Der Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ geht auf eine Kulturinitiative der EU zurück. Jedes Jahr werden mindestens zwei Städte mit diesem Titel ausgezeichnet. Reihum ist jedes Land einmal dran, seit 2009 jeweils eines von den alten und eines von den neuen EU-Mitgliedsländern. Die Auswahl wird von einer unabhängigen Jury getroffen, die sich zwischen den Bewerberstädten aus dem jeweiligen Land entscheiden muss.
Die Kulturhauptstadt hat dann während eines Jahres die Chance, ihre Geschichte, Kultur und regionale Besonderheit zu unterstreichen. Für die Tourismusmanager ist das Jahr eine Chance, Besucher anzulocken, für Kulturschaffende eine einmalige Gelegenheit, über die Region hinaus europaweit Aufmerksamkeit zu erhalten.
Kulturstädte 2016
Für das kommende Jahr sind die Kulturhauptstädte San Sebastian in Spanien (genauer gesagt im Baskenland) und Breslau. San Sebastian steht für die alten EU-Länder; für die „neuen“ Mitgliedsländer ist Breslau (Wrocław) die Kulturhauptstadt 2016. Mit einer langen gemeinsamen Geschichte und in direkter Nachbarschaft weckt Breslau zurzeit besonders viel Neugierde in Deutschland.
Geschichte Breslaus zwischen Deutschland und Polen
In Breslau ist europäische, polnische, deutsche und jüdische Geschichte auf einzigartige Weise verwoben. Breslau war böhmisch, ungarisch, habsburgisch, auch von Sachsen und Schweden besetzt, bevor es im 18. Jahrhundert von Preußen erobert wurde. Zu Zeiten der Industrialisierung wuchs Breslau zur drittgrößten preußischen Stadt, wurde von Napoleons Truppen besetzt und 1815 zur Hauptstadt der Provinz Schlesien im Königreich Preußen.
Im 20. Jahrhundert stand Breslau mehrfach am Rande des Abgrunds. Bis 1938 wurde die gesamte nicht-deutsche und ein Großteil der jüdischen Bevölkerung vertrieben. Im 2. Weltkrieg wurde Breslau zu mehr als 70 Prozent zerstört, ein Großteil der Bevölkerung floh. Nach dem Krieg wurden die verbleibenden Deutschen vertrieben, und aus Russland vertriebene Polen in Breslau angesiedelt. Erst allmählich fand Wrocław zu seiner neuen Identität im Nachkriegspolen.
In den 80er Jahren Zentrum der Solidarnosc-Bewegung und anderer Oppositionsgruppen. Nach dem Ende des sozialistischen Systems begann für Breslau eine neue Epoche. Heute hat Breslau 633.000 Einwohner, darunter fast 140 000 Studierende und eine lebendige Kulturszene.
Kulturhauptstadt Breslau / Wrocław
Polen investiert rund 25 Millionen Euro in die Kulturhauptstadt 2016. „Breslau wird die Visitenkarte Polens sein“, sagt Regierungschefin Ewa Kopacz im Juli. Für deutsche Besucher eine tolle Gelegenheit, mehr über die Stadt in direkter Nachbarschaft zu lernen. Auch der Polen-Koordinator der Bundesregierung, Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke wirbt für einen Besuch in der Kulturhauptstadt: „Breslau ist in jeder Hinsicht eine blühende und dynamische, eine junge und aufstrebende Metropole in unserer direkten Nachbarschaft“, sagt er und betont, wie umfassend die Versöhnung zwischen Polen und Deutschen inzwischen gelungen sei. Was allerdings noch verbessert werden könne: Die Bahnverbindung zwischen Berlin und Breslau.