmittel ausschöpfen will, wird vorgeworfen, Funktionären der karibischen Fußballunion mit Geldgeschenken in Höhe von je 40 000 $ die Entscheidung für Ihn und gegen Blatter attraktiver zu machen. Demnach musste bin Hammam seine Kandidatur um Blatters Posten zurückziehen und dem Schweizer den Weg zur vierten und letzten Amtszeit als FIFA-Oberhaupt freimachen.                                                           

Das Rassismusproblem

Als mächtigster Mann der mit Abstand beliebtesten Sportart der Welt steht man automatisch im Rampenlicht, jegliches Betreten von Fettnäpfen wird auf die große Leinwand gebracht. Sein letzter großer Auftritt auf einer solchen Leinwand bescherte dem Schweizer ein weiteres Mal heftigen Gegenwind, vor allem aus England gab es Schelten von allen Seiten. Gordon Taylor, Chef der englischen Spielergewerkschaft: „Er hat eine Grenze überschritten und sollte seinen Hut nehmen. Seine Aussagen haben gezeigt, dass er nicht mehr zeitgemäß ist.“ Manchester Uniteds Verteidigerlegende Rio Ferdinand findet die Aussagen Blatters „so herablassend, dass es fast schon lachhaft ist“. Er fühle sich dumm, da er annahm, dass der Fußball eine tragende Rolle im Kampf gegen Rassismus eingenommen habe. Der gern auch als „Sonnengott“ verspottete Joseph Blatter stritt in einem Interview mit dem arabischen Nachrichtensender Al Dschasira ab, das es Rassismus im Fußball gebe. „Während eines Spiels machst Du vielleicht eine Geste in die Richtung von jemandem, oder sagst etwas zu jemandem, der nicht genauso wie du aussieht, aber am Ende des Spiels ist es vergessen.“ Wenn dies nicht so sei, hätte der Ligaverband natürlich dafür Sorge zu tragen, dass die beiden zusammenkommen und sich die Hände schütteln.

Das diese naiven sowie weltfremden Aussagen vor allem im selbsternannten Mutterland des Fußballs solch hohe Wellen schlugen, hat einen guten Grund. Der englische Ligaverband schlägt sich momentan nämlich mit zwei Aufsehen erregenden Fällen von rassistischer Beleidigungen unter Spielern des Oberhauses herum.
ManU’s französischer Linksverteidiger Patrice Evra bezichtigt den Uruquayer Luis Suarez vom FC Liverpool genau wie Anton Ferdinand (Queens Park Rangers) den Chelsea-Kapitän John Terry der rassistischen Beleidigung. Die Beschuldigten selbst streiten die Vorwürfe ab, Beweise wurden bislang auch noch nicht gefunden, was die FA im Falle von Suarez nicht von einer Anklage abhielt.

Nachdem Blatter auf die Tragweite seiner unbedachten Äußerungen aufmerksam gemacht wurde, reagierte der Schweizer mit einem Statement auf der offiziellen FIFA-Seite. Darin stellt er das Ganze als großes Missverständnis dar und gibt sich als Frontmann im Kampf gegen den Rassismus, wie beispielsweise durch Projekte wie „say no to racism“ belegten. Als Bonus gibt es noch ein Bild von Blatter und dem südafrikanischen Politiker Tokyo Sexwale zu sehen, welches die Beiden in halbherziger Umarmung zeigt.
Ob sich diese offensichtliche Instrumentalisierung des farbigen Sexwale als gute Idee erweisen wird, darf bezweifelt werden.

FIFA mit Blatter auf dem richtigen Weg zum proklamierten Umbruch?

Am 02.Juni 2011 ließ sich FIFA-Präsident Joseph Blatter zum dritten Mal im Amt bestätigen. Man bekommt das Gefühl, als wolle der 75-jährige Schweizer in seiner vierten und definitiv letzten Amtszeit das Bild seiner jahrelangen Regentschaft durch lang Versäumtes ins Positive verfälschen. So holte die FIFA nach Blatters Wahlsieg zwei Aufmerksamkeit erweckende Zugpferde des internationalen Kampfes gegen Korruption ins Boot, welche jedoch nicht zusammen vor den Wagen des Weltfußballverbands gespannt werden wollen.

Während die nichtstaatliche Organisation „Transparency International“ der FIFA seit Juli als unbezahlter Berater zur Seite stand und einen ausführlichen Lagebericht samt Reformvorschlägen anfertigte, stellte die FIFA vor kurzem den Basler Staatsrechtsprofessor Mark Pieth als zukünftigen Kopf der unabhängigen Kommission für Good Governance (gute Regierungsführung) vor. Transparency International lehnte das Mitwirken an eben jener Kommission jedoch ab, da die Unabhängigkeit mit einem durch den zu untersuchenden Verband selbst festgelegten und darüber hinaus bezahlten Vorsitzenden nicht gegeben sei. So muss sich Pieth mitsamt seiner noch nicht bekannt gemachten Truppe, welche von Sepp Blatter festgelegt wurde und uns am 17. Dezember 2011 vorgestellt wird, ohne TI um mehr Demokratie und Transparenz im mächtigen Fußballverband kümmern.

Um sich der Sachlage bewusst machen zu können, werden den neuen Kommissionskopf, welcher seit 21 Jahren auch die Arbeitsgruppe der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD leitet, in nächster Zeit Berichte der vier größtenteils neu installierten Arbeitsgruppen der FIFA erreichen. Die Arbeitsgruppen „FIFA-Ethikkommission“, „Transparenz und Überwachung“ und „Statutenrevision“ sowie die „Task Force Football 2014“ wurden kürzlich ins Leben gerufen und haben die Arbeit bereits aufgenommen bzw. stehen kurz davor. Da man sich auf der FIFA-Internetseite ob des großen Schrittes Richtung Transparenz und Demokratie lieber selbst auf die Schulter klopft und kein Wort darüber verliert, wer für die Festlegung der Arbeitsgruppen verantwortlich ist, darf man getrost davon ausgehen, dass dieser Zeitpunkt wohl noch nicht reif genug für die so oft erwähnten Werte Transparenz und Demokratie war.

Einmal mehr nimmt der millionenschwere Verband einen Umweg zu den Zielen, die seit Jahren klar sein sollten. Davon kann auch nicht „humanitäre Hilfe“ in Form von einer Million $ an das Rote Kreuz für das von einer besonders heftigen Hungersnot betroffene Somalia ablenken. Oder die vom übermächtigen Exekutivkomitee mit großer Mehrheit beschlossene Veröffentlichung der ISL-Dokumente, welche aufgrund der Komplexität zunächst juristisch überprüft werden muss. Wenig relolutionär, wenn man bedenkt, dass die FIFA die belastenden Papiere 10 Jahre unter Verschluss hielt.

Bevor die alteingessene Machtriege um Kapitän Sepp Blatter nicht das Feld geräumt hat, die notwendigen Ermittlungen seriösen externen Händen übergeben wird, sehe ich für einen tatsächlichen Umbruch, die Reputation der FIFA sowie des damit verbundenen Profifußballs an sich eindeutig schwarz. Doch ob ein möglicher Nachfolger, beispielsweise der heiß gehandelte Michel Platini als derzeitiger UEFA-Präsident, die Chance oder Motivation findet, an den scheinbar in Marmor gemeißelten Strukturen des FIFA-Imperiums zu rütteln? Dies darf jedoch ebenso angezweifelt werden, wie ein frühzeitiger Abtritt Sepp Blatters, dessen Antwort auf die Frage eines Rücktritts den Abschluss dieses Textes darstellt.

„Ich und Rücktritt? Mein Vater würde aus der Ewigkeit zurückkommen und mir die Leviten lesen“


Fußball: Blatter gesteht FIFA-Imagekrise – Kein Rücktritt – weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/sport/mehrsport/fussball-blatter-gesteht-fifa-imagekrise-kein-ruecktritt_aid_579958.html

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